Instanzenzug: S 58 AS 3672/11
Gründe:
I
1Die Klägerin, der SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.3.2010 bis 31.8.2010 bewilligt worden waren (Bescheid vom 18.2.2010), informierte den Beklagten mit Schreiben vom 23.3.2010: "... hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich am 01.04.2010 eine Arbeitsstelle antreten werde. Somit werde ich ab Mai keine Hilfe mehr benötigen, da ich ausreichend verdienen werde, um meine Tochter und mich zu versorgen". Der Beklagte zahlte ab Mai 2010 keine Leistungen mehr aus.
2Ein gegen die Nichtberücksichtigung des Versicherungsfreibetrags im Bescheid vom 18.2.2010 gerichteter Widerspruch der Klägerin sowie eine anschließende Klage (S 15 AS 2925/10 SG Hamburg) endeten mit der ergänzenden Berücksichtigung eines Versicherungsfreibetrags für die Zeit vom 1.3.2010 bis 30.4.2010. Nachdem die Klägerin den Beklagten zur Auszahlung der Leistungen für die Monate Mai 2010 bis August 2010 aufgefordert hatte (Schreiben vom 29.7.2011), hob er den Bewilligungsbescheid vom 18.2.2010 mit Wirkung vom 1.5.2010 auf (Bescheid vom 2.9.2011; Widerspruchsbescheid vom 19.10.2011). Das LSG hat das klageabweisende sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 12.11.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, in der schriftlichen Erklärung vom 23.3.2010 sei kein Verzicht im Rechtssinne zu sehen. Existiere ein Anspruch nur aufgrund der formellrechtlichen Wirkungen eines bewilligenden Verwaltungsaktes und sei der materielle Anspruch wegen Änderung der Verhältnisse entfallen, gehe ein ausdrücklicher Verzicht ins Leere; vielmehr sei nach den allgemeinen Regeln der Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung zu verfahren. Die Klägerin habe nur einen für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit in der Zukunft wesentlichen Umstand kundgetan und nicht den Willen ausgedrückt, dass tatsächlich bestehende Ansprüche aufgegeben werden sollten. Ihre Erledigungserklärung in dem weiteren sozialgerichtlichen Verfahren um die Anrechnung des Versicherungsfreibetrags stehe dem nicht entgegen.
3Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Beklagte geltend, die Frage, ob die Mitteilung, dass keine Leistungen mehr benötigt würden, einen Verzicht iS des § 46 SGB I darstelle mit der Folge, dass eine Aufhebung der Leistung nach § 48 Abs 1 SGB X nicht erforderlich sei, habe grundsätzliche Bedeutung. Diese Mitteilung stelle eine typische Fallgestaltung dar, weshalb die Bedeutung der Rechtsfrage weit über den zu entscheidenden Einzelfall hinausreiche. Eine Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Aufhebung beabsichtige eine feste Regelung für die Konstellation der bedarfsdeckenden Beschäftigungsaufnahmen, die bisher über die Aufhebungsregelung des § 48 Abs 1 SGB X erfolgt sei und diene der Fortentwicklung des Rechts. Dass der Klägerin der Wegfall des Leistungsanspruchs bewusst gewesen sei, ergebe sich aus dem Umstand, dass sie erst mit Schreiben vom 29.7.2011 - also über ein Jahr lang - keinen Anspruch auf Auszahlung geltend gemacht habe. Dies werde durch den Verfahrensablauf im Verfahren S 15 AS 2925/10 untermauert.
II
4Die Beschwerde ist nicht zulässig, weil die als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 SGG zu verwerfen.
5Eine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Der Beschwerdeführer hat deshalb zu begründen, inwiefern die Rechtsfrage unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und ggf des Schrifttums nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
6Mit seinem Vorbringen wird der Beklagte diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Vielmehr setzt er sich lediglich in der Art einer Berufungsbegründung mit den tatsächlichen Umständen und Wertungen des Berufungsgerichts auseinander. Zwar hat er eine Rechtsfrage formuliert. Er legt jedoch keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf dar. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, ist der Inhalt fraglicher "Verzichtserklärungen" der Beteiligten "im Einzelfall durch Auslegung unter Einbeziehung der maßgebenden Umstände" zu ermitteln (vgl nur , juris RdNr 35 mwN; - BSGE 110, 288 ff = SozR 4-1200 § 46 Nr 3, RdNr 18 ff auch zur Auslegung von "typischen Erklärungen" durch das Revisionsgericht). Auf dieser Grundlage ist das Berufungsgericht vorliegend davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht tatsächlich bestehende Ansprüche habe aufgeben wollen, sondern nur einen für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit in der Zukunft wesentlichen Umstand kundgetan und nicht den Willen ausgedrückt habe, dass tatsächlich bestehende Ansprüche aufgegeben werden sollten. Die angegriffene Entscheidung beruht auch - im Sinne einer eigenständigen Begründung (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 14k) - auf dieser Auslegung der Erklärung der Klägerin, ohne dass dies zu beanstanden wäre. Soweit der Beklagte Umstände anführt, aus denen er ableitet, dass der Klägerin der Wegfall des Leistungsanspruchs bewusst gewesen sei, nimmt er lediglich eine abweichende Wertung vor, zeigt jedoch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf.
7Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstelle(n):
IAAAF-74438