Übergangsversorgung - Kabinenpersonal - Altersbefristung
Gesetze: § 242 BGB, § 812 BGB, § 1 TVG
Instanzenzug: Az: 41 Ca 6779/13 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 8 Sa 1960/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Einbeziehung in eine Gruppenversicherung für eine Übergangsversorgung hat.
2Die Klägerin hat das 30. Lebensjahr vollendet und ist seit dem bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Flugbegleiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der zwischen der LTU Lufttransport-Unternehmen GmbH & Co. KG und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft geschlossene „Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Bordpersonal der LTU“ in der Fassung vom (im Folgenden TV-ÜV) Anwendung, den die Beklagte zum kündigte und der ua. folgende Regelungen enthält:
3Der Gruppenversicherungsvertrag iSd. § 2 TV-ÜV wurde am geschlossen.
4In dem zwischen der Beklagten, der LTU Lufttransport-Unternehmen GmbH (Rechtsvorgängerin der Beklagten) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geschlossenen „Tarifvertrag über die Fortgeltung bestehender Regelungen für das Kabinenpersonal der LTU im Rahmen einer beabsichtigten Integration in die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ vom (im Folgenden TV-Fortgeltung) heißt es auszugsweise:
5Sowohl der „Manteltarifvertrag Nr. 11 Kabinenpersonal LTU“ vom (MTV Nr. 11) als auch der „Manteltarifvertrag Nr. 12 für das Kabinenpersonal der LTU“ vom (MTV Nr. 12) enthalten folgende Regelung:
6Die Klägerin verlangte von der Beklagten im Jahr 2012 ohne Erfolg die Einbeziehung in die Gruppenversicherung für eine Übergangsversorgung gemäß dem TV-ÜV. Nachdem sie ihren ursprünglichen Hauptantrag auf Verurteilung der Beklagten zur Annahme ihres Angebots auf Abschluss eines Versicherungsvertrags in der Revisionsverhandlung zurückgenommen hat, hat die Klägerin zuletzt beantragt
7Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Übergangsversorgung nach dem TV-ÜV nicht erfülle, da das Arbeitsverhältnis der Klägerin mangels wirksamer tariflicher Befristung nicht mit dem 60. Lebensjahr ende und daher die Übergangsversorgung nicht erforderlich werde. Der mit der tarifvertraglichen Regelung verfolgte Zweck könne daher nicht erreicht werden.
8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Verschaffung einer Übergangsversorgung weiter.
Gründe
9A. Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage - soweit für die Revision von Interesse - zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat gemäß ihrem zuletzt gestellten Hauptantrag Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr eine Übergangsversorgung zu verschaffen. Der Hilfsantrag ist damit nicht zur Entscheidung angefallen.
10I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Durch eine gerichtliche Feststellung, ob die Klägerin einen Anspruch auf Verschaffung einer Versicherung im Rahmen des Gruppenversicherungsvertrags nach dem TV-ÜV hat, ist eine sachgemäße, einfache Erledigung sämtlicher Streitpunkte zu erreichen. Auch prozesswirtschaftliche Erwägungen zwingen vorliegend nicht zur Leistungsklage. Eine auf einzelne Mitwirkungshandlungen gerichtete Leistungsklage (wie zB auf Weiterleitung der Antragsunterlagen) würde lediglich einzelne Leistungen im Rahmen des - möglicherweise eine Vielzahl verschiedener Mitwirkungshandlungen umfassenden - Verschaffungsanspruchs erfassen.
11II. Der zuletzt gestellte Hauptantrag ist begründet.
121. Die Klägerin hat nach dem TV-ÜV Anspruch auf Verschaffung einer Versicherung im Rahmen des Gruppenversicherungsvertrags.
13a) Die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Parteien umfasst den TV-ÜV.
14b) Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Nr. 1 TV-ÜV.
15aa) Danach erhalten die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer die Möglichkeit, im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrags eine persönliche Übergangsversorgung für die Zeit von der tarifvertraglichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit vollendetem 60. Lebensjahr bis zum Beginn der Altersrente bzw. der vorgezogenen Altersrente aus der Angestelltenversicherung in Form einer Versicherung für den Erlebensfall mit Beitragsrückgewähr im Todesfall abzuschließen. Nach § 4 Nr. 1 Abs. 2 TV-ÜV besteht das Recht zum Abschluss der Versicherung bei Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis, jedoch frühestens nach Vollendung des 30. Lebensjahres.
16bb) Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
17(1) Die Klägerin fällt als Flugbegleiterin in den persönlichen Geltungsbereich des TV-ÜV (§ 1 TV-ÜV).
18(2) Zudem hat sie nach der zulässigerweise in den Entscheidungsgründen vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellung (vgl. nur - Rn. 21 mwN) das 30. Lebensjahr vollendet.
19cc) An weitere Voraussetzungen ist das Recht zum Abschluss der Versicherung nicht geknüpft. Insbesondere setzt der Anspruch nicht voraus, dass das Arbeitsverhältnis tarifvertraglich wirksam befristet ist.
20(1) Zwar knüpft § 2 Nr. 1 TV-ÜV an die tarifliche Befristungsregelung an, wonach das Arbeitsverhältnis - ohne dass es einer Kündigung bedarf - spätestens mit Ablauf des Monats endet, in dem der Arbeitnehmer das 60. Lebensjahr vollendet hat ( - Rn. 52). Zutreffend ist auch der rechtliche Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, dass diese tarifliche Befristung auf die Vollendung des 60. Lebensjahres unwirksam ist (vgl. hierzu - Rn. 13 ff.). Jedoch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass der Anspruch auf Verschaffung einer Übergangsversorgung nicht besteht. Ungeachtet der Unwirksamkeit dieser tariflichen Befristungsregelung führt erst eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über das Befristungsende hinaus dazu, dass die durch die Übergangsversorgung zu schließende Versorgungslücke und damit der Rechtsgrund der Leistung des Versicherungsschutzes nachträglich wegfällt (vgl. - Rn. 51 f.).
21(2) Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die tariflich (unwirksam) vorgesehene Befristung hinaus lässt lediglich nachträglich den Rechtsgrund oder zumindest den mit dem TV-ÜV verfolgten Zweck, der Überbrückung einer Versorgungslücke, die wegen des an sich tarifvertraglich vorgesehenen Ausscheidens entsteht ( - Rn. 52), entfallen. Dies kann allenfalls bereicherungsrechtliche Ansprüche der Arbeitgeberin begründen.
22(a) Diese Auslegung folgt aus der Tarifhistorie. Die Tarifvertragsparteien haben die vom Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Entscheidung vom (- 7 AZR 1021/08 -) für unwirksam erachtete tarifliche Befristungsregelung in § 47 MTV Nr. 11 in den MTV Nr. 12 vom übernommen. Mit dem TV-Fortgeltung vom hat die Beklagte zudem die Fortgeltung des MTV Nr. 12 und zugleich des TV-ÜV vereinbart. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass sie in Kenntnis der Unwirksamkeit der Befristungsregelung sowohl an dieser Regelung als auch an der Übergangsversorgung festhalten will. Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, aus § 3 Nr. 1 TV-Fortgeltung folge lediglich der Wille der Tarifvertragsparteien, dass wirksame kollektivrechtliche Regelungen nunmehr ihr gegenüber gelten sollten. Über die Wirksamkeit oder die Unwirksamkeit tariflicher Regelungen hätten sich die Tarifvertragsparteien keine Gedanken gemacht. Diese Auslegung hat im Tarifwortlaut keinen Niederschlag gefunden. Es wurde in § 3 Nr. 4 Buchst. c TV-Fortgeltung ausdrücklich auch die Fortgeltung des TV-ÜV vereinbart. Für eine Fortgeltung vorbehaltlich der Wirksamkeit der Regelungen findet sich im Tarifwortlaut kein Anhaltspunkt. Zudem erklärt das Argument der Beklagten nicht, weshalb die Tarifvertragsparteien trotz Kenntnis der Entscheidung über die Unwirksamkeit der tariflichen Befristungsregelung ( -) noch am die Regelung in § 47 MTV Nr. 11 unverändert in den MTV Nr. 12 übernommen haben.
23(b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Zweck der Übergangsversorgung auch nicht gegenstandslos geworden. Der von den Tarifvertragsparteien mit dem TV-ÜV angestrebte Zweck der Schließung einer aufgrund der tariflichen Befristungsregelung entstehenden Versorgungslücke kann trotz der Unwirksamkeit der Befristungsregelung weiterhin erreicht werden. Denn diese Befristungsregelung führt trotz ihrer Unwirksamkeit zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitnehmer nicht von sich aus aktiv wird und binnen der von § 17 Satz 1 TzBfG vorgegebenen Frist Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht beendet ist. Sonst gilt die Befristung als von Anfang an rechtswirksam (§ 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG) und es kommt aufgrund der tariflichen Befristungsregelung zu einer durch die Übergangsversorgung zu schließenden Versorgungslücke.
24c) Auch aus dem Gruppenversicherungsvertrag ergibt sich nichts anderes. Eine Einschränkung dahin gehend, dass die Versicherungsleistung von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Befristung abhängig sein soll, enthält der Vertrag nicht. Erst recht macht er den Beitritt zur Gruppenversicherung nicht von der Wirksamkeit der tariflichen Befristung abhängig.
252. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Recht der Klägerin, von der Beklagten die Verschaffung des Versicherungsschutzes zu verlangen, auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.
26a) Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung und verbietet ua. die missbräuchliche Ausübung von Rechten (vgl. - Rn. 32, BAGE 145, 8; Palandt/Grüneberg 75. Aufl. § 242 BGB Rn. 38 ff.). Die Rechtsausübung ist dann missbräuchlich und damit unzulässig, wenn der Berechtigte kein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Gegenpartei entgegenstehen und die Rechtsausübung im Einzelfall zu einem grob unbilligen, mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde (Jauernig/Mansel BGB 16. Aufl. § 242 Rn. 37; sh. auch Palandt/Grüneberg aaO Rn. 50). Das ist zB dann der Fall, wenn der Gläubiger verpflichtet ist, die verlangte Leistung sofort wieder herauszugeben. In diesem Fall wäre das Erheben eines solchen Anspruchs nur geeignet, dem Schuldner unnötige Beschwernisse und zusätzliche Insolvenzrisiken aufzubürden, ohne dass dies dem Gläubiger legitime Vorteile bringen würde (MüKoBGB/Schubert 7. Aufl. § 242 Rn. 440 mwN; vgl. auch Palandt/Grüneberg aaO Rn. 52 mwN; PWW/Schmidt-Kessel/Kramme 10. Aufl. § 242 Rn. 49; Jauernig/Mansel aaO Rn. 39).
27b) Gemessen daran ist das Verlangen der Klägerin nach Verschaffung des Versicherungsschutzes nicht rechtsmissbräuchlich. Weder ist das Interesse der Klägerin an der tarifvertraglichen Übergangsversorgung entfallen noch hat die Beklagte ein schutzwürdiges Interesse an der Verweigerung der Leistung. Denn die Beklagte hat mit dem Abschluss des TV-Fortgeltung vom zu erkennen gegeben, dass sie in Kenntnis der Unwirksamkeit der Befristungsregelung sowohl an dieser Regelung als auch an der Übergangsversorgung festhalten will. Zudem kann es grundsätzlich weiterhin aufgrund der tariflichen Befristungsregelung zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit zu einer durch die Übergangsversorgung zu schließenden Versorgungslücke kommen. Es steht vorliegend nicht sicher fest, dass die Übergangsversorgung zwecklos und der Wert des von der Beklagten zu verschaffenden Versicherungsschutzes in jedem Fall nach § 812 Abs. 1 iVm. Abs. 2 BGB zurückzuerstatten ist.
28B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:230216.U.9AZR398.14.0
Fundstelle(n):
JAAAF-72501