BGH Beschluss v. - 1 StR 219/16

Strafurteil wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Absehen von der Maßregelanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen angeblich fehlendem Hang zu Betäubungsmittelkonsum

Gesetze: § 64 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Instanzenzug: LG Würzburg Az: 8 KLs 862 Js 11342/15

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

2Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift der Generalbundesanwalt vom unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

3Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies führt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs.

41. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 3/4) konsumierte der Angeklagte erstmals mit 15 Jahren Cannabis. Während dieser Konsum anfänglich nur gelegentlich erfolgte, erhöhte er sich bis Februar 2015 auf zwei Gramm täglich und steigerte sich in der Folge bis zur Inhaftierung des Angeklagten sogar auf ungefähr das Doppelte der bisherigen Tagesdosis. Das Landgericht geht deshalb auch davon aus, dass dreihundert Gramm des an den Angeklagten gelieferten Marihuanas aus der verfahrensgegenständlichen Tat seinem Eigenkonsum dienen sollten und stellt dazu fest (UA S. 7): "Der Angeklagte beging die Tat auch, um seinen eigenen Marihuanakonsum zu fördern."

5Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht das Landgericht (UA S. 13) im Rahmen der Ausführungen zum Maßregelausspruch im Folgenden aber davon aus, dass bei dem Angeklagten weder eine körperliche noch ein psychische Abhängigkeit von Cannabinoiden gegeben sei, so dass es bereits an einem Hang fehle, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Zur weiteren Begründung verweist das Landgericht hier vor allem noch darauf, dass der Angeklagte seinen Betäubungsmittelkonsum kontrollieren könne, indem er vor wichtigen Terminen vom Konsum von Cannabinoiden abgesehen bzw. diesen reduziert habe.

62. Diese Ausführungen lassen – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist, und enthalten keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.

7a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. ; Urteile vom – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom – 3 StR 103/15). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204).

8b) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht, weil es weder die lange Konsumdauer noch die konsumierte Menge im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung in den Blick nimmt.

9Hinzu kommt, dass auch die Schlussfolgerungen des Landgerichts, die sich überwiegend auf die Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen stützen, auf der Grundlage der Darstellungen im Urteil nicht uneingeschränkt nachvollziehbar sind. In Ermangelung einer nachvollziehbaren Darstellung der den sachverständigen Wertungen zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen bleibt weitgehend unklar, wie die Sachverständige zu den von ihr gezogenen Schlüssen gelangt ist. Dies gilt vor allem für die Wertung, bei dem Angeklagten sei zwar ein Verlangen, nicht aber eine Art Zwang oder starker Wunsch nach Cannabis auszumachen. Zudem bleibt unklar, warum das Gericht hinsichtlich der Frage, ob bei dem Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von Cannabis vorhanden ist, von den insoweit verneinenden Ausführungen der Sachverständigen ohne weitere Begründung abgewichen ist (siehe einerseits UA S. 9, andererseits UA S. 13).

103. Die rechtsfehlerhaften Ausführungen zur Rauschmittelabhängigkeit berühren auch den Strafausspruch. Der Senat kann im vorliegenden Einzelfall nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte und hebt deshalb den Strafausspruch ebenfalls auf.

114. Die zugehörigen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

Raum                        Graf                        Jäger

             Mosbacher                   Bär

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:140616B1STR219.16.0

Fundstelle(n):
TAAAF-78568