Patentnichtigkeitsverfahren: Grundsätze der Streitwertbestimmung
Gesetze: § 51 Abs 1 GKG
Instanzenzug: Az: 2 Ni 59/11 (EP) Urteil
Gründe
1I. Mit Urteil vom hat der Senat die Berufung der Beklagten gegen das am verkündete Urteil des Patentgerichts zurückgewiesen und die im zweiten Rechtszug entstandenen Gerichtskosten zu einem Viertel der Klägerin zu 2 und zu drei Vierteln der Beklagten auferlegt, die auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 zu tragen hat. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat der Senat zudem den Streitwert für beide Instanzen des Patentnichtigkeitsverfahrens auf 25.000.000 € festgesetzt.
2Die Klägerin zu 2 beantragt, die Gerichtskosten der Beklagten aufzuerlegen und den Streitwert für beide Instanzen auf 5.000.000 € festzusetzen.
3II. 1. Der Antrag, die Gerichtskosten der Beklagten insgesamt aufzuerlegen, ist nicht statthaft. Ein entsprechender Ausspruch würde eine Änderung der Kostengrundentscheidung des Urteils vom bedeuten. Der Senat ist jedoch entsprechend § 318 ZPO zu einer Änderung dieser Entscheidung nicht befugt (vgl. , BeckRS 2009, 87613, Rn. 2).
4Im Übrigen ist eine Anfechtung der Kostenentscheidung unzulässig, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird (§ 99 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG), was auch dann gilt, wenn die Entscheidung in der Hauptsache - wie das Berufungsurteil im Patentnichtigkeitsverfahren - keinem Rechtsmittel unterliegt und deshalb nicht zulässig eingelegt werden kann (, Rn. 20, MDR 2012, 795; Prütting/Gehrlein/Schneider, ZPO, 7. Aufl., 2015, § 99, Rn. 2).
5Die Gegenvorstellung der Klägerin zu 2 kann auch nicht als Anhörungsrüge verstanden werden. Die Klägerin zu 2 zeigt nicht auf, dass der Senat relevantes Vorbringen gehörsrechtswidrig nicht berücksichtigt hat.
62. Soweit sich die Gegenvorstellung der Klägerin zu 2 gegen die Streitwertbestimmung des Senats richtet, hat sie teilweise Erfolg.
7Der Streitwert im Patentnichtigkeitsverfahren ist nach § 51 Abs. 1 GKG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dafür der gemeine Wert des Patents bei Erhebung der Klage bzw. der Einlegung der Berufung zuzüglich des Betrags der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen maßgeblich (, GRUR 1957, 79; Beschluss vom - X ZR 138/04, GRUR 2007, 175 - Sachverständigenentschädigung IV; Beschluss vom - X ZR 153/04, GRUR 2009, 1100 - Druckmaschinen-Temperierungssystem III). Ist zu diesem Zeitpunkt über die streitige Höhe des wegen Verletzung des Streitpatents bereits entstandenen Schadens noch keine abschließende gerichtliche Entscheidung ergangen, entspricht es regelmäßig billigem Ermessen, den bezifferten Betrag der Schadensersatzforderung in voller Höhe in die Wertbestimmung einzustellen (Beschluss vom , aaO). Mangels solcher oder weiterer Anhaltspunkte legt der Senat in ständiger Rechtsprechung die (vorläufige) Streitwertfestsetzung im Verletzungsverfahren zugrunde. Diese beziffert regelmäßig das Interesse des Nichtigkeitsklägers an der erstrebten Vernichtung des Streitpatents, mit der der Patentverletzungsklage die Grundlage entzogen werden soll. Eine Streitwertfestsetzung im Nichtigkeitsverfahren unterhalb dieses Betrages, der sich in der Regel unter dem Gesichtspunkt der Eigennutzung des Streitpatents durch den Patentinhaber um 25 erhöht, kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht (grundlegend: , GRUR 2011, 757, Rn. 2 f. - Nichtigkeitsstreitwert).
8Dem gegenüber diesen Grundsätzen von der Klägerin zu 2 vorgebrachten Bedenken, der Streitwert eines Verletzungsverfahrens sei nicht als Anhaltspunkt für den angemessenen Streitwert eines Nichtigkeitsverfahrens geeignet, wenn die angegriffenen Produkte nicht in den Schutzbereich des Patentes fielen, kann nicht beigetreten werden. Die Klägerin zu 2 übersieht, dass sich der gemeine Wert des Streitpatents nach dem objektiven Interesse an der Vernichtung des Streitpatents richtet, mit dem zum Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. der Berufungseinlegung anhängigen Verletzungsverfahren die Grundlage entzogen werden soll, und damit auch unabhängig von dem endgültigen Ausgang dieser Verfahren ist.
9Entgegen der Ansicht der Klägerin zu 2 steht der Streitwert auch nicht zur Disposition des Nichtigkeitsbeklagten (= Patentinhabers), wenn nach der Rechtsprechung des Senats die von den Verletzungsgerichten im Verletzungsverfahren (vorläufig) festgesetzten Streitwerte bei der Streitwertbestimmung im Nichtigkeitsverfahren zugrunde gelegt werden. Im Übrigen steht es den Parteien des Nichtigkeitsverfahrens frei, Umstände vorzutragen, die es im Einzelfall rechtfertigen, den Streitwert im Nichtigkeitsverfahren höher oder niedriger festzusetzen, als es die in den Verletzungsverfahren bestimmten Streitwerte zuzüglich eines regelmäßigen Zuschlags von 25 % für die Eigennutzung des Streitpatents indizieren. Von einem Verstoß gegen Art. 3 und 19 Abs. 4 GG durch die Rechtsprechung des Senats zur Streitwertbestimmung im Patentnichtigkeitsverfahren kann danach keine Rede sein.
10Nach den Angaben der Beklagten, die von den Klägerinnen nicht in Abrede gestellt worden sind, war das Streitpatent Gegenstand von Verletzungsverfahren gegen drei Beklagte und mit diesen verbundene Unternehmen, deren Streitwert auf 10.000.000 €, 4.000.000 € und zweimal 2.500.000 € festgesetzt oder vorläufig festgesetzt wurden. Im Hinblick auf den (unbestrittenen) Vortrag der Klägerin zu 2 in ihrer Gegenvorstellung, dass die Klägerin zu 1 und deren Muttergesellschaft in zwei getrennten Verletzungsverfahren wegen derselben Ausführungsformen in Anspruch genommen worden seien, ist der der in diesen Verfahren festgesetzte Streitwert von 2.500.000 € allerdings nur einmal anzusetzen, so dass sich ein addierter Streitwert der Verletzungsverfahren von 16.500.000 € ergibt. Dieser erhöht sich im Hinblick auf die Eigennutzung des Streitpatents um 25 %, woraus sich für das vorliegende Nichtigkeitsverfahren in beiden Instanzen jeweils ein (abgerundeter) Streitwert von 20.000.000 € errechnet. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Gegenstand des Streitpatents von der Beklagten, einem der führenden Anbieter von tragbaren elektronischen Vorrichtungen mit berührungsempfindlichem Bildschirm, in der Vergangenheit selbst verwertet wurde und das Streitpatent bei Einreichung der Klagen bzw. der Berufungen noch eine potentielle Laufzeit von etwa fünfzehn bzw. dreizehn Jahren hatte. Im Übrigen sind der Gegenvorstellung keine Umstände zu entnehmen, die eine weitere Reduzierung des Streitwertes für das vorliegende Verfahren rechtfertigen.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann
Schuster Deichfuß
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:160216BXZR110.13.0
Fundstelle(n):
RAAAF-70965