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Verzögerungsgeld
Mit der Neuregelung des § 200a AO n.F. wurde ein sog. qualifiziertes Mitwirkungsverlangen im Rahmen von Außenprüfungen eingeführt. Die Regelung gilt nur für Steuerpflichtige, die ihren Mitwirkungspflichten nach § 200 AO nicht oder nicht hinreichend nachkommen.
Durch das qualifizierte Mitwirkungsverlangen wird festgelegt, dass im Falle der Nichterfüllung eines Mitwirkungsverlangens die Fünfjahresfrist der Ablaufhemmung verlängert oder gar außer Kraft gesetzt wird (§ 200a Abs. 4 AO) und ein Mitwirkungsverzögerungsgeld bzw. ein Zuschlag zum Mitwirkungsverzögerungsgeld festgesetzt wird.
§ 200a AO ist grundsätzlich erstmals auf Steuern und Steuervergütungen anzuwenden, die nach dem entstehen. § 200a Abs. 1 bis 3 und Abs. 6 in der ab dem geltenden Fassung ist auch für Steuern und Steuervergütungen anzuwenden, die vor dem entstehen, wenn für diese Steuern und Steuervergütungen nach dem eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben wurde.
I. Definition Verzögerungsgeld
Das Verzögerungsgeld ist ein Instrument für die Finanzverwaltung, um auf bestimmte Pflichtverletzungen des Steuerpflichtigen zu reagieren (§ 146 Abs. 2c AO). Ob es ein Sanktionsinstrument ist (so die häufig gewählte Beschreibung), erscheint fraglich, weil es sich verfassungsrechtlich um keine Strafe handeln darf. Dieser Aspekt dürfte bei der Normauslegung zu berücksichtigen sein.
Das Gesetz erlaubt es der Finanzverwaltung, das Verzögerungsgeld in zwei unterschiedlichen Bereichen festzusetzen:
Fallgruppe 1: Ein Verzögerungsgeld kann festgesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige gegen seine Pflichten im Zusammenhang mit der Verlagerung seiner elektronischen Buchführung ins Ausland und deren Lagerung dort verstößt. Hierauf wird in einer Verwaltungsanweisung hingewiesen ().
Fallgruppe 2: Auch kommt eine Festsetzung in Betracht, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten im Zusammenhang mit einer steuerlichen Außenprüfung (so die h. M.) nicht erfüllt.
Diese Vermischung beider Bereiche irritiert beim Lesen der Norm des § 146 Abs. 2c AO und belegt, dass der Gesetzgeber keine ausreichende rechtssystematische Einordnung dieser Regelung vorgenommen hat.
Wenn eine dieser vorgenannten Voraussetzungen erfüllt ist, steht die Festsetzung des Verzögerungsgeldes im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamtes. Der Höhe nach kann das Verzögerungsgeld 2.500 € bis zu 250.000 € betragen.
Gem. § 3 Abs. 4 AO handelt es sich um eine steuerliche Nebenleistung. Nach einer Literaturansicht soll das Verzögerungsgeld als steuerliche Nebenleistung nicht abzugsfähig sein angesichts der Abzugsverbote gem. § 12 Nr. 3 EStG und § 10 Nr. 2 KStG (vgl. Heinicke in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 4 EStG Rz. 520). Die Rechtsprechung hierzu bleibt abzuwarten. Ungeklärt ist, ob ein das Verzögerungsgeld im Zusammenhang mit abzugsfähigen Steuern abzugsfähig ist. Sollte ein Steuerpflichtiger trotz der Rechtsunsicherheit das Verzögerungsgeld als Betriebsausgabe ansetzen, so sollte dieses Vorgehen im Rahmen der Steuererklärung mittels eines Begleitschreibens offengelegt werden.
In der Praxis der Betriebsprüfungen hat sich gezeigt, dass Verzögerungsgelder deutlich weniger angewandt werden als von der Beraterseite zunächst bei Einführung ihrer gesetzlichen Grundlage befürchtet worden war. Dies wird auch durch den Rückgang der hierzu veröffentlichten Rechtsprechung indiziert. Sollte es tatsächlich im Einzelfall zu einem Verzögerungsgeld kommen, so besteht das eigentliche Problem oft nicht nur in der Festsetzung des Verzögerungsgeldes. Vielmehr ist dann oft z.B. die Kommunikation zwischen Behörde und Berater erheblich belastet. Wurde während der Betriebsprüfung bereits ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, so ist die Festsetzung von Verzögerungsgeldern in diesen Sonderfällen seltener zu beobachten und ist nach hier vertretener Ansicht zudem unzulässig (hierzu unter II.). Die Betriebsprüfungsstellen zeigen daher in der Praxis oft die notwendige Sensibilität und fokussieren ihre Tätigkeit auf die steuerliche Prüfung. Auch die Ankündigung einer deutlichen Hinzuschätzung kann im Ergebnis eine Mitwirkung erreichen.
II. Anwendungsbereiche
Nach h. M. kann das Verzögerungsgeld in den beiden oben unter I. genannten Fallgruppen 1 und 2 angewandt werden. Denn nur diese Ansicht lässt sich mit dem Wortlaut des § 146 Abs. 2c AO vereinbaren. Der BFH hat insofern zwar eingeräumt, dass es gesetzessystematisch missglückt ist, die Regelung des Verzögerungsgeldes wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten bei einer Außenprüfung mit einem Verzögerungsgeld im Zusammenhang mit anderen Verpflichtungen zu verbinden. Die Regelung hätte besser in § 200 AO verortet werden sollen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts kann nach Ansicht des BFH aber allein aus der unzureichenden systematischen Verortung nicht darauf geschlossen werden, ein Verzögerungsgeld dürfe nur im Zusammenhang mit einer ohne Bewilligung der Finanzbehörde erfolgten Verlagerung der Buchführung ins Ausland oder einer unterbliebenen Rückverlagerung der Buchführung aus dem Ausland festgesetzt werden ().
1. Fallgruppe 1: Anwendung im Zusammenhang mit elektronischer Buchführung
Wenn ein Steuerpflichtiger gegen Pflichten, die im Zusammenhang mit der Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland stehen, verstößt, kommt ein Verzögerungsgeld in drei Fällen in Betracht:
Der Steuerpflichtige erfüllt seine Pflicht zur Rückverlagerung der elektronischen Buchführung in das Inland nicht.
Der Steuerpflichtige verstößt gegen seine Pflicht, eine Änderung der in § 146 Abs. 2a Satz 2 Nr. 1 und 2 AO benannten Umstände dem zuständigen Finanzamt unverzüglich mitzuteilen (§ 146 Abs. 2a Satz 4 AO, § 146 Abs. 2c AO). Diese Umstände sind: die ausländische Steuerbehörde versagt die Zustimmung zum Zugriff auf die elektronische Buchführung (§ 146 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 AO); der Standort der Buchführung im Ausland und der Name des im Ausland zuständigen Dritten (§ 146 Abs. 2a Satz 2 Nr. 1 AO).
Der Steuerpflichtige verlagert seine elektronische Buchführung ohne Bewilligung des zuständigen Finanzamtes in das Ausland.
2. Fallgruppe 2: Anwendung im Zusammenhang mit Verletzung von Mitwirkungspflichten
In der Praxis ist das Verzögerungsgeld eher bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten von Bedeutung. Hier geht es um drei Fälle von Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung:
Der Steuerpflichtige erfüllt seine Pflicht zur Gewährung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO nicht innerhalb einer angemessenen Frist.
Der Steuerpflichtige verstößt gegen seine Pflicht zur Vorlage von Unterlagen innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist.
Der Steuerpflichtige erfüllt nicht seine Pflicht zur Erteilung einer Auskunft innerhalb einer angemessenen Frist.
Nach zutreffender Ansicht beschränkt sich Fallgruppe 2 auf Fälle einer steuerlichen Außenprüfung. Im Rahmen einer USt-Nachschau gem. § 27b UStG, einer LSt-Nachschau gem. § 42g EStG oder der seit 2018 möglichen Kassen-Nachschau gem. § 146b AO ist das Verzögerungsgeld somit nicht anwendbar. M. E. ist das Verzögerungsgeld nicht in einer Steuerfahndungsprüfung anwendbar, da diese keine Außenprüfung ist. Die Rechtsprechung hierzu bleibt abzuwarten. Jedenfalls dürfte jedoch nach hier vertretener Ansicht nach der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum accusare”) verstoßen. Auch diese Frage ist durch die Rechtsprechung nicht geklärt. In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, dass das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nur den in dieser Norm genannten Zwangsmitteln, nicht jedoch dem Verzögerungsgeld entgegenstehe.
Der Festsetzung des Verzögerungsgelds steht nicht entgegen, dass der Steuerpflichtige die Aufforderung zur Vorlage der Buchführungsunterlagen mit Rechtsmitteln angegriffen hat. Maßgeblich ist allein, dass die Aufforderung vollziehbar ist ( ).
Teilweise wird in der Finanzverwaltung davon ausgegangen, dass das Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2c AO und der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO nebeneinander festgesetzt werden können, wenn die angeforderten Unterlagen im Rahmen einer Außenprüfung nicht vorgelegt werden.
Auch gegen Dritte kann ein Verzögerungsgeld festgesetzt werden. Die mitteilungspflichtigen Stellen gem. § 93c AO müssen die übermittelten Daten gem. § 93c Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 AO aufzeichnen. Im Rahmen einer nach § 203a AO n. F. möglichen Außenprüfung beim mitteilungspflichtigen Dritten kann ggf. auch ein Verzögerungsgeld i. S. des § 146 Abs. 2c AO angedroht und festgesetzt werden (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 93c Rz. 13 AO, April 2017). Denn die Neuregelung des § 93c Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AO verweist auf § 146 AO.