BMF - IV C 1-S 2252/13/10005:003

Sog. Cum/Ex-Geschäfte: Übergang des wirtschaftlichen Eigentums beim Handel mit Aktien;

Der Bundesfinanzhof hat in Tz. IV 2. seines (BStBl 2015 II S. XX) zu der nach Novellierung durch das Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007) vom (BGBl 2006 I S. 2878) maßgeblichen Rechtslage bei den Einkünften aus Kapitalvermögen für den Veranlagungszeitraum 2008 ausgeführt, es sei nicht zweifelsfrei, ob der Anteilserwerber auch im Falle eines Leerverkaufes im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirtschaftliches Eigentum an den Aktien erwerben könne.

Nach Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt zum Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag, insbesondere im Falle eines Leerverkaufes, Folgendes:

1. Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien

Der BFH hat in seinem (BStBl 2000 II S. 527) zum sog. „Dividenden-Stripping” entschieden, nach § 39 Absatz 2 Nummer 1 Satz 1 AO seien Wirtschaftsgüter unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Eigentums demjenigen zuzurechnen, der über sie die tatsächliche Herrschaft in der Weise ausübe, dass er den Eigentümer im Regelfall und nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen könne.

Bei Aktien erlange der Erwerber wirtschaftliches Eigentum im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt, von dem ab er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen könne. Dies sei in der Regel der Fall, sobald Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten, insbesondere die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen, auf den Erwerber übergegangen seien.

Der BFH hält diese Voraussetzungen für erfüllt, wenn ein entsprechender Besitzmittlungsanspruch (§ 929 Satz 2 BGB) zu der girosammelverwahrenden Stelle (Clearstream Banking AG) eingeräumt oder ein Besitzkonstitut (§ 930 BGB) vereinbart werde. Er betrachtet es daneben als ausreichend, wenn dem Käufer nach den einschlägigen Börsenusancen und den üblichen Abläufen, die mit den Anteilen verbundenen Gewinnansprüche regelmäßig nicht mehr entzogen werden können. Der Umstand, dass die entsprechende Umbuchung ggf. erst zwei Tage nach dem Vertragsabschluss vorgenommen worden sei, trete demgegenüber zurück und beeinflusse den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht.

Da es für die Zuordnung eines Wirtschaftsgutes auf das Gesamtbild der Verhältnisse ankomme, könne der Übergang des „wirtschaftlichen Eigentums” auch dann anzunehmen sein, wenn die erwähnten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang gegeben seien. Weitere Voraussetzung sei allerdings, dass der Besitz oder die vergleichbare letztlich unentziehbare Rechtsposition in Erwartung des Eigentumserwerbs eingeräumt werde.

Mit (BStBl 2013 II S. 287) hat der BFH seine Entscheidung vom bestätigt.

Nach den vorstehenden Grundsätzen führt nur der Abschluss eines Kaufvertrages über eine Aktie nicht zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an der Aktie. Für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums muss neben der schuldrechtlichen Vereinbarung zur Übertragung des Eigentums zwischen den Vertragsparteien auch ein Herrschaftselement beim Erwerber gegeben sein, das ihm entweder über den Besitz an den Aktien oder eine damit vergleichbare Herrschaftsposition in Gestalt einer unentziehbaren Rechtsposition verschafft wird.

Allein der Umstand, dass dem Erwerber Aktien geliefert werden sollen, die sich in Girosammelverwahrung befinden, verschafft diesem keine entsprechende Herrschaftsposition. Bei der Girosammelverwahrung wird dem Erwerber vor dem zivilrechtlichen Eigentumsübergang keine vom Zentralverwahrer abgeleitete Besitzposition verschafft, die zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes führen würde. Der Erwerber erlangt vor dem zivilrechtlichen Eigentumsübergang auch keine durch den Zentralverwahrer vermittelte unentziehbare Rechtsposition.

Eine als Ersatz für fehlenden Besitz ausreichende sonstige unentziehbare Rechtsposition kann sich allenfalls aus den Mechanismen der beteiligten Depotbanken von Käufer und Verkäufer ergeben, wenn neben dem Geschäftsabschluss für den Erwerber weitere Sicherungen bestehen, die einen Automatismus in Gang setzen, der zur Übertragung der verkauften Aktien in das Depot des Erwerbers führt.

Damit ein solcher Automatismus zu Gunsten des Käufers wirken kann, ist insbesondere erforderlich, dass die Depotbank des Verkäufers nicht nur den Verkaufsauftrag ausführt und an die Börse weiterleitet, sondern weitere Sicherungsmaßnahmen trifft, die eine zweite Veräußerung der Aktien verhindern. Dies kann beispielsweise über eine Sperre des Depotbestandes beim Verkäufer (Verfügungssperre) erfolgen.

Derartige Abläufe bis zur Erfüllung des Geschäftes sind aber nur bei Börsengeschäften im Privatkundengeschäft bekannt. Außerhalb des Privatkundengeschäftes bestehen vergleichbare Sicherungsmechanismen für den Käufer in der Regel nicht.

Dies gilt im Besonderen für OTC-Geschäfte, die im Abschluss und in den Inhalten der jeweiligen Verträge, in der rechtlichen Funktion der Depotbanken auf der Käufer- und Verkäuferseite und in den Erwartungshaltungen auf Käufer- und Verkäuferseite keine Merkmale aufweisen, die zu einer unentziehbaren Rechtsposition des Erwerbers führen würden:

OTC-Geschäfte werden typischerweise als sog. Zug-um-Zug-Geschäfte vereinbart. Dabei wird durch den bloßen Abschluss des schuldrechtlichen OTC-Geschäfts noch keine Verfügungsmöglichkeit auf Seiten des Käufers begründet und der Verkäufer wird noch nicht mit einer Verfügungssperre belastet. Vielmehr behalten es sowohl der Verkäufer als auch der Käufer bis zur tatsächlichen Lieferung der Aktien und deren Bezahlung in der Hand, das Erfüllungsgeschäft nicht durchzuführen. Dem Verkäufer ist es bis zur tatsächlichen Umbuchung möglich – gegebenenfalls unter Inkaufnahme von Schadenersatzansprüchen des Käufers – die Aktien an eine andere Person zu verkaufen und zu liefern.

Es besteht bei einem OTC-Geschäft auch keinerlei Instrumentarium, das verhindern könnte, dass der Verkäufer den gleichen Aktienbestand mehrfach verkauft.

  • Die jeweiligen Depotbanken auf Seiten des Käufers und des Verkäufers fungieren regelmäßig nicht als Einkaufs- bzw. Verkaufskommissionäre, wie beispielsweise bei Börsengeschäften im Privatkundengeschäft, sondern sind lediglich an der Abwicklung des Erfüllungsgeschäfts, also des Settlement-Prozesses beteiligt. Die Depotbanken sind in diesen Fällen lediglich Erfüllungsgehilfen i. S. d. § 278 BGB hinsichtlich der Pflichten aus dem außerbörslich abgeschlossenen Kaufvertrag zur Übereignung der Wertpapiere und zur Kaufpreiszahlung.

  • Die Geschäftsherren (der Verkäufer und der Käufer) können jederzeit die Depotbanken anweisen, die Lieferinstruktionen zu löschen oder mit einer Settlement-Sperre zu belegen. Die Geschäftsherren behalten es damit bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Settlement (also die Umbuchung der Aktien durch die Clearstream Banking AG) vorgenommen wird, in der Hand, ob das Geschäft tatsächlich durchgeführt wird oder nicht.

  • Die Depotbanken setzen für ihre institutionellen oder professionellen Kunden bei einem Aktienverkauf keine Verfügungssperre für Depotbestände. Die Depotbanken buchen die Aktien mit dem von ihrem Kunden mitgeteilten Handelstag aus, wenn sie durch den Kunden zur Aktienlieferung angewiesen werden. Bei dieser Ausbuchung ist es durchaus üblich, dass der Aktienbestand negativ werden kann, dass also ein Verkauf trotz fehlenden Aktienbestands abgewickelt wird. Bei einem OTC-Geschäft kommt es regelmäßig nicht zu einer Verfügungssperre auf Seiten des Verkäufers.

Die Abwicklung von OTC-Geschäften führt in der Regel nicht zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses. Von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums kann in diesen Fällen nur ausgegangen werden, wenn der Nachweis erbracht wird, dass der Erwerber durch eine Verfügungssperre des Depotbestands des Verkäufers gesichert war oder der Depotbestand in sonstiger Weise von der Verfügungsmöglichkeit des Verkäufers entzogen war.

2. Leerverkauf und wirtschaftliches Eigentum

Bei Leerverkäufen kann auf den Erwerber allein schon wegen der Tatsache, dass der Veräußerer die Aktien zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses nicht im Bestand hält, kein wirtschaftliches Eigentum übergehen. Bei Leerverkäufen verkauft der Verkäufer Aktien, die er sich erst nach dem Geschäftsabschluss von einem Dritten beschaffen muss.

Nur der Dritte ist in den Leerverkaufsfällen auch dividendenberechtigt. Der Dritte kann in der Hauptversammlung sein Stimmrecht ausüben und bezieht als Anteilsinhaber die Dividende. Erst nach dem Dividendenstichtag liefert der Dritte die Aktien an den Leerverkäufer ohne Dividendenanspruch. Der Käufer aus dem Leerverkauf hat weder eine Vertragsbeziehung mit dem Dritten noch bestehen andere Einflussmöglichkeiten gegenüber dem Dritten als Eigentümer der Aktien. Es ist daher nicht mit den Grenzen einer Auslegung des § 39 Absatz 2 Nummer 1 Satz 1 AO vereinbar, den Käufer aus einem Leerverkauf als wirtschaftlichen Eigentümer der Aktien zu betrachten. Vielmehr wird dem Käufer bei den Leerverkäufen nur ein Anspruch auf die Verschaffung von Aktien und ein Anspruch auf eine Kompensationszahlung eingeräumt. Für diese rechtliche Beurteilung sind auch die Einbindung eines zentralen Kontrahenten und etwaige sich aus dem Börsenrecht oder den Börsenbedingungen ergebende Ersatzrechte (z. B. aus Zwangsregulierung) irrelevant. Derartige Ersatzrechte können allenfalls die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Käufer aus einem Leerverkauf die geschuldete Kompensationszahlung erhält, sie können aber nicht wirtschaftliches Eigentum begründen.

Auch unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zur Einführung des § 20 Absatz 1 Nummer 1 Satz 4 EStG im Rahmen des JStG 2007 (BT-Drs. 16/2712 S. 46 ff) ist eine abweichende Rechtsauffassung nicht vertretbar. Auch wenn einige Passagen der Gesetzesbegründung missverständlich formuliert sind, hat der Gesetzgeber in den Leerverkaufsfällen den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums zugunsten eines (Leer-) Käufers nicht geregelt.

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 20 Absatz 1 Nummer 1 Satz 4 EStG, dass die an den Aktienerwerber gezahlte Kompensationsleistung kein Gewinnanteil bzw. keine Dividende, sondern eine Leistung ist, die kraft einer gesetzlichen Fiktion mit einem sonstigen Bezug i. S. d. Satzes 1 gleichgestellt wird. Dies findet sich auch in der Gesetzesbegründung wieder. Denn darin wird ausgeführt, dass es sich bei der unter Satz 4 fallenden Leistung „nicht um die vom Emittenten gezahlte Dividende, sondern um eine Zahlung des Verkäufers zum Ausgleich dafür handelt, dass er nicht auch den zwischenzeitlich entstandenen Anspruch auf Auszahlung der Dividende vermittelt (Dividendenkompensation)”.

Außerdem können bloße schuldrechtliche Ansprüche aus einem Leerverkauf auf Verschaffung einer Aktie und einer Kompensationszahlung kein wirtschaftliches Eigentum i. S. d. § 39 Absatz 2 Nummer 1 Satz 1 AO begründen. Eine abweichende Auslegung zu § 20 Absatz 1 Nummer 1 Satz 4 EStG verbunden mit einer Berechtigung des Erwerbers auf Anrechnung der vom Emittenten abgeführten Kapitalertragsteuer auf die Dividendenzahlung steht im klaren Widerspruch zu den Regelungen der Abgabenordnung zum wirtschaftlichen Eigentum und zum Wortlaut des § 20 Absatz 1 Nummer 1 Satz 4 EStG. Sie würde auch zur Aufgabe des im Steuerrecht geltenden Grundprinzips führen, dass nur tatsächlich erhobene Steuern auf die Steuerschuld des Steuerpflichtigen angerechnet und ggf. erstattet werden können.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt I veröffentlicht.

BMF v. - IV C 1-S 2252/13/10005:003

Fundstelle(n):
UAAAF-71106