Instanzenzug: SG Osnabrück Az: S 16 AS 657/14vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 15 AS 300/14 Urteil
Gründe
1Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom - L 15 AS 300/14 - ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
2Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler einer Verletzung von § 33 Abs 1 Satz 1 iVm § 155 Abs 3 und 4 SGG liegt vor. Das LSG war bei seinem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 Nr 1 Zivilprozessordnung <ZPO> iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn es hat durch den Berichterstatter anstelle des Senats entschieden, obwohl das hierfür nach § 155 Abs 3 und 4 SGG erforderliche Einverständnis des Klägers nicht vorgelegen hat.
3Abweichend vom Grundsatz des § 33 Abs 1 Satz 1 SGG kann nach § 155 Abs 3 SGG der Vorsitzende im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden. Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden (§ 155 Abs 4 SGG). Die Frage, ob das LSG über die Berufung durch den Senat entscheidet (grundsätzlich: Vorsitzender, zwei weitere Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter; bei Übertragungsbeschluss nach § 153 Abs 5 SGG: Berichterstatter, zwei ehrenamtliche Richter) oder ob durch einen Berufsrichter allein entschieden werden darf, berührt das Recht auf den gesetzlichen Richter in seiner einfach-rechtlichen Ausprägung (vgl - juris-RdNr 7 mwN). Daher kann nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen des § 155 Abs 3 und 4 SGG, dh im Einverständnis mit den Beteiligten, anstelle des Senats der Vorsitzende oder der Berichterstatter entscheiden.
4Die Erklärung eines Beteiligten, mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter einverstanden zu sein und damit auf die besondere Art der Gewährung rechtlichen Gehörs durch den Senat zu verzichten, muss klar, eindeutig und vorbehaltlos sein. Denn die Erklärung hat insoweit weitreichende Folgen, als die Entscheidung durch den gesamten Spruchkörper eine höhere Richtigkeitsgewähr als diejenige eines einzelnen Richters bietet. Nur wenn eine derartige eindeutige Erklärung abgegeben wird, wird die Zuständigkeit des Vorsitzenden oder des Berichterstatters begründet, anstelle des Senats über die Berufung entscheiden zu dürfen (zu diesen Maßstäben vgl - juris-RdNr 8 mwN).
5Eine Einverständniserklärung des Klägers, die den beschriebenen Anforderungen gerecht wird, hat hier nicht vorgelegen. Mit Schreiben vom hat das LSG in diesem wie in den Parallelverfahren angefragt, ob die Beteiligten "mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter einverstanden sind." In seinem Schreiben vom hat der Kläger geantwortet, dass er juristischer Laie sei, und sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Im Übrigen hat er mehrere Fragen zur Anzahl der beteiligten Richter gestellt, ua welchen Einfluss die Anzahl habe oder welchen Unterschied sie mache, ob sich die Gesetze oder die Sachverhalte dadurch ändern, ob die ihm - nach seiner Ansicht - in früheren Verfahren vorenthaltenen Leistungen zugesprochen worden wären, wenn an den Verfahren "andere / mehr / weniger Richter" beteiligt gewesen wären. Selbst wenn ein Sinn in diesen Fragen des Klägers nicht zu erkennen sein sollte, zumal er aufgrund seiner zahlreichen Gerichtsverfahren bis zum BSG mit den Grundzügen des sozialgerichtlichen Verfahrens vertraut sein dürfte, und die Fragen aus Sicht des LSG zu verneinen gewesen sein sollten, ändert dies nichts an dem Umstand, dass diese Fragen kein Einverständnis des Klägers - auch nicht mittelbar - zu einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter anstelle des Senats iS des § 155 Abs 3 und 4 SGG enthalten.
6Die in der Entscheidung über die Berufung durch den Berichterstatter ohne Einverständniserklärung des Klägers liegende Verletzung von dessen Recht auf den gesetzlichen Richter ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG; vgl - juris-RdNr 11 mwN). Nähere Darlegungen dazu, inwiefern das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann, sind daher nicht erforderlich. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG). Gründe für eine Zurückverweisung an einen anderen Senat des LSG (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) sind nicht zu erkennen.
7Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:090316BB14AS10415B0
Fundstelle(n):
ZAAAF-72565