(Soziales Entschädigungsrecht - Soldatenversorgung - beamtenrechtliche Unfallfürsorge - Ruhen der Versorgungsleistungen nach § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG - Ermittlung des Ruhensbetrags - Bruttodifferenz - Verfassungsrecht - Gleichheitssatz - Eigentumsgarantie)
Leitsatz
Der Anspruch auf Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz ruht neben einer beamtenrechtlichen Versorgung, wenn beide Ansprüche auf derselben Ursache beruhen, in Höhe der Differenz der Nennbeträge (Bruttodifferenz) zwischen einer (fiktiven) Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen und der tatsächlich gezahlten beamtenrechtlichen Unfallfürsorge.
Gesetze: § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG, § 30 Abs 6 BVG, § 30 Abs 7 BVG, § 30 Abs 8 BVG, § 30 Abs 13 S 1 BVG, § 31 Abs 1 S 1 BVG, KOVStruktG 1990, BVGÄndG 2007, § 27 SVG, § 80 S 1 SVG, § 36 BeamtVG, § 45 Abs 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 2 SGB 10, § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10, § 50 Abs 1 SGB 10, § 50 Abs 2 SGB 10, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 GG
Instanzenzug: SG Würzburg Az: S 5 VS 8/10 Gerichtsbescheidvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 15 VS 8/11 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beschädigtenversorgung unter dem Aspekt des Ruhens wegen des gleichzeitigen Bezugs von Unfallfürsorgeleistungen.
2Der am geborene Kläger war in der Zeit vom bis Berufssoldat bei der Bundeswehr, zuletzt im Dienstrang eines Hauptfeldwebels. Bei einer Nahkampfausbildung erlitt er ua eine Schulterverletzung, die schließlich zu seiner Dienstunfähigkeit und seiner Versetzung in den Ruhestand führte. Die Verletzung des Klägers ist ab als Wehrdienstbeschädigung bei einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 90 mit besonderer beruflicher Betroffenheit (Bescheid von ) sowie zugleich als Dienstunfall im Sinne beamtenrechtlicher Vorschriften anerkannt, die auf ihn als ehemaligen Berufssoldaten entsprechend anwendbar sind. Dem Kläger sind daher sowohl Leistungen der versorgungsrechtlichen Beschädigten- als auch der Beamtenversorgung zuerkannt worden. Zum einen wird ihm nach § 27 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm § 36 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) als so genannte beamtenrechtliche Unfallfürsorge ein erhöhtes Ruhegehalt (Unfallruhegeld) gewährt, weil er aufgrund seines Dienstunfalls dienstunfähig geworden ist. Dieses belief sich ab auf 2006,11 Euro. Neben dieser Leistung der Beamtenversorgung erhält der Kläger wegen seiner Wehrdienstbeschädigung Versorgung nach § 80 SVG iVm §§ 30, 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Form von Grundrente sowie von Berufsschadensausgleich (< BSA>, Bescheid vom ). Grundrente und BSA bekommt der Kläger allerdings unter Bezug auf § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG seit Beginn der Versorgung nicht in voller Höhe ausgezahlt. § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG ordnet das teilweise Ruhen des Anspruchs auf Versorgung wegen der Wehrdienstbeschädigung bei gleichzeitigem Bezug von Leistungen der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge an. Als Höhe des Ruhensbetrags bestimmt die Vorschrift den Unterschied zwischen einer (fiktiven) niedrigeren Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen ohne Dienstunfall und aus der tatsächlich gewährten, wegen der Folgen des Dienstunfalls erhöhten beamtenrechtlichen Unfallfürsorge.
3Mit Bescheid vom stellte der Freistaat Bayern (ehemaliger Träger der Versorgungsverwaltung und Beklagter) zum wiederholten Mal den Anspruch des Klägers auf Beschädigtenversorgung rückwirkend ab neu fest, weil sich sein Einkommen erhöht hatte. Die Grundrente belief sich danach ab Juli 2009 auf 576 Euro, der BSA auf 590 Euro. Zum Ruhen gebracht wurde ein Betrag von 194 Euro. Damit erhielt der Kläger neben seinem Unfallruhegeld ab Juli 2009 monatliche Versorgungsbezüge nach dem BVG von insgesamt 972 Euro.
4Im vom Kläger angestrengten Widerspruchsverfahren korrigierte der Freistaat Bayern nach Anhörung des Klägers den angefochtenen Bescheid und senkte damit nochmals die Höhe der Versorgungsbezüge (Bescheid vom ). Er beließ die Grundrente bei 576 Euro, senkte den BSA wegen Einkommensänderungen rückwirkend ab auf 586 Euro und erhöhte vor allem den Ruhensbetrag der Versorgungsbezüge aus dem BVG für die Zukunft ab dem , von 194 Euro auf monatlich 291 Euro. Als Ruhensbetrag legte die Versorgungsverwaltung dabei - wie in den vorangegangenen Bescheiden - die Differenz zwischen den von der zuständigen Wehrbereichsverwaltung mitgeteilten, als "brutto" bezeichneten Nennbeträgen des tatsächlich gezahlten Unfallruhegelds des Klägers nach § 36 BeamtVG (in Höhe von 2006,11 Euro) und seinen (fiktiven) Versorgungsbezügen (in Höhe von 1714,59 Euro) nach den allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen zugrunde, ohne von den mitgeteilten Beträgen Abzüge vorzunehmen. Eine Erhöhung des nach dieser - im Vergleich zu den Vorbescheiden unveränderten - Formel berechneten Ruhensbetrags ergab sich deshalb, weil seit 2007 zu Gunsten des Klägers wegen der irrtümlichen Berücksichtigung eines Familienzuschlags zu hohe fiktive Beamtenbezüge angesetzt worden waren. Insbesondere aufgrund der Korrektur des Ruhensbetrags sank der monatliche Zahlbetrag der Versorgungsbezüge auf 871 Euro. Wegen Überzahlung zurückgefordert wurden weitere 187 Euro und damit insgesamt 1405 Euro.
5Die vom Kläger nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom ) zum SG Würzburg erhobene Klage blieb ebenfalls ohne Erfolg (Gerichtsbescheid vom ).
6Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen (Urteil vom ). Die allein noch streitige Berechnung des Ruhensbetrags nach Bruttobeträgen sei nicht zu beanstanden. Für die vom Kläger verlangte Berechnung nach Nettobeträgen fehle es an einer Rechtsgrundlage, da § 65 BVG nicht auf die geänderte Vorschrift des § 30 BVG verweise. Das habe bereits das - zur damals geltenden und heute wortgleichen Fassung des § 65 BVG entschieden. Eine Änderung dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber seitdem nicht vorgenommen.
7Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 65 BVG). Zu Unrecht sei bei seinen Versorgungsbezügen ein Betrag in Höhe von 291 Euro anstatt richtigerweise nur 185 Euro zum Ruhen gebracht worden. Bei diesem Betrag handele es sich nämlich um einen Bruttobetrag, der - bevor er in Abzug gebracht werden dürfe - erst in einen Nettobetrag umgerechnet und dadurch gesenkt werden müsse. Für die Umrechnung könne auf die in § 30 Abs 6 bis 8 BVG normierten Berechnungsregelungen zurückgegriffen werden. Bei dem in § 65 BVG genannten Anspruch auf Versorgungsbezüge, der im Sinne der gesetzlichen Regelung zum Ruhen gebracht werde, handele es sich um den Anspruch auf BSA. Dieser werde seit 1990 nicht mehr anhand von Bruttobeträgen, sondern nach dem Nettopauschalprinzip ermittelt. Entsprechend handele es sich bei dem in § 65 BVG genannten Anspruch auf Versorgungsbezüge ebenfalls um einen Nettobetrag. Auf die Rechtsprechung vor Änderung der gesetzlichen Systematik könne nicht mehr verwiesen werden.
10Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil, das sie für zutreffend hält.
Gründe
11Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
121. Als Streitgegenstand verbleibt nach dem zuletzt gestellten Revisionsantrag des Klägers allein noch der Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom . Die Verfügungssätze dieses Bescheids enthalten drei gesonderte Regelungen. Er nimmt - erstens - in seinen Ziff I und II die bisherige niedrigere Festsetzung des Ruhensbetrags der Versorgungsbezüge des Klägers nach § 45 Abs 1 und 2 SGB X iVm § 80 S 1 SVG und § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG für die Zukunft (ab dem ) zurück, erhöht von diesem Zeitpunkt an den Ruhensbetrag (von 194 auf 291 Euro) und senkt entsprechend den monatlichen Zahlbetrag der Versorgungsbezüge auf 871 Euro ab. Der Bescheid stellt - zweitens - in Ziff III den BSA des Klägers nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X wegen Einkommensänderungen rückwirkend ab niedriger neu fest und ordnet - drittens - in Ziff IV die Erstattung der überzahlten Beträge an. Bei der Neufestsetzung des Ruhensbetrags im Verfügungssatz des Bescheids unter Ziff I und II, gegen die sich die Revision im Kern richtet, handelt es sich um einen gesondert anfechtbaren Verwaltungsakt (<VA>; vgl - Juris mwN; allg zum VA-Charakter einer Ruhensregelung vgl - BSGE 82, 83 ff). Der Kläger wendet sich daher dagegen und gegen die Festsetzung des neuen Zahlbetrags seiner Versorgungsbezüge zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage auf erneute Gewährung höherer Versorgungsbezüge, § 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG. Die Anfechtungsklage des Klägers richtet sich dabei zugleich gegen die in Ziff IV des Bescheids durch Verweis auf die Bescheidanlage geregelte Rückzahlungsverpflichtung, soweit sie aus der von ihm angegriffenen Erhöhung des Ruhensbetrags folgt. Sie umfasst dagegen nicht die rückwirkende Neufestsetzung des BSA in Ziff III des Bescheids wegen Einkommensänderungen, weil der Kläger dagegen nichts (mehr) einzuwenden hat.
132. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland ist passivlegitimiert. Im Berufungsverfahren ist auf der Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten (zur Zulässigkeit s - SozR 4-3800 § 1 Nr 20 = BSGE 113, 205). Der zunächst beklagte Träger der Versorgungsverwaltung (Freistaat Bayern) ist aus dem Verfahren ausgeschieden und die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, im Wege einer Funktionsnachfolge in das Verfahren eingetreten (s hierzu ausführlich - SozR 4-3100 § 62 Nr 3 RdNr 13, 14).
143. Der Kläger hat keinen Anspruch auf erneute Gewährung höherer Versorgungsleistungen gegen die Beklagte nach § 80 S 1 SVG iVm §§ 30, 31 BVG ab dem , weil die Erhöhung des Ruhensbetrags von 194 Euro auf 291 Euro in Ziff I und II des Bescheids vom rechtmäßig war.
15a) Rechtgrundlage für die Erhöhung des Ruhensbetrags ist § 45 SGB X iVm § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG. Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Dies gilt auch für Zuungunsten-Korrekturen im laufenden Widerspruchsverfahren (vgl BSGE 71, 274 = BSG SozR 3-1500 § 85 Nr 1). Ein solcher begünstigender Verwaltungsakt war aus der Regelungsperspektive des Bescheides vom insoweit der Bescheid vom , der die Höhe der Versorgungsbezüge des Klägers neu festgestellt hat. Diese Festsetzung war teilweise rechtswidrig. Nach den für den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG hatte die Berechnung des bisherigen Ruhensbetrags von 194 Euro nach § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG zugunsten des Klägers irrtümlich noch einen Kinderzuschlag für seine Tochter in die Vergleichsgröße der (fiktiven) Bezüge nach allgemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften eingestellt. Dadurch war der Ruhensbetrag zu niedrig und die Höhe der Versorgungsbezüge entsprechend zu hoch festgesetzt worden.
16Diese zu niedrige Festsetzung des Ruhensbetrags erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis rechtmäßig. Wie die Vorinstanzen zu Recht angenommen haben, ist der Ruhensbetrag nach § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG auf die richtige Art und Weise, wenn auch mit einer falschen Rechengröße, festgesetzt worden; eine gesetzliche Grundlage für die vom Kläger verlangte Berechnung nach dem Nettopauschalprinzip, das seit dem Gesetz zur Verbesserung der Struktur der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (KOV-Strukturgesetz 1990 <KOVStruktG 1990>) vom (BGBl I 582) in § 30 Abs 6 bis 8 BVG ergänzend und seit dem Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts (BVG-Änderungsgesetz 2007 <BVGÄndG 2007>) vom (BGBl I 2904) in § 30 Abs 6 BVG ausschließlich dem BSA zugrunde liegt (dazu näher unter cc.), oder nach einer vergleichbaren Rechenformel existiert dagegen nicht.
17Die Ruhensregelung verfolgt den Zweck, Doppelleistungen wegen derselben Ursache aus unterschiedlichen öffentlichen Kassen zu vermeiden (dazu aa.). Das BSG hat bereits im Jahre 1957 entschieden, dass es sich bei dem zum Ruhen zu bringenden Betrag um einen Bruttobetrag handelt (dazu bb.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (dazu cc.). Verfassungsrechtliche Bedenken hegt der Senat nicht (dazu dd.).
18aa. Nach § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG ruht der Anspruch auf Versorgungsbezüge in Höhe des Unterschieds zwischen einer (fiktiven) Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen und aus der (tatsächlich gezahlten) beamtenrechtlichen Unfallfürsorge, wenn beide Ansprüche auf derselben Ursache beruhen. Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Vorschrift ist es, eine Doppelversorgung wegen derselben Ursache aus verschiedenen öffentlichen Kassen bzw aus öffentlichen Mitteln zu verhindern (s BT-Drucks Nr 1/1333 S 65; - BSGE 4, 281; zuletzt - SozR 4-4200 § 11 Nr 65 = BSGE 114, 249). Dazu wird die Entschädigungslast nicht vollständig dem einen oder anderen System zugewiesen, sondern unter Aufrechterhaltung beider Ansprüche ein entsprechendes Ruhen der Ansprüche nach dem BVG angeordnet (s Dau, in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012, § 65 BVG RdNr 7). Damit behält der Berechtigte zwar den Anspruch auf die Versorgungsleistung. Die jeweils fälligen Einzelleistungen werden aber sinngemäß durch die höheren Bezüge aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge als abgegolten angesehen (vgl - SozR Nr 1 zu § 14 DVO zu § 33 BVG).
19bb. Bereits mit Urteil vom hat das BSG entschieden, dass der Unterschied zwischen einer Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen und aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge der von der Behörde festzusetzende Bruttobetrag ist, um den das Ruhegehalt nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen überschritten wird ( - BSGE 4, 281). Das Gericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, unter Zugrundelegung eines Nettobetrags wäre der Ruhensbetrag von Umständen abhängig, die in diesem Zusammenhang keine Bedeutung gewinnen dürften, nämlich von der Höhe der Einkommensteuer, die bei den einzelnen Anspruchsberechtigten je nach ihrem Familienstand, der Anzahl der Kinder und dem steuerfreien Betrag verschieden hoch ist. Wenn sich aus der vom Gesetzgeber durch § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG getroffenen Regelung im Einzelfall Härten ergäben, so seien die Gerichte nicht in der Lage, diese auszugleichen. Das sei vielmehr eine Angelegenheit der Gesetzgebung.
20cc. An dieser Rechtsprechung hält der Senat weiterhin fest. Wie das LSG zutreffend angenommen hat, enthält § 65 BVG nach wie vor keine gesetzliche Grundlage für die Umrechnung der Versorgungsbezüge des Klägers in Nettobeträge.
21Der Wortlaut des § 65 BVG sieht keine solche Umrechnung vor. § 65 BVG regelt das Ruhen von Ansprüchen auf Versorgungsbezüge. Anspruch meint hier das Recht des Versorgungsempfängers, die Zahlung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen zu verlangen (vgl - BSGE 91, 211). Als Teil der Beschädigtenrente iS der §§ 29 ff BVG bildet der BSA nur eine (mögliche) Art eines Versorgungsbezugs. Schon deshalb vermag die allein auf den BSA zugeschnittene Argumentation des Klägers in Bezug auf § 65 BVG nicht zu überzeugen. Zudem hängt die Höhe des Anspruchs auf Zahlung von Versorgungsbezügen gegen deren Schuldner nicht davon ab, ob und wieviel Steuern darauf abzuführen sind. Ein solcher Steuerabzug geschieht in Erfüllung der Steuerpflicht des Versorgungsempfängers gegenüber dem Fiskus, schmälert aber nicht seinen Anspruch auf Geldleistungen gegen den Schuldner der Versorgungsbezüge. § 65 BVG meint daher nach seinem Wortlaut Bruttobezüge unbeschadet etwaiger Steuerabzüge.
22Die Gesetzessystematik steht der vom Kläger geforderten Umrechnung in Nettobeträge ebenfalls entgegen. § 65 BVG verweist auf keine Umrechnungsregeln, insbesondere nicht auf § 30 Abs 6 bis 8 BVG. Anhaltspunkte für eine planwidrige Gesetzeslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung entsprechender Vorschriften sind nicht ersichtlich. Der Verzicht auf eine Umrechnung in Nettobeträge entspricht vielmehr der sonstigen gesetzlichen Systematik der Ruhensvorschriften. Dies zeigt etwa die im Fall des Klägers neben § 65 BVG gleichfalls anwendbare Ruhensvorschrift des § 30 Abs 13 S 1 BVG. Danach ruht der Anspruch auf BSA in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs 1 S 1 BVG erzielten Mehrbetrags, wenn die Grundrente wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erhöht worden ist. Auch diese Vorschrift ordnet weder eine Umrechnung des genannten Mehrbetrags an, noch verweist sie auf andere Umrechnungsregeln.
23Schließlich lässt sich eine Berechnung anhand von Nettobeträgen entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus der Gesamtsystematik des BVG, speziell der Einführung des Nettopauschalsystems im Rahmen des BSA im Jahr 1990, ableiten. Der bereits mit Wirkung zum in das BVG eingefügte BSA (BGBl I 453) soll einen durch Schädigungsfolgen bedingten Verlust an Erwerbseinkommen in generalisierter und pauschalierter Form ausgleichen (s Dau, aaO, § 30 BVG RdNr 21; Hansen, Der Berufsschadensausgleich, 1996, S 14 f). Der Einkommensverlust bemisst sich nach § 30 Abs 3 ff BVG anhand eines Vergleichs des tatsächlichen Einkommens und des Einkommens, das ohne die Schädigung erzielt worden wäre. Seine Ermittlung erfolgte ursprünglich nach der Bruttoschadensberechnung (§ 30 Abs 4 und Abs 5 BVG). Danach errechnete sich ein Einkommensverlust in Höhe von 42,5 % des Unterschiedsbetrags zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit und dem höheren Bruttoeinkommen, dass der Betroffene als Unbeschädigter erzielt hätte (Vergleichseinkommen). Mit dem KOVStruktG 1990 (aaO) ist dieser Berechnungsmethode ergänzend die Nettoschadensberechnung zur Seite gestellt worden (§ 30 Abs 6 bis 8 BVG). BSA ist danach der Nettobetrag des Vergleichseinkommens abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit, der Ausgleichsrente und des Ehegattenzuschlags, wobei beide Einkommen jeweils pauschal aus dem Bruttovergleichseinkommen (§ 30 Abs 7 BVG) und dem derzeitigen Bruttoeinkommen (§ 30 Abs 8 BVG) ermittelt werden. Die Gesetzesänderung verfolgte das Ziel, eine bisherige Unterversorgung von noch erwerbstätigen Beschädigten zu vermeiden (BT-Drucks 11/5831 S 12). Entsprechend wurde der BSA nach dem Nettoprinzip errechnet, wenn dies für den Beschädigten günstiger war (§ 30 Abs 3 BVG letzter Halbsatz).
24Dieses Nebeneinander von zwei Berechnungsmethoden ist mit dem BVGÄndG 2007 (aaO) weitgehend abgeschafft worden. Demnach gilt für erstmalig nach dem gestellte Anträge ausschließlich das Nettoprinzip (§ 30 Abs 6 BVG); in allen anderen Fällen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag eine Günstigkeitsfeststellung und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart auf Dauer fest (§ 30 Abs 10 BVG).
25Die geschilderte Entwicklung hin zur Einführung der Nettoschadensberechnung beim BSA tangiert die Berechnung des Ruhensbetrags nach § 65 BVG jedoch nicht. Sie lässt keine grundlegende Änderung der gesetzlichen Systematik der Versorgungsansprüche an sich erkennen. Vielmehr ersetzt der BSA wie gezeigt seit jeher, und das übergeht die Argumentation der Revision, auch bei Anwendung der Bruttoschadensberechnung nur einen Teil der Differenz zwischen aktuellem oder früheren Einkommen und dem Vergleichseinkommen. Eine das Begehren des Klägers stützende Regelungsabsicht lässt sich auch nicht den jeweiligen Gesetzesbegründungen der entsprechenden Gesetzesentwürfe zum KOVStruktG 1990 (BT-Drucks 11/5831 S 12) und BVGÄndG 2007 (BT-Drucks 16/6541 S 36) ableiten. Gleiches gilt für das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom (BT-Drucks 17/5311). Soweit es nach Ansicht des Klägers bei der Ermittlung des Ruhensbetrags ohnehin keines Rückgriffs auf § 65 BVG bedarf, findet dieser Rechenweg im Gesetz erst recht keine Stütze.
26dd. Die aufgezeigte Berechnung nach Bruttobeträgen unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie trägt den unterschiedlichen familien- und steuerrechtlichen Besonderheiten der einzelnen Anspruchsberechtigten im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG am ehesten Rechnung ( - BSGE 4, 281, 286 = Juris RdNr 18) und berührt entgegen der Rechtsauffassung des Klägers auch nicht den Wesensgehalt der Eigentumsgarantie (Art 14 GG). Ungeachtet dessen, ob Ansprüche nach dem BVG überhaupt unter die Eigentumsgarantie des Art 14 GG fallen, ist dieses Grundrecht schon deshalb nicht verletzt, weil § 65 Abs 1 BVG den Versorgungsanspruch nicht beschränkt, sondern im Wesentlichen nur eine Regelung für die Schadensbemessung und Schadensverteilung beinhaltet (vgl - SozR Nr 9 zu § 65 BVG = Juris RdNr 41).
27b) War demnach die Festsetzung des Ruhensbetrags auf weniger als 291 Euro vor dem rechtswidrig, weil ihr zwar der richtige Rechenweg, aber - wegen der irrtümlichen Berücksichtigung eines Familienzuschlags - eine falsche Rechengröße zugrunde lagen, durfte sie gemäß § 45 Abs 1 iVm Abs 2 S 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Die Zwei-Jahres-Frist des § 45 Abs 3 S 1 SGB X ist eingehalten, weil der Bescheid vom bereits mit Bescheid vom aufgehoben worden ist. Vertrauensschutz steht der Rücknahme nicht entgegen. Eine Anwendung der das Vertrauen ausschaltenden Tatbestände des § 45 Abs 2 S 3 SGB X scheidet aus, ebensowenig spricht umgekehrt im Wege der Regelvermutung für ein schützenswertes Vertrauen aus § 45 Abs 2 S 2 SGB X. Auch ein iS von § 45 Abs 2 S 1 SGB X aus anderen Gründen überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Klägers, zukünftig weiter von der rechtswidrigen Festsetzung eines zu niedrigen Ruhensbetrags zu profitieren, haben die Versorgungsverwaltungen und die Vorinstanzen zutreffend verneint. Dagegen und gegen die von der Versorgungsverwaltung auf der Grundlage dieser zutreffenden Vertrauensschutzprüfung angestellten Ermessenerwägungen (vgl - Juris) zugunsten der Rücknahme hat die Revision Bedenken weder vorgebracht noch sind sie sonst ersichtlich.
284. Damit ist auch die daraus resultierende korrekte Neufestsetzung des Ruhensbetrags nach § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 BVG in Höhe von 291 Euro nicht zu beanstanden. Sie verletzt den Kläger ebensowenig in seinen Rechten wie die daraus rechnerisch folgende Absenkung des Zahlbetrags der Versorgungsbezüge auf 871 Euro, wie sie Ziff II des angefochtenen Bescheids vornimmt.
295. Dasselbe gilt für die in Ziff IV des angefochtenen Bescheids geregelte Rückzahlungsverpflichtung, soweit diese noch von der Revision angegriffen wird, weil sie auf einer nach Erhöhung des Ruhensbetrags noch erfolgten Überzahlung der Versorgungsbezüge des Klägers in Höhe von 101 Euro beruht. Da der Kläger jedenfalls aufgrund der vorangegangenen Anhörung mit Schreiben der Versorgungsverwaltung vom wusste bzw zumindest wissen konnte, dass ihm diese insoweit ohne bescheidmäßige Grundlage erfolgte Überzahlung nicht mehr zustand und er sich deshalb auf Vertrauensschutz nicht berufen konnte, durfte der Beklagte die Überzahlung nach § 50 Abs 1 SGB X, aber auch nach § 50 Abs 2 iVm § 45 Abs 1 iVm Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X zurückfordern (vgl 11a RA 2/85 - SozR 1300 § 45 Nr 26 = BSGE 60, 239 ff).
306. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:160316UB9V415R0
Fundstelle(n):
WAAAF-78097