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Sozialhilferegress bei vorweggenommener Erbfolge
Dieses Dokument wird nicht mehr aktualisiert und entspricht möglicherweise nicht dem aktuellen Rechtsstand.
I. Definition des Sozialhilferegresses bei vorweggenommener Erbfolge
Auch im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge gewinnt der Sozialhilferegress zunehmend an Bedeutung. Häufig nämlich übertragen Eltern Grundbesitz auf ihre Kinder, wobei die Motive für die Übertragung vielschichtig sind. Soll vermieden werden, dass die geschenkte Immobilie später verwertet werden muss, bevor der Beschenkte Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch nehmen kann, bietet es sich an, den Schenkungsgegenstand mithilfe vertraglicher Rückforderungsrechte zu „nicht verwertbarem” Vermögen i. S. von §§ 12 Abs. 1 SGB II oder 90 Abs. 1 SGB XII zu machen. Hierbei stellt wiederum die Frage, inwieweit eine derartige Vertragsgestaltung eine sittenwidrige Gläubigerbenachteiligung nach § 138 BGB darstellen könnte.
Von den Verwaltungsgerichten Gießen (Beschluss vom - 6 G 2321/99) sowie Karlsruhe (Urteil vom 14. 1. 2004 - 10 K 1353/03) wurde die allgemeine Vereinbarung eines Rückübertragungsrechts gebilligt, jedoch die konkrete Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs als sittenwidrig eingestuft, soweit sie erfolgt, um eine ansonsten nicht bestehende Bedürftigkeit des Beschenkten herbeizuführen.
Beide Entscheidungen sind zu Recht auf Ablehnung gestoßen, denn auch bei dieser Fallgestaltung besteht das Interesse des Übergebers darin, das Familienvermögen zu erhalten. Anderenfalls würde eine Obliegenheit des Schenkers geschaffen, das mühselig erarbeitete Familienvermögen zugunsten des hilfsbedürftigen Beschenkten verwerten zu lassen. In diesem Sinne hat auch das Bayerische Landessozialgericht mit Urteil vom - L 11 AS 675/10 entschieden. Im zur Entscheidung vorgelegten Fall hatten Eltern ihrem Sohn im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ein bebautes Grundstück sowie landwirtschaftliche Grundstücke unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts an der EG-Wohnung und eines Rücktrittsrechts übertragen. Mit Urkunde vom gleichen Tag hatte der Sohn, der später Leistungen nach dem SGB II beantragte, den ihm übertragenen Grundbesitz mit Zustimmung der Eltern seinem Sohn zur weiteren Übergabe angeboten. Die Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs durch die Eltern hat das Gericht nicht ohne Weiteres als sittenwidrig eingestuft. Allerdings hat das Gericht eine wichtige Einschränkung dahingehend vorgenommen und damit die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs verneint, soweit dies im Rahmen eines vorwerfbaren Zusammenwirkens des Sozialleistungsempfängers und des Schenkers erfolgt, um die nachrangige Verpflichtung staatlicher Sozialleistungsträger zu unterlaufen.
II. Rückforderungsanspruch des Schenkers
Wird der Schenker nach Übertragung von Vermögenswerten im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zum Leistungsempfänger nach SGB II oder SGB XII, hat er einen Anspruch auf Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung vor, soweit der Schenker nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen Unterhalt zu bestreiten und seine ihm gesetzlich obliegenden Unterhaltspflichten zu erfüllen, § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Durch die Rückforderung der Schenkung soll der Übergeber wieder in die Lage versetzt werden, seinen angemessenen Unterhalt i. S. des § 1610 BGB selbst zu bestreiten, ohne der Allgemeinheit zur Last zu fallen. Für die Praxis erlangt der Schenkungsrückforderungsanspruch seine größte Bedeutung, wenn Eltern z. B. ins Pflegeheim kommen, vgl. u. a. LSG Bayern vom - I 8 SO 105/13.
Anspruchsberechtigt ist zunächst der in Not geratene Schenker selbst, der grundsätzlich frei darüber entscheiden kann, ob er die unentgeltliche Zuwendung vom Beschenkten zurückverlangt. Allerdings handelt es sich nicht um einen höchstpersönlichen Anspruch.
Für die Praxis von erheblicher Bedeutung ist wiederum die Überleitung des Anspruchs auf den Sozialhilfeträger nach § 93 SGB XII bzw. der Übergang kraft Gesetzes nach § 33 SGB II. Soweit nämlich der Sozialhilfeträger in Vorlage tritt, geht der Anspruch aus § 528 Abs. 1 BGB trotz Deckung des Notbedarfs nicht unter. Alles andere wäre auch mit dem Nachranggrundsatz nicht vereinbar, wonach eben der Beschenkte das Risiko der Unterhaltsbedürftigkeit zu tragen hat und sein Erwerbsinteresse zurücktreten muss. Nach Überleitung bzw. Übergang kraft Gesetzes wird der Sozialleistungsträger Gläubiger des Rückforderungsanspruchs, § 93 SGB XII, § 33 SGB II.
Der Rückforderungsanspruch nach § 528 Abs. 1 BGB geht auch dann nicht unter, wenn der rückgabepflichtige Beschenkte im Fall des Todes des Schenkers zugleich dessen Erbe wird (). Lediglich dann, wenn niemand mehr ein schützenswertes Interesse am Fortbestand des Anspruchs hat, kann im Fall der Konfusion der Anspruchsuntergang bejaht werden (Koch in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 528 Rn. 16). Dies wird jedoch für Fälle des Sozialhilferegresses verneint. Die Überleitung ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann. Auch die Vorschriften über Schonvermögen gemäß § 90 Abs. 2 SGB XII kommen dem Beschenkten nicht zugute, weil sie nur die leistungsberechtigte Person schützen sollen, nicht jedoch Dritte ().
Nach ständiger Rechtsprechung () besteht der gesetzliche Rückforderungsanspruch in dem Umfang, in welchem der Schenkungsgegenstand zur Deckung des angemessenen Unterhalts des Schenkers erforderlich ist. Ist das Schenkungsobjekt nicht teilbar, so z. B. bei einer Immobilie, ist der Anspruch von vornherein auf die wiederkehrende Zahlung eines der jeweiligen Bedürftigkeit des Schenkers entsprechenden Wertanteils gerichtet, bis der Wert der Immobilie erschöpft ist.
Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn seit Leistung der Schenkung 10 Jahre vergangen sind, § 529 Abs. 1 2. Alt. BGB. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung () beginnt bei der Schenkung eines Grundstücks die 10-Jahresfrist bereits mit Erklärung der Auflassung und Eingang des Eintragungsantrags des Beschenkten selbst beim Grundbuchtamt, ohne dass es auf den Tag der Eintragung der Eigentumsänderung im Grundbuch ankommt. Vorbehaltsrechte sind für den Beginn der Frist unschädlich, hemmen also den Fristablauf nicht.