EuGH Urteil v. - Rs. C-409/14

Leitsatz

Leitsatz:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die aus Rauchtabak besteht, nicht in die Position 2401 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung Nr. 861/2010 geänderten Fassung einzureihen ist, auch wenn sie Tabakabfälle enthält, sofern diese der bestimmungsgemäßen Verwendung des in Rede stehenden Erzeugnisses nicht im Weg stehen. Eine solche Ware kann jedoch in die Position 2403 der Kombinierten Nomenklatur und insbesondere in deren Unterposition 2403 10 90 einzureihen sein, wenn sie lose und kompaktiert in mit Plastik ausgekleideten Kartons mit einem Nettogewicht von 30 kg verpackt ist.

2. Der Begriff "zollrechtliches Nichterhebungsverfahren" in Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG ist dahin auszulegen, dass die Unterstellung einer bestimmten Ware unter das zollrechtliche Nichterhebungsverfahren nicht in Frage gestellt werden kann, wenn in ihren Begleitdokumenten das Kapitel des Gemeinsamen Zolltarifs, zu dem sie gehört, zutreffend, die konkrete Unterposition hingegen unzutreffend angegeben ist. In einem solchen Fall sind Art. 2 Buchst. b und Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen, dass keine Einfuhr der betreffenden Ware stattgefunden hat und diese nicht verbrauchsteuerpflichtig ist.

3. Der Begriff "Unregelmäßigkeit" im Sinne von Art. 38 der Richtlinie 2008/118 ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass er eine Ware, die einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterworfen wird und in deren Begleitdokument eine unzutreffende tarifliche Einreihung angegeben ist, nicht erfasst.

Instanzenzug: Debreceni Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Debrecen, Ungarn)

Gründe

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

70Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es die betreffenden Waren richtig in die KN einreihen kann, nicht aber, die fragliche Einreihung selbst vorzunehmen, zumal er nicht immer über die hierfür erforderlichen Angaben verfügt. Das nationale Gericht ist hierzu jedenfalls besser in der Lage (Urteile vom , Lohmann und Medi Bayreuth, C-260/00 bis C-263/00, EU:C:2002:637, Rn. 26, und vom , Proxxon, C-500/04, EU:C:2006:111, Rn. 23).

71Es ist daher Sache des nationalen Gerichts, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse anhand der Antworten einzureihen, die der Gerichtshof auf die ihm vorgelegten Fragen gibt.

72Außerdem ist es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteile vom , Krüger, C-334/95, EU:C:1997:378, Rn. 22 und 23, sowie vom , Byankov, C-249/11, EU:C:2012:608, Rn. 57).

73Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage in Wirklichkeit wissen möchte, wie die KN-Positionen 2401 und 2403 im Hinblick auf die zolltarifliche Einreihung eines Erzeugnisses auszulegen sind, das die Merkmale der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse aufweist.

74Somit ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage in Erfahrung bringen möchte, ob die Verordnung Nr. 2658/87 dahin auszulegen ist, dass eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in die KN-Position 2401, speziell die KN-Unterpositionen 2401 10 35 oder 2401 30 00, einzureihen ist oder in die KN-Position 2403, und zwar im vorliegenden Fall die KN-Unterposition 2403 10 90.

75Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage ist zum einen hervorzuheben, dass nach den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln für die Einreihung der Waren maßgebend ist, während die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise sind (Urteil vom , Baby Dan, C-272/14, EU:C:2015:388, Rn. 25).

76Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Position der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile vom , DFDS, C-396/02, EU:C:2004:536, Rn. 27, vom , Intermodal Transports, C-495/03, EU:C:2005:552, Rn. 47, und vom , RUMA, C-183/06, EU:C:2007:110, Rn. 27).

77Hinsichtlich der Erläuterungen zum HS gilt außerdem, dass sie, obgleich sie nicht verbindlich sind, wichtige Hilfsmittel darstellen, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten, und als solche wertvolle Quellen für die Auslegung des Tarifs sind (Urteile vom , Kloosterboer Services, C-173/08, EU:C:2009:382, Rn. 25, und vom , Agroferm, C-568/11, EU:C:2013:407, Rn. 28). Das Gleiche gilt hinsichtlich der HS-Erläuterungen (vgl. Urteile vom , Develop Dr. Eisbein, C-35/93, EU:C:1994:252, Rn. 21, sowie vom , British Sky Broadcasting Group und Pace, C-288/09 und C-289/09, EU:C:2011:248, Rn. 92).

78Im Hinblick auf die Einreihung in die geeignete Position kann der Verwendungszweck des Erzeugnisses ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er dem Erzeugnis innewohnt, was anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses zu beurteilen ist (vgl. Urteil vom , Krings, C-130/02, EU:C:2004:122, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung handelt es sich bei der streitigen Ware um geschnittenen Tabak unterschiedlicher Größe, der hauptsächlich aus feinen, aber langen Fasern besteht und eine große Menge Granulat mit einem relativ großen Durchmesser enthält, in dem sich auch Stiele befinden, sowie Tabak in Pulverform. Ferner heißt es in der Vorlageentscheidung, es handele sich um "rauchfertigen Tabak".

80Da Schenker geltend macht, dass die Ware zur KN-Position 2401 gehöre, ist auf die Frage einzugehen, welche Merkmale eine Ware erfüllen muss, um in diese Position eingereiht zu werden.

81Die KN-Position 2401 umfasst ihrem Wortlaut nach "Tabak, unverarbeitet; Tabakabfälle".

82Hinsichtlich des "unverarbeiteten Tabaks" verweisen die KN-Erläuterungen zur KN-Position 2401 auf Ziff. 1 der HS-Erläuterungen zu dieser Position, wonach zu dieser Position Tabak in natürlichem Zustand in Form ganzer Pflanzen oder Blätter oder in Form getrockneter oder fermentierter Blätter gehört, wobei die Blätter ganz oder entrippt, beschnitten, gebrochen oder auch in regelmäßiger Form geschnitten sein können, es sich jedoch nicht um rauchfertigen Tabak handeln darf.

83Zu den "Tabakabfällen" gehören nach Ziff. 2 der HS-Erläuterungen zur KN-Position 2401 Blattstiele, Blattrippen, Abfälle vom Zuschneiden des Tabaks und Staub, die bei der Bearbeitung der Tabakblätter oder der Herstellung von Tabakwaren anfallen.

84Da aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass sich die im Ausgangsverfahren streitige Ware aus Bestandteilen zusammensetzt, die sich als "Tabakabfälle" einstufen lassen, aber gleichzeitig auch "rauchfertigen Tabak" darstellt, ist nach der Allgemeinen Vorschrift 3 b zur Auslegung der KN für die Tarifierung dieser Ware die Feststellung erforderlich, welcher der Stoffe, aus denen sie besteht, ihr ihren wesentlichen Charakter verleiht; hierzu kann geprüft werden, ob die Ware auch ohne den einen oder anderen ihrer Bestandteile ihre charakteristischen Eigenschaften behalten würde (Urteil vom , Kloosterboer Services, C-173/08, EU:C:2009:382, Rn. 31).

85Ferner kann sich, wie aus der Erläuterung VIII zum HS betreffend die Allgemeine Vorschrift 3 b zur Auslegung der KN hervorgeht, das Merkmal, das den wesentlichen Charakter bestimmt - je nach der Art des Erzeugnisses -, z. B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder seiner Bestandteile, aus seinem Umfang, seiner Menge, seinem Gewicht, seinem Wert oder aus der Bedeutung eines der Stoffe in Bezug auf die Verwendung dieses Erzeugnisses ergeben.

86Im vorliegenden Fall wird in der Vorlageentscheidung klargestellt, dass die betreffende Ware nicht aus getrockneten Tabakblättern in natürlichem Zustand besteht, sondern bei einer Gesamtbetrachtung aus rauchfertigem Tabak. Da das vorlegende Gericht das Vorhandensein von Tabakabfällen nicht als Hindernis dafür ansieht, das Erzeugnis als Ganzes als rauchfertigen Tabak einzustufen, kann es folglich nicht in die KN-Position 2401 eingereiht werden.

87Nach den HS-Erläuterungen zur KN-Position 2403 gehört zu dieser Position Rauchtabak.

88Die Erläuterungen zur KN stellen hinsichtlich der KN-Position 2403 10 90 speziell klar, dass Rauchtabak geschnittener Tabak ist, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.

89Die Abgrenzung zwischen Roh- oder unverarbeitetem Tabak und verarbeitetem Tabak erfolgt - wie die Generalanwältin in Nr. 60 ihrer Schlussanträge hervorhebt - danach, ob der Tabak als "rauchfertig" eingestuft werden kann.

90Folglich ist - wie die ungarische Regierung zutreffend ausführt - das entscheidende Kriterium, das es ermöglicht, ein Erzeugnis in die KN-Position 2403 statt in die KN-Position 2401 einzureihen, die Frage, ob die Tabakblätter so weit verarbeitet worden sind, dass es sich um verarbeiteten Tabak handelt, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Verbrauch eignet.

91Unter diesen Bedingungen ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware, da sie - wie aus Rn. 79 des vorliegenden Urteils hervorgeht - dem vorlegenden Gericht zufolge aus rauchfertigem Tabak besteht, der zudem lose und kompaktiert in mit Plastik ausgekleideten Kartons mit einem Nettogewicht von je 30 kg verpackt ist, in die KN-Unterposition 2403 10 90 einzureihen.

92Die KN-Unterposition 2403 10 10 betrifft nämlich Waren, die sich "in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 500 g oder weniger" befinden.

93Folglich ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 2658/87 dahin auszulegen ist, dass eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die aus Rauchtabak besteht, nicht in die KN-Position 2401 einzureihen ist, auch wenn sie Tabakabfälle enthält, sofern diese der bestimmungsgemäßen Verwendung des in Rede stehenden Erzeugnisses nicht im Weg stehen. Eine solche Ware kann jedoch in die KN-Position 2403 und insbesondere in die KN-Unterposition 2403 10 90 einzureihen sein, wenn sie lose und kompaktiert in mit Plastik ausgekleideten Kartons mit einem Nettogewicht von 30 kg verpackt ist.

Zur zweiten und zur dritten Frage

94Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff "zollrechtliches Nichterhebungsverfahren" in Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen ist, dass die Unterstellung einer bestimmten Ware unter das zollrechtliche Nichterhebungsverfahren in Frage gestellt werden kann, wenn in den Begleitdokumenten der Ware das Kapitel des Gemeinsamen Zolltarifs, unter das die betreffende Ware fällt, zutreffend, die konkrete Tarifposition hingegen unzutreffend angegeben ist, und ob Art. 2 Buchst. b und Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen sind, dass in einem solchen Fall eine Einfuhr der betreffenden Ware stattgefunden hat.

95Nach Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/118 werden verbrauchsteuerpflichtige Waren mit ihrer Einfuhr in das Unionsgebiet verbrauchsteuerpflichtig.

96Zunächst ist zu prüfen, ob eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Gegenstand einer "Einfuhr" im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/118 war.

97Nach Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2008/118 ist unter "Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren" deren Eingang in das Unionsgebiet zu verstehen, sofern die Waren bei ihrem Eingang in die Union nicht in ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren überführt werden, sowie die Entlassung dieser Waren aus einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren.

98Ferner gelten nach Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118 als "zollrechtliche Nichterhebungsverfahren" alle nach dem Zollkodex vorgesehenen besonderen Verfahren der Zollüberwachung für Nichtgemeinschaftswaren bei ihrem Eingang in das Zollgebiet der Union, die vorübergehende Verwahrung, Freizonen oder Freilager sowie alle Verfahren gemäß Art. 84 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex.

99Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren bei ihrer Verbringung in das Zollgebiet der Union in Slowenien gestellt wurden und im Rahmen des externen Versandverfahrens nach Ungarn gelangten, wo sie in das Verfahren der vorübergehenden Verwahrung und dann in das Zolllagerverfahren übergeführt wurden.

100Folglich wurden diese Waren mit ihrem Eintreffen im Zollgebiet der Union in ein "zollrechtliches Nichterhebungsverfahren" im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118 übergeführt, der auf Art. 84 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex verweist.

101Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Angabe einer falschen Tarifposition in einer summarischen Anmeldung zur vorübergehenden Verwahrung eine Entlassung der betreffenden Waren aus dem jeweiligen zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren zur Folge hat und ob dies zur Entstehung einer Zollschuld nach den Art. 202 und 204 des Zollkodex und des Verbrauchsteueranspruchs führt.

102Nach Art. 202 des Zollkodex ist unter "vorschriftswidrigem Verbringen" jedes Verbringen einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex in das Zollgebiet der Union oder, wenn sie sich in einer Freizone oder einem Freilager befindet, in einen anderen Teil dieses Gebiets zu verstehen (Urteil vom , Papismedov u. a., C-195/03, EU:C:2005:131, Rn. 25).

103Somit stellt die Einfuhr von Waren, die die folgenden - im Zollkodex vorgesehenen - Etappen nicht einhält, ein vorschriftswidriges Verbringen dar. Erstens müssen die in das Zollgebiet der Union verbrachten Waren nach Art. 38 Abs. 1 des Zollkodex unverzüglich zu der angegebenen Zollstelle oder in eine Freizone befördert werden. Zweitens müssen die Waren nach Art. 40 des Zollkodex, wenn sie bei der Zollstelle eintreffen, dort gestellt werden. Die Gestellung der Waren ist in Art. 4 Nr. 19 des Zollkodex definiert als die Mitteilung an die Zollbehörden in der vorgeschriebenen Form, dass sich die Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort befinden (Urteil vom , Papismedov u. a., C-195/03, EU:C:2005:131, Rn. 26).

104Zur Auslegung der Art. 40 und 43 bis 45 des Zollkodex hat der Gerichtshof entschieden, dass die Gestellung der Waren mit einer entsprechenden Verpflichtung verbunden ist, kurzfristig eine summarische Anmeldung abzugeben oder innerhalb dieser Frist die Förmlichkeiten zu erfüllen, damit die betreffenden Waren eine zollrechtliche Bestimmung erhalten; d. h., wenn beantragt wird, sie in ein Zollverfahren zu überführen, muss eine Zollanmeldung abgegeben werden. Insbesondere erfolgen diese beiden Vorgänge, wie sich aus Art. 43 Abs. 2 des Zollkodex ergibt, im Allgemeinen gleichzeitig, da die Frist, die die Zollbehörden für die Abgabe dieser Anmeldung einräumen können, spätestens am ersten Arbeitstag nach dem Tag der Gestellung der Waren endet. Im Übrigen muss die summarische Anmeldung gemäß Art. 44 Abs. 1 des Zollkodex die für die Erfassung der Waren erforderlichen Angaben enthalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Papismedov u. a., C-195/03, EU:C:2005:131, Rn. 30).

105Die Art. 43 bis 45 des Zollkodex wurden zwar durch die Verordnung Nr. 648/2005 aufgehoben. Wie die Generalanwältin in Nr. 122 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist der Zusammenhang zwischen der Gestellung der Waren gemäß Art. 40 des Zollkodex und der summarischen Anmeldung aber nunmehr ausdrücklich in Art. 186 Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung vorgesehen.

106Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass es, wenn bei der Gestellung der Waren gemäß Art. 40 des Zollkodex gleichzeitig eine summarische Anmeldung zur vorübergehenden Verwahrung gemäß Art. 186 der Durchführungsverordnung abgegeben wird, bei der die Beschreibung der Warenart nicht mit den Tatsachen übereinstimmt, an der Mitteilung an die Zollbehörden gemäß Art. 4 Nr. 19 des Zollkodex fehlt, dass die Waren eingetroffen sind. Wird in dieser Anmeldung ein wichtiger Teil der gestellten Waren nicht erwähnt, muss angenommen werden, dass sie vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht wurden (vgl. entsprechend Urteil vom , Papismedov u. a., C-195/03, EU:C:2005:131, Rn. 31).

107Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die summarische Anmeldung im Ausgangsverfahren - anders als in dem Sachverhalt, der Gegenstand des Urteils vom , Papismedov u. a. (C-195/03, EU:C:2005:131), war - die für die Erfassung der Waren erforderlichen Informationen enthielt. Die Ware war nämlich nach den Angaben des vorlegenden Gerichts unter einer zutreffenden Bezeichnung angemeldet worden, lediglich die Tarifunterposition war falsch, während die Art der Ware, ihre Menge und ihre Präsentation ordnungsgemäß angegeben wurden.

108Unter diesen Bedingungen kann nicht angenommen werden, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren im Sinne von Art. 202 des Zollkodex vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union gelangt sind. Sie durften daher bei ihrem Eintreffen in Slowenien einem "zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren" im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118 unterworfen werden, da keine Einfuhr im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie stattgefunden hatte und der Verbrauchsteueranspruch nicht entstanden war.

109In Bezug auf Art. 204 des Zollkodex muss geprüft werden, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren anschließend ordnungsgemäß in das externe Versandverfahren sowie in Ungarn in das Zolllagerverfahren übergeführt wurden, um zu klären, ob nach Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2008/118 der Verbrauchsteueranspruch entstanden ist oder nicht.

110Gemäß Art. 59 Abs. 1 des Zollkodex sind alle Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt werden sollen, zu dem betreffenden Verfahren anzumelden.

111Insoweit hat der Gerichtshof bei der Prüfung der Rechtsnatur und der Tragweite von Zollanmeldungen in Rn. 40 des Urteils vom , DP grup (C-138/10, EU:C:2011:587), entschieden, dass zur Verpflichtung des Anmelders, richtige Angaben zu machen, auch die Angabe der korrekten Unterposition im Rahmen der zolltariflichen Einreihung der Ware gehört, wobei der Anmelder nach Art. 12 des Zollkodex in Zweifelsfällen bei den Zollbehörden eine verbindliche Zollauskunft beantragen kann.

112Somit ist nicht ausgeschlossen, dass eine Zollschuld auf der Grundlage von Art. 204 des Zollkodex entstehen kann.

113Nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus ihrer vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, es sei denn, dass sich diese Verfehlung nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat.

114Im Ausgangsverfahren wurden die Waren in das zutreffende Kapitel der KN, aber in eine unzutreffende KN-Unterposition eingereiht.

115Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 859 der Durchführungsverordnung eine wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen im Sinne des Art. 204 des Zollkodex enthält, die "sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben" (Urteil vom , Eurogate Distribution, C-28/11, EU:C:2012:533, Rn. 34).

116Nach Art. 859 der Durchführungsverordnung gilt die Nichteinhaltung einer der aus der Inanspruchnahme eines Transitverfahrens erwachsenen Verpflichtungen als Verfehlung, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung dieses Verfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat, wenn die drei in Nr. 2 dieses Artikels angeführten Voraussetzungen erfüllt sind und die drei im Einleitungssatz dieses Artikels angeführten Voraussetzungen vorliegen.

117Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob im Ausgangsverfahren alle diese Voraussetzungen erfüllt sind.

118Falls dies zu bejahen ist, kann der Fehler bei der Einreihung der Waren als Verfehlung angesehen werden, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der aufeinander folgenden Zollverfahren nicht wirklich ausgewirkt hat.

119Erst nach Vornahme der in Rn. 116 angesprochenen Prüfungen ist das vorlegende Gericht in der Lage, festzustellen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware mit ihrem Eintreffen im Unionsgebiet einem "zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren" im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118 unterworfen wurde.

120Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass der Begriff "zollrechtliches Nichterhebungsverfahren" in Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen ist, dass die Unterstellung einer bestimmten Ware unter das zollrechtliche Nichterhebungsverfahren nicht in Frage gestellt werden kann, wenn in ihren Begleitdokumenten das Kapitel des Gemeinsamen Zolltarifs, zu dem sie gehört, zutreffend, die konkrete Unterposition hingegen unzutreffend angegeben ist. In einem solchen Fall sind Art. 2 Buchst. b und Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen, dass keine Einfuhr der betreffenden Ware stattgefunden hat und diese nicht verbrauchsteuerpflichtig ist.

Zur vierten Frage

121Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff "Unregelmäßigkeit" im Sinne von Art. 38 der Richtlinie 2008/118 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen ist, dass er eine Ware erfasst, die einem "zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren" im Sinne von Art. 4 Nr. 6 dieser Richtlinie unterworfen wird und in deren Begleitdokument eine unzutreffende tarifliche Einreihung angeben ist.

122Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118 bestimmt, dass in Fällen, in denen während der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Mitgliedstaat, der nicht der Mitgliedstaat ist, in dem die Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt wurden, eine Unregelmäßigkeit begangen wurde, diese Waren der Verbrauchsteuer unterliegen, die in dem Mitgliedstaat anfällt, in dem die Unregelmäßigkeit eingetreten ist.

123Nach Art. 38 Abs. 2 dieser Richtlinie gilt, wenn während der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren eine Unregelmäßigkeit festgestellt wurde und sich der Ort, an dem sie begangen wurde, nicht feststellen lässt, die Unregelmäßigkeit als in dem Mitgliedstaat begangen, in dem sie entdeckt wurde, und die Verbrauchsteuer ist in diesem Mitgliedstaat zu entrichten.

124Der in Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118 verwendete Begriff der Unregelmäßigkeiten wird in Abs. 4 dieses Artikels definiert. Nach dieser Vorschrift gilt als "Unregelmäßigkeit" u. a. ein während einer Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren nach Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie eintretender Fall, aufgrund dessen eine Beförderung oder ein Teil einer Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren nicht ordnungsgemäß beendet wurde.

125Eine Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Sinne von Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118 liegt vor, wenn Waren in einem Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden sind und zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden und dort zur Lieferung oder Verwendung vorgesehen sind.

126In einer Situation, wie sie dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegt, sind die Voraussetzungen von Art. 38 Abs. 4 der Richtlinie 2008/118 in Verbindung mit deren Art. 33 Abs. 1 nicht als erfüllt anzusehen.

127Zum einen wurden die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren in Slowenien nicht in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt, weil sie einem "zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren" im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118 unterworfen wurden, und zum anderen wurden sie in Ungarn nicht zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten und waren dort nicht zur Lieferung oder Verwendung vorgesehen, sondern zur Wiederausfuhr in die Ukraine bestimmt.

128In Anbetracht dessen ist auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass der Begriff "Unregelmäßigkeit" im Sinne von Art. 38 der Richtlinie 2008/118 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen ist, dass er eine Ware, die einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterworfen wird und in deren Begleitdokument eine unzutreffende tarifliche Einreihung angegeben ist, nicht erfasst.

Kosten

129Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die aus Rauchtabak besteht, nicht in die Position 2401 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung Nr. 861/2010 geänderten Fassung einzureihen ist, auch wenn sie Tabakabfälle enthält, sofern diese der bestimmungsgemäßen Verwendung des in Rede stehenden Erzeugnisses nicht im Weg stehen. Eine solche Ware kann jedoch in die Position 2403 der Kombinierten Nomenklatur und insbesondere in deren Unterposition 2403 10 90 einzureihen sein, wenn sie lose und kompaktiert in mit Plastik ausgekleideten Kartons mit einem Nettogewicht von 30 kg verpackt ist.

2. Der Begriff "zollrechtliches Nichterhebungsverfahren" in Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG ist dahin auszulegen, dass die Unterstellung einer bestimmten Ware unter das zollrechtliche Nichterhebungsverfahren nicht in Frage gestellt werden kann, wenn in ihren Begleitdokumenten das Kapitel des Gemeinsamen Zolltarifs, zu dem sie gehört, zutreffend, die konkrete Unterposition hingegen unzutreffend angegeben ist. In einem solchen Fall sind Art. 2 Buchst. b und Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen, dass keine Einfuhr der betreffenden Ware stattgefunden hat und diese nicht verbrauchsteuerpflichtig ist.

3. Der Begriff "Unregelmäßigkeit" im Sinne von Art. 38 der Richtlinie 2008/118 ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass er eine Ware, die einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterworfen wird und in deren Begleitdokument eine unzutreffende tarifliche Einreihung angegeben ist, nicht erfasst.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
CAAAF-83123