BVerwG Beschluss v. - 8 B 2.15

Instanzenzug:

Gründe

1Die Klägerin veräußerte ihre Beteiligung an der Bank für B. AG im Februar 1938 verfolgungsbedingt im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG. Im Februar 2012 stellte die Beklagte die Berechtigung der Klägerin hinsichtlich einer Beteiligung in Höhe von 34,484 % an der genannten Bank fest. Die Klägerin hat Klage mit dem Ziel erhoben, hinsichtlich weiterer 5 % als Berechtigte festgestellt zu werden. Zur Begründung hat sie auf Unterlagen verwiesen, nach denen sie noch im März 1938 Inhaberin eines Depots gewesen sei, in dem sich Aktien der Bank für B. AG in Höhe von 5 % des Grundkapitals befunden hätten. Dieses Depot habe eine Sicherheitsleistung für etwa fällig werdende Reichsfluchtsteuern dargestellt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Verpfändung der Aktien stelle keinen endgültigen Vermögensverlust dar. Das weitere Schicksal der Aktien sei ungeklärt. Insoweit könne kein Vermögensverlust festgestellt werden, an den die Vermutung der Verfolgungsbedingtheit anknüpfen könnte.

2Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

31. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, wenn die Rechtssache eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung ist (vgl. 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

4Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,

ob die Hinterlegung von Wertpapieren, wie z.B. Aktien, beim jeweils zuständigen Finanzamt als Sicherheit für eine anfallende Reichsfluchtsteuer einen Vermögensverlust im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG darstellt, soweit sich eine Rückgabe nicht nachweisen lässt,

erfordert keine Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lässt sich anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten (vgl. zu diesen Kriterien 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass bei der Prüfung, ob ein Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG eingetreten ist, auf eine faktische Betrachtungsweise abzustellen ist, weil nur dies den historischen Gegebenheiten gerecht wird und eine Annäherung an die damals jenseits des Rechtlichen herrschende Wirklichkeit zulässt. Es kommt mithin bei der Prüfung des § 1 Abs. 6 VermG darauf an, ob im jeweils zu beurteilenden Einzelfall in der Rechtswirklichkeit die vollständige und endgültige Verdrängung des damaligen Eigentümers zum Ausdruck gekommen ist (vgl. zuletzt 8 B 75.14 - ZOV 2015, 220). Für die diesbezügliche richterliche Überzeugungsbildung gelten die allgemeinen Beweisregeln, wonach die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, grundsätzlich zu ihren Lasten geht (vgl. 8 B 94.13 - ZOV 2014, 174). Mit diesen Grundsätzen wäre eine Beweisregel im Sinne der von der Klägerin gestellten Frage nicht vereinbar. Denn sie würde die Rechtswirklichkeit jenseits der von ihr genannten Kriterien für den Vermögensverlust ausblenden und damit zugleich eine im Gesetz nicht vorgesehene Vermutung einer Vermögensentziehung in den genannten Fällen einführen.

52. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rn. 222 m.w.N.).

6a) Die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht habe den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 55 VwGO i.V.m. § 169 GVG) dadurch verletzt, dass sich am Tag der mündlichen Verhandlung weder vor noch während der mündlichen Verhandlung ein Hinweis auf das streitgegenständliche Verfahren am Gerichtssaal befunden hätte. Stattdessen habe sich lediglich ein Verweis auf den Terminaushang im Wartebereich befunden, den man auf dem Weg zum Gerichtssaal nicht passieren müsse. Damit ist ein Verfahrensmangel nicht bezeichnet. Denn aus den Vorschriften über die Wahrung der Öffentlichkeit bei mündlichen Verhandlungen folgt überhaupt keine Verpflichtung, mündliche Verhandlungen durch Aushang bekannt zu machen (vgl. 4 CB 60.70 - JR 1972, 521).

7b) Die Beschwerde meint weiter, das Verwaltungsgericht habe dadurch gegen den in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO normierten Überzeugungsgrundsatz verstoßen, dass es sich aufgrund lediglich theoretisch möglicher Alternativsachverhalte gehindert gesehen habe, im Sinne des Klagebegehrens von einem verfolgungsbedingten Vermögensverlust hinsichtlich der hinterlegten Aktien auszugehen. Damit ist ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht bezeichnet. Nach § 108 Abs. 1 VwGO hat der Tatrichter ohne Bindung an Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch setzt das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen ( 7 B 106.02 - NVwZ 2003, 1132 <1135>; - NJW 1993, 935 <937>). Von diesem Maßstab für die Überzeugungsbildung, der auch für den Nachweis eines Vermögensverlusts gemäß § 1 Abs. 6 VermG gilt (vgl. 8 B 94.13 - ZOV 2014, 174) ist das Verwaltungsgericht ausgegangen (UA S. 6) und hat ihn in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise angewendet. Insbesondere ist insoweit nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht angesichts des Fehlens jeglicher Informationen zum weiteren Schicksal der verpfändeten Wertpapiere davon ausgegangen ist, es könne einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust nur annehmen, wenn alle denkbaren, den Tatbestand nicht erfüllenden Sachverhalte nach dem oben dargestellten Beweismaßstab ausgeschlossen seien. Das folgt aus der für den streitgegenständlichen Anspruch geltenden Beweislastverteilung, wonach der Anspruchsteller die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Vermögensverlusts trägt und zu seinen Gunsten eine Vermutung der Verfolgungsbedingtheit seines Vermögensverlusts erst und nur dann eintritt, wenn dieser Vermögensverlust bestimmte weitere Kriterien erfüllt ( 7 C 16.05 - ZOV 2006, 384 <385>). Schließlich hat das Verwaltungsgericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen gestellt und hinsichtlich der von ihm benannten Alternativsachverhalte keine nur theoretische Möglichkeit genügen lassen, sondern jeweils eine gewisse Wahrscheinlichkeit verlangt, die nach dem dargelegten Beweismaßstab nicht die Überzeugung zuließ, dass keiner der Alternativsachverhalte vorlag. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.

8Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
PAAAF-81717