Rechtsanwaltsvergütung: Einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit bei Geltendmachung von Wildschäden gegen zwei Beklagte im Rahmen einer Klage
Gesetze: § 7 Abs 1 RVG, § 15 Abs 2 RVG, § 22 Abs 1 RVG
Instanzenzug: Az: 6 T 82/15vorgehend AG St. Goar Az: 31 C 167/13
Gründe
I.
1Die Parteien streiten über die Berechnung der Anwaltsgebühren in einer Wildschadenssache.
2Die Beklagten sind Landwirte und bewirtschaften jeweils Flächen in der Gemarkung W. . Diese gehören zu dem Jagdbezirk, für welchen der Kläger als Pächter in dem mit der Jagdgenossenschaft abgeschlossenen Pachtvertrag die Verpflichtung zum Wildschadensersatz übernommen hat. In den Wintermonaten 2012/2013 waren auf einer Reihe von Flurstücken, die die Beklagten überwiegend mit Winterraps eingesät hatten, Schäden durch Rotwild und in geringem Umfang auch durch Schwarzwild entstanden. Die Beklagten meldeten die Schäden bei der zuständigen Verbandsgemeinde an. Daraufhin fand ein Ortstermin auf den betroffenen Flurstücken zur Schadensbesichtigung und -schätzung statt. Die Verbandsgemeinde erließ unter demselben Aktenzeichen gegen den Kläger bezüglich des Wildschadens des Beklagten zu 1 einen Vorbescheid über 8.721,58 € und bezüglich des Wildschadens des Beklagten zu 2 einen Vorbescheid über 5.915,90 €. Der Kläger erhob daraufhin gegen beide Beklagte gemeinsam Klage vor dem Amtsgericht mit dem Ziel der Aufhebung der Vorbescheide und der Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, den Wildschaden zu ersetzen. Die Beklagten ließen sich im Verfahren von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten. Die von ihnen in der Klageerwiderung beantragte Trennung in zwei Verfahren lehnte das Amtsgericht ab. Hierfür bestehe "im Hinblick auf § 60 ZPO keine Veranlassung, weil die Ansprüche im Wesentlichen gleichartig sind und deshalb aus ökonomischen Gründen in einem Prozess geltend gemacht werden können". Das Amtsgericht wies die Klage ab und setzte den Streitwert auf 14.637,48 € fest. Gegen das Urteil legte der Kläger Berufung ein. Im Berufungsverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich. Danach verpflichtete sich der Kläger, 7.000 € an den Beklagten zu 1 und 4.500 € an den Beklagten zu 2 zu zahlen. Von den Kosten des Rechtsstreits sollten der Kläger 80 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 20 % tragen.
3Die Beklagten haben anschließend für beide Instanzen Anträge auf Kostenfestsetzung gestellt und hierbei jeweils getrennte Gebühren für den Beklagten zu 1 nach einem Streitwert von 8.721,58 € und für den Beklagten zu 2 nach einem Streitwert von 5.915,90 € geltend gemacht. Das Amtsgericht (Rechtspflegerin) hat die vom Kläger an die Beklagten als Gesamtgläubiger zu ersetzenden Kosten auf 997,90 € für die 1. Instanz und auf 1.900,72 € für die 2. Instanz festgesetzt. Hierbei ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG in derselben Angelegenheit tätig geworden sei und die Gebühren deshalb nur einmal, insoweit aber gemäß § 22 Abs. 1 RVG nach dem kumulierten Streitwert von 14.637,48 € angefallen seien. Die gegen diese Beschlüsse eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
4Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Instanzgerichte sind rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es sich bei der anwaltlichen Vertretung der Beklagten um dieselbe Angelegenheit handelt.
5Nach § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit die Gebühren nur einmal fordern, auch wenn er für mehrere Auftraggeber tätig wird. Bezieht sich die Angelegenheit auf mehrere Gegenstände, werden deren Werte zusammengerechnet (§ 22 Abs. 1 RVG).
6Ob von einer oder mehreren Angelegenheiten auszugehen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantworten, wobei insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags maßgeblich ist. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen betreffen in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielrichtung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen anwaltlicher Tätigkeit gesprochen werden kann (vgl. nur Senat, Beschluss vom - III ZB 61/15, juris Rn. 3; , NJW 2011, 3167 Rn. 9 ff und vom - IX ZR 219/13, NJW 2014, 2126 Rn. 14). Hierbei setzt die Annahme einer Angelegenheit nicht voraus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Von einem einheitlichen Rahmen kann vielmehr auch dann gesprochen werden, wenn der Anwalt verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Die Angelegenheit ist dabei vom Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann insoweit mehrere Gegenstände umfassen. Es ist grundsätzlich ausreichend, wenn die Gegenstände in dem Sinne einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören. Der Annahme derselben Angelegenheit steht dabei, wie sich auch aus § 7 Abs. 1 RVG ergibt, nicht entgegen, dass der Anwalt mehrere Personen vertritt (vgl. nur aaO Rn. 10 f und vom , aaO Rn. 15 f).
7Bei den streitigen Wildschäden handelt es sich nicht um zwei Angelegenheiten in einem gerichtlichen Verfahren, sondern um zwei Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit in derselben Angelegenheit. Ohne Erfolg verweisen die Beklagten insoweit darauf, dass sie den Auftrag zur Vertretung an ihren Prozessbevollmächtigten jeweils nur bezogen auf die sie betreffenden Anträge aus der Klageschrift erteilt hätten. Genauso wenig ist entscheidend, dass es um Schadensfälle an Flächen zweier verschiedener Personen geht, die - etwa zur Frage der Einhaltung der Meldefrist nach § 34 BJagdG - gegebenenfalls unterschiedlich zu prüfen waren und gegebenenfalls auch zu einem unterschiedlichen Ergebnis hätten führen können. Bei ihrer gegenteiligen Argumentation übersehen die Beklagten, dass im gerichtlichen Verfahren der für die Bejahung einer Angelegenheit notwendige Zusammenhang grundsätzlich schon dadurch hergestellt wird, dass das Gericht von einer Trennung der Verfahren wegen ihres Sachzusammenhangs absieht oder bei zwei ursprünglich getrennten Verfahren wegen ihres Sachzusammenhangs eine Verbindung herbeiführt. Regelmäßig ist das gerichtliche Verfahren in einem Rechtszug eine Angelegenheit (vgl. nur Ahlmann in Riedel/Sußbauer, 10. Aufl., RVG, § 15 Rn. 10; Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl., § 15 RVG Rn. 16; Mayer in Gerold/Schmitt, 22. Aufl., RVG, § 15 Rn. 5 f, 14). Werden bisher getrennte Verfahren vom Gericht verbunden, liegt ab diesem Zeitpunkt nur noch eine gebührenrechtliche Angelegenheit vor, wobei die Gegenstandswerte zu addieren und aus dieser Summe diejenigen Gebühren zu errechnen sind, deren Tatbestand nach der Verbindung erfüllt wird (vgl. nur , NJW 2010, 3377 Rn. 13 mwN; Ahlmann, aaO Rn. 19; Bischof, RVG, 7. Aufl., § 15 Rn. 24). Genauso liegt eine gebührenrechtliche Angelegenheit vor, wenn Ansprüche gegen zwei Parteien von vornherein zum Gegenstand eines Klageverfahrens gemacht werden und das Gericht eine Trennung wegen des zwischen den verschiedenen Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit bejahten Zusammenhangs ablehnt. Auch in diesem Fall wird der Rechtsanwalt nur in derselben Angelegenheit tätig. Dies bedeutet entgegen der Auffassung der Beklagten nicht, dass es damit im Belieben des Klägers stehe, unterschiedliche Angelegenheiten durch eine Klage zu derselben Angelegenheit zu machen und dadurch über die Gebührenansprüche des Prozessbevollmächtigen der Gegenseite zu entscheiden. Fehlt der innere Zusammenhang zwischen zwei Wildschäden, handelt es sich um zwei Angelegenheiten und sind die Verfahren zu trennen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Beklagten können insoweit nicht, nachdem ein Verfahren durch zwei Instanzen geführt worden ist, nachträglich im Kostenfestsetzungsverfahren mit Erfolg geltend machen, sie müssten gebührenrechtlich so gestellt werden, als ob über beide Vorbescheide in verschiedenen Verfahren entschieden worden wäre.
Herrmann Wöstmann Seiters
Tombrink Reiter
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:240316BIIIZB116.15.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2016 S. 883 Nr. 14
LAAAF-71978