Eigenverantwortliche Prüfung des Ablaufs der Rechtsmittelbegründungsfrist durch Prozessbevollmächtigten
Leitsatz
Ein Prozessbevollmächtigter hat den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt. Deshalb obliegt dem Prozessbevollmächtigten bei Fertigung der Revisionsschrift neben der Kontrolle der Frist zur Einlegung der Revision auch die Prüfung, ob im Fristenkontrollblatt eine Revisionsbegründungsfrist notiert ist (Bestätigung des Senatsurteils vom I R 67/06, BFHE 221, 201, BStBl II 2011, 55).
Gesetze: FGO § 56, FGO § 120 Abs. 2
Instanzenzug: ,
Tatbestand
1 I. Die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, gegen Verlustfeststellungsbescheide bzw. die Ablehnung von Billigkeitsmaßnahmen blieb erfolglos (Finanzgericht —FG— Münster, Urteil vom 9 K 3478/13 F, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 412).
2 Die vom FG zugelassene Revision wurde am fristgerecht eingelegt (der Schriftsatz trägt die Unterschrift eines Partners der Prozessbevollmächtigten, des Steuerberaters/vereidigten Buchprüfers A); für den Antrag und die Begründung wurde dort auf einen gesonderten Schriftsatz verwiesen. Mit Verfügung vom (zugestellt am ) wies die Senatsvorsitzende darauf hin, dass die Revisionsbegründungsfrist am abgelaufen war. Mit Bezug auf § 124 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie auf § 56 FGO wurde darauf aufmerksam gemacht, dass eine Revisionsbegründung bisher nicht vorliege.
3 Am stellte die Klägerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die in der Sache eingesetzte erfahrene Mitarbeiterin der Kanzlei habe zwei die Klägerin betreffende Vorgänge (Einspruchsentscheidung des Finanzamts X gegenüber dem Gesellschafter der Klägerin wegen Ablehnung der Feststellung des Werts der Anteile der Klägerin; das streitgegenständliche Urteil des FG in der Sache der Klägerin wegen Verlustfeststellungen) versehentlich mit lediglich einer Fristenkontroll-Nr. im elektronischen Fristenkalender vermerkt (Hinweis auf ein „Fristenkontrollblatt für Frist Nr: 21401“). Mit dem Ablauf der Frist habe man die Kontroll-Nr. im Fristenkalender gelöscht, da in der anderen Sache (ablehnende Einspruchsentscheidung) nichts zu veranlassen war. Auf diese Weise sei versehentlich gleichzeitig die Frist zur Überwachung der Revision bzw. Revisionsbegründung ausgetragen worden.
4 Mit weiterem Schriftsatz vom hat die Klägerin die Revision unter Einhaltung der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO begründet.
5 Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das angefochtene Urteil und die zugrunde liegende (Teil-)Einspruchsentscheidung aufzuheben und den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer auf den mit ... € und den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum mit ... € festzustellen.
6 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt sinngemäß, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Gründe
7 II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Klägerin hat es versäumt, die fristgerecht eingelegte Revision innerhalb der nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beachtenden Frist zu begründen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen unverschuldeter Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kommt nicht in Betracht.
8 1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Das Urteil des FG wurde am zugestellt; folglich lief die Frist zur Begründung der Revision am ab. Die Revisionsbegründung ging jedoch erst am und damit nach Fristablauf beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
9 2. Da die Klägerin an der fristgerechten Begründung nicht unverschuldet verhindert war, kann ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) nicht gewährt werden.
10 a) Nach § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 Satz 1 FGO muss sich ein Kläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2013, 1427).
11 b) Nach dem Verschuldensmaßstab des § 56 Abs. 1 FGO, der auch einfache bzw. leichte Fahrlässigkeit einschließt (z.B. , BFH/NV 2013, 1117), liegt im Streitfall eine verschuldete Fristversäumnis vor.
12 Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung übernimmt, wird die Wahrung der prozessualen Fristen einer seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine besondere Sorgfalt widmen muss. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung der Fristen eigenverantwortlich überwacht. Das schließt es zwar nicht aus, dass er die Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlässt; zu den Fristen, deren Feststellung und Berechnung gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen werden darf, gehört aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) die in Verfahren vor diesem Gericht zu beachtende Rechtsmittelbegründungsfrist grundsätzlich nicht (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1995, 2122). Auf die Frage, ob dies auch für die Revisionsbegründungsfrist im Finanzprozess gilt und ob jene Frist nach der am in Kraft getretenen Neuregelung des Fristbeginns gemäß § 120 Abs. 2 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom (BGBl I 2000, 1757) weiterhin nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört, so dass der Prozessbevollmächtigte bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt gehalten ist (z.B. , BFH/NV 2005, 1312), kommt es hier nicht an. Denn ein Prozessbevollmächtigter —im Finanzprozess auch ein mit der Prozessführung beauftragter Steuerberater— hat den Ablauf einer Rechtsmittelbegründungsfrist jedenfalls dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt (Senatsurteil vom I R 67/06, BFHE 221, 201, BStBl II 2011, 55; s.a. BVerwG-Beschluss in NJW 1995, 2122; Senatsbeschluss vom I R 59/01, BFH/NV 2003, 181). Deshalb obliegt dem Prozessbevollmächtigten bei Fertigung der Revisionsschrift neben der Kontrolle der Frist zur Einlegung der Revision auch die Prüfung, ob im Fristenkontrollblatt eine Revisionsbegründungsfrist notiert ist.
13 Im Streitfall besteht das Vertreterverschulden mithin darin, dass der Prozessbevollmächtigte bei Vorlage der Akte im Zuge der Erstellung der Revisionsschrift nicht darauf geachtet hat, ob überhaupt eine Revisionsbegründungsfrist im Fristenkontrollblatt eingetragen war (dies konnte mit Blick auf die Zustellung des FG-Urteils am jedenfalls nicht das „Fristende “ nach dem „Fristenkontrollblatt für Frist Nr.: 21401“ sein). Die hier maßgebende (und zu bejahende) Frage, ob eine solche Prüfungspflicht bestanden hat, hat mit der Fristberechnung (hier: für die Revisionsbegründungsfrist) als solcher nichts zu tun und ist deshalb unabhängig von deren Schwierigkeitsgrad zu beurteilen. Hätte der Prozessbevollmächtigte diese Prüfung mit der gebotenen Sorgfalt vorgenommen, hätte er bei Einlegung der Revision erkennen müssen, dass eine Revisionsbegründungsfrist nicht notiert war. Infolge dieser Verletzung seiner Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die unterlassene/falsche Notierung der Revisionsbegründungsfrist und deren Ablauf nicht erkannt und die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Darin ist ein schuldhaftes Verhalten i.S. von § 56 Abs. 1 FGO zu sehen, das es ausschließt, dem Wiedereinsetzungsantrag zu entsprechen.
14 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2016:B.200716.IR6.16.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 1733 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2017 S. 446
LAAAF-84760