Suchen Barrierefrei
BGH Beschluss v. - V ZB 21/16

Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung: Haftgründe nach der Dublin-III-Verordnung

Leitsatz

Die Voraussetzungen für die Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (Dublin-III-Verordnung) ergeben sich unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15 AufenthG. Ein Rückgriff auf die in § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG geregelten Haftgründe kommt seit dem Inkrafttreten von § 2 Abs. 15 AufenthG nicht in Betracht.

Gesetze: Art 2 Buchst n EUV 604/2013, Art 28 Abs 2 EUV 604/2013, § 2 Abs 15 AufenthG, § 62 Abs 3 S 1 AufenthG

Instanzenzug: Az: 5 T 681/15vorgehend AG Borken (Westfalen) Az: 29 XIV (B) 23/15

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein guinea-bissauischer Staatsangehöriger, reiste Ende 2014 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet. Die für den vorgesehene Abschiebung scheiterte. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen, der am nach Italien rücküberstellt worden war, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung weiter.

II.

2Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hat der Haftrichter die Haftanordnung zu Recht auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gestützt. Der Betroffene habe sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen, da er sich, als er am zum Zwecke der Abschiebung in seiner Unterkunft habe abgeholt werden sollen, nicht zu erkennen gegeben habe.

III.

3Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Rechtsfehlerhaft haben die Vorinstanzen die Haftanordnung auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gestützt.

4a) Es handelt sich um die Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (fortan: Dublin-III-Verordnung). Grundlage für eine solche Haftanordnung ist nicht § 62 Abs. 3 AufenthG. Vielmehr ergeben sich die Voraussetzungen unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15 AufenthG (Senat, Beschluss vom - V ZB 157/15, juris Rn. 6). Ein Rückgriff auf die in § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG geregelten Haftgründe kommt seit dem Inkrafttreten von § 2 Abs. 15 AufenthG nicht mehr in Betracht (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 32).

5b) Nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung ist Überstellungshaft nur möglich, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Fluchtgefahr ist nach Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, dem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Der nationale Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 15 AufenthG die Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung festgelegt. Satz 1 nimmt dabei auf § 2 Abs. 14 AufenthG Bezug, der die Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr in den Fällen einer Abschiebung nach der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) regelt.

6c) Ob die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung für die Anordnung von Überstellungshaft vorliegen, haben die Vorinstanzen nicht geprüft. Daher kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Eine Zurückverweisung an das Beschwerdegericht zur Nachholung dieser Prüfung kommt nicht in Betracht. Die Haft darf nicht auf einen neuen Haftgrund gestützt werden, ohne den Betroffenen hierzu persönlich anzuhören; angesichts der erfolgten Rücküberstellung ist dies aber nicht mehr möglich.

IV.

7Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs. 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:070716BVZB21.16.0

Fundstelle(n):
CAAAF-83525