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BGH Beschluss v. - V ZB 112/15

Instanzenzug:

Gründe

I.

1Der Betroffene reiste im Jahr 2000 unerlaubt nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der zurückgewiesen wurde. Diese Entscheidung ist seit dem rechtskräftig. Eine im Jahr 2004 versuchte Abschiebung misslang, weil der Betroffene untertauchte. Nach seinen Angaben verließ er Deutschland, kehrte aber 2009 wieder zurück. Er wurde am in Bonn mit gefälschten Papieren angetroffen und festgenommen.

2Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Algerien für die Dauer von drei Monaten angeordnet, die zunächst in der Justizvollzugsanstalt Büren und seit dem in dem Abschiebegewahrsam Berlin-Köpenick vollzogen worden ist. Eine während des Verfahrens über die Beschwerde des Betroffenen gegen die Haftanordnung für den vorgesehene Abschiebung ist gescheitert, weil sich der Betroffene nach einem Hungerstreik Verletzungen am Handgelenk beigebracht hatte und deshalb - am begleitet abgeschoben werden sollte. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Entlassung aus der Haft am mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit des Vollzugs der angeordneten Haft festzustellen.

II.

3Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der Abschiebungshaft und ihre Fortdauer für rechtmäßig. Ob der kurzfristige Hungerstreik des Betroffenen und dessen "Selbstverletzung mit zweifelhaften suizidalen Absichten" ein Abschiebehindernis darstelle, sei eine Frage des materiellen Ausländerrechts. Eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen sei nicht geboten gewesen, weil von ihr keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.

III.

4Die angefochtenen Entscheidungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung weitgehend stand.

51. Das Amtsgericht durfte Sicherungshaft gegen den Betroffenen in dem Zeitraum vom 23. bis zum nicht anordnen. In dem daran anschließenden Zeitraum ist die Anordnung dagegen nicht zu beanstanden.

6a) Bis zum durfte das Amtsgericht Sicherungshaft nicht anordnen, weil abzusehen war, dass die Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 7 ff.).

7b) Dieses Hindernis bestand aber seit dem nicht mehr.

8aa) Der Haftrichter muss zwar im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) die Anordnung von Sicherungshaft ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene entgegen den Vorgaben des Unionsrechts untergebracht werden wird (Senat, Vorlagebeschluss vom - V ZB 40/11, NVwZ 2014, 166, Rn. 20 und Beschluss vom - V ZB 137/14, aaO Rn. 5). Der weitere Vollzug einer unter Verstoß gegen diese Verpflichtung angeordneten Haft ist aber nur rechtswidrig, wenn der Richtlinie widersprechende Haftbedingungen aufrechterhalten werden. Stellt die beteiligte Behörde dagegen richtlinienkonforme Haftbedingungen her, steht der Fehler bei der Anordnung der Haft deren Aufrechterhaltung und deren weiteren Vollzug nicht entgegen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 11).

9bb) So liegt es hier seit dem . Im Anschluss an den erwähnten Beschluss des Senats hat das Land Nordrhein-Westfalen seine Unterbringungspraxis geändert. Es hat den Vollzug der Sicherungshaft in der Justizvollzugsanstalt Büren umgehend beendet und ihn in anderen Einrichtungen fortgesetzt, die den Anforderungen der Richtlinie genügen (Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom - 15-39.16.04-2-13339(2604), veröffentlicht im Sammelblatt Nordrhein-Westfalen). Im Zuge dieser Maßnahme ist auch der Betroffene in eine solche Gewahrsamseinrichtung verlegt worden. Dem weiteren Vollzug standen deshalb die Unterbringungsbedingungen nicht mehr entgegen.

10c) Die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht ist für den Zeitraum ab dem nicht zu beanstanden. Von einer Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

112. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist ebenfalls nicht zu beanstanden, soweit die Haft nach dem aufrechterhalten worden ist. Etwas anderes ergibt sich, anders als der Betroffene meint, nicht daraus, dass es ihn nicht erneut persönlich angehört hat. Dazu war es auch im Hinblick auf den Suizidversuch nicht verpflichtet.

12a) Allerdings verletzt die Aufrechterhaltung der angeordneten Sicherungshaft durch das Beschwerdegericht die Rechte des Betroffenen nach Art. 104 Abs. 1 GG, wenn dessen zwingend gebotene erneute persönliche Anhörung unterbleibt (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 127/12, FGPrax 2014, 39 Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 192/13, [...] Rn. 9 mwN); es kommt in diesem Fall auch nicht darauf an, ob die Haft in der Sache zu Recht aufrechterhalten worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 9/10, InfAuslR 2010, 384 Rn. 9 mwN). Das Beschwerdegericht ist indessen im Unterschied zum Haftrichter nicht in jedem Fall verpflichtet, den Betroffenen vor seiner Entscheidung (erneut) persönlich anzuhören. Es darf davon vielmehr unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraussetzungen absehen. Zu einer Verletzung der Rechte des Betroffenen nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG führt ein Absehen von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren deshalb nur, wenn diese Voraussetzungen nicht vorlagen und die Anhörung auch im Beschwerdeverfahren zwingend geboten war (Senat, Beschluss vom - V ZB 67/15, InfAuslR 2016, 54 Rn. 6).

13b) Das war hier nicht der Fall.

14aa) Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat die beteiligte Behörde zwar mitgeteilt, der Betroffene habe in der Justizvollzugsanstalt Büren einen Suizidversuch unternommen. Daraus konnte sich, wie der Betroffene im Ansatz zu Recht geltend macht, ein Abschiebungshindernis ergeben. Es ist auch richtig, dass das Beschwerdegericht von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen nicht ohne Weiteres nach § 68 Abs. 3 FamFG absehen darf, wenn solche Tatsachen nach dem Erlass der Haftanordnung eintreten. Dazu ist es vielmehr nur befugt, wenn diese Tatsachen für die Entscheidung offensichtlich unerheblich sind (Senat, Beschluss vom - V ZB 274/11, FGPrax 2013, 40 Rn. 11).

15bb) So liegt es hier.

16(1) Der Suizidversuch eines Betroffenen kann zwar auch im Verfahren der Freiheitsentziehung Bedeutung erlangen. Uneingeschränkt gilt das aber nur, wenn er die Haftfähigkeit des Betroffenen in Frage stellt. Denn diese muss der Haftrichter prüfen (Senat, Beschluss vom - V ZB 299/10, [...] Rn. 8 und vom - V ZB 69/13, Asylmagazin 2014, 138 Rn. 7). Anders liegt es dagegen, wenn der Suizidversuch die Frage nach einem Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG aufwirft. Die Prüfung dieser Frage ist Aufgabe der Verwaltungsgerichte, nicht des Haftrichters. Der Haftrichter hat in einem solchen Fall nur zu prüfen, ob die Abschiebung trotz des von dem Betroffenen geltend gemachten Abschiebungshindernisses durchgeführt werden kann (Senat, Beschlüsse vom - V ZB 9/86, BGHZ 98, 109, 112, vom - V ZB 172/09 - NVwZ 2010, 726 Rn. 23 f. und vom - V ZB 274/11, FGPrax 2013, 40 Rn. 11; zu weitgehend daher , [...] Rn. 13 f.). Dazu hat er eigene Ermittlungen anzustellen; insbesondere muss er sich über den Stand und die Erfolgsaussichten eines behördlichen oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erkundigen, in dem über das Vorliegen etwaiger Abschiebungshindernisse entschieden wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom - V ZB 246/11, [...] Rn. 14 und vom - V ZB 274/11, aaO).

17(2) Danach musste das Beschwerdegericht den Betroffenen nicht persönlich anhören.

18(a) Weder die Mitteilung der beteiligten Behörde vom noch die Stellungnahme des - anwaltlich vertretenen - Betroffenen dazu vom ergaben Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene nach dem Suizidversuch nicht (mehr) haftfähig war. Der Suizidversuch hat nach den von dem Betroffenen nicht angezweifelten Angaben der beteiligten Behörde in den ersten Tagen der Haft noch vor dessen Verlegung in den Abschiebegewahrsam in Berlin-Köpenick stattgefunden. Als Auslöser des Suizidversuchs hat die beteiligte Behörde die Abschiebung gesehen und deshalb einen neuen Abschiebungsversuch mit Sicherheitsbegleitung und ärztlicher Aufsicht vorbereitet. In seiner Stellungnahme zu dieser Mitteilung hat auch der Betroffene selbst die Abschiebung, nicht die Haft, als möglichen Auslöser eines neuen Suizidversuchs gesehen und die Haft deshalb als unverhältnismäßig angesehen, weil die Abschiebung nicht gelingen werde.

19(b) Anhaltspunkte dafür, denen das Beschwerdegericht in seinem beschränkten Prüfungsrahmen hätte nachgehen müssen, boten die Mitteilung der beteiligten Behörde und die Stellungnahme des Betroffenen ebenfalls nicht. Die Behörde hat dargelegt, dass sie die Abschiebung mit den geschilderten Vorkehrungen am , mithin noch während der angeordneten Haft, durchführen wolle. Dass und aus welchen Gründen dies nicht gelingen könnte, war nicht ersichtlich und wurde von dem Betroffenen auch nicht geltend gemacht und wird von ihm auch jetzt nicht näher erläutert. Dass dieser gegen die Abschiebung wegen des Suizidversuchs (einstweiligen) Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten beantragt hatte oder beantragen würde, war nicht anzunehmen. Der Betroffene hat sich in seiner Stellungnahme auf den Hinweis beschränkt, die Ausländerbehörde habe der Frage nachzugehen, ob der Suizidversuch der Abschiebung entgegenstehe.

IV.

20Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 84, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Der Senat hält es für angemessen, dem Betroffenen die Kosten des Verfahrens vollständig aufzuerlegen, weil sein Antrag nur in einem verhältnismäßig geringfügigen Umfang begründet ist.

Fundstelle(n):
XAAAF-75311