Pflicht zur Begründung einer nachgeholten Zulassungsentscheidung durch das Berufungsgericht
Leitsatz
Das Berufungsgericht ist nicht verpflichtet, eine von ihm nachgeholte Zulassungsentscheidung zu begründen. Unterbleibt eine Begründung oder ist sie auf einzelne Aspekte beschränkt, lässt dies deshalb nicht den Schluss zu, das Berufungsgericht habe einen von § 511 Abs. 4 ZPO abweichenden Maßstab angelegt oder nicht alle Zulassungsgründe geprüft.
Gesetze: § 511 Abs 4 ZPO
Instanzenzug: LG Gera Az: 1 S 10/15vorgehend AG Jena Az: 28 C 402/14
Gründe
I.
1Das Amtsgericht hat die Klage auf Beseitigung eines auf dem Grundstück des Klägers erfolgten Überbaus und die Herausgabe der überbauten Fläche abgewiesen. Den Streitwert hat es auf 1.500 € festgesetzt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Klägers hat das Landgericht durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Durchführung der Berufung erreichen möchte. Der Beklagte beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II.
2Das Berufungsgericht meint, die für die Berufung erforderliche Beschwer sei nicht erreicht. Diese belaufe sich auf weniger als 600 €. Die Berufung sei auch nicht nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen. Die Sache habe keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht, weil die angefochtene Entscheidung nicht von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweiche.
III.
3Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
41. Sie ist zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Zulässig ist sie aber nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO; vgl. auch Senat, Beschluss vom - V ZB 179/14, WuM 2015, 320 Rn. 4; , BGHZ 155, 21, 22). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
52. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert, anders als die Rechtsbeschwerde meint, eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht.
6a) Eine solche Entscheidung ist nicht deshalb geboten, weil das Berufungsgericht überzogene Anforderungen an die Darlegung der Beschwer gestellt und dem Kläger den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert hätte (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 56/15, Grundeigentum 2015, 1593 Rn. 5; Beschluss vom - V ZB 78/14, ZWE 2015, 337 Rn. 5).
7aa) Voraussetzung dafür wäre, dass das Berufungsgericht bei der Bemessung der für die Zulässigkeit der Berufung maßgeblichen Beschwer (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte. Denn die Bemessung der Beschwer kann auch in dem Verfahren über eine aus anderen Gründen zulässige Rechtsbeschwerde nur in dieser Hinsicht überprüft werden (Senat, Beschluss vom - V ZB 56/15, Grundeigentum 2015, 1593 Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 78/14, ZWE 2015, 337 Rn. 5).
8bb) Dieser Prüfung hält die angefochtene Entscheidung stand.
9(1) Die Beschwer des Klägers aus der Abweisung seiner Klage bemisst sich gemäß § 3 ZPO nach dem Wertverlust, den das Grundstück durch den Überbau erleidet; dieser ist nach dem Wert der überbauten Fläche und den dadurch bewirkten Beeinträchtigungen bei der Nutzung des nicht überbauten Grundstücksteils zu bestimmen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 115/09, Grundeigentum 2010, 265; Beschluss vom - V ZR 97/06, juris; Beschluss vom - V ZR 119/85, NJW-RR 1986, 737).
10(2) Hiervon geht das Berufungsgericht zutreffend aus und verneint ermessensfehlerfrei eine über 600 € hinausgehende Beschwer des Klägers.
11(a) Die Rechtsbeschwerde wendet sich ohne Erfolg gegen den Ausgangspunkt der von dem Berufungsgericht gewählten Berechnungsmethode. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist das 80 qm große Flurstück 115/5 in einer Fläche von 6 qm mit einem Schuppen überbaut und in einer weiteren Fläche von 6 qm in der Nutzung eingeschränkt. Da es sich bei dem Flurstück um ein rechtlich selbständiges Grundstück handelt, ist es nicht ermessensfehlerhaft, den Wert der von dem Überbau betroffenen Fläche nach dem 2012 von dem Kläger gezahlten Kaufpreis von 300 € mit 3,75 €/qm zu bestimmen.
12(b) Eine darüber hinausgehende Wertminderung ergibt sich nicht aus dem Vorbringen des Klägers, das Flurstück 115/5 bilde mit dem von ihm im Jahr 2010 für 110.500 € erworbenen 680 qm großen Hausgrundstück (Flurstück 115/6) eine wirtschaftliche Einheit, so dass dessen Wert in der Weise mit zu berücksichtigen sei, dass ein durchschnittlicher Quadratmeterpreis (145,79 €) aus den für beide Grundstücke gezahlten Kaufpreisen gebildet werde. Die Prüfungskompetenz des Rechtsbeschwerdegerichts beschränkt sich, auch soweit es um die zugrunde gelegten Tatsachen geht, darauf, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen einen ungesetzlichen Gebrauch gemacht hat. Einen dahingehenden Ermessensfehler zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Das Vorbringen des Klägers, beide Grundstücke könnten nur zusammen veräußert werden, ist hierzu schon deswegen ungeeignet, weil er selbst im Jahr 2010 zuerst das bebaute Flurstück 115/6 und erst fast zwei Jahre später von einem anderen Eigentümer das angrenzende Grundstück Flurstück 115/5 erworben hat. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass ohne das Flurstück 115/5 eine Reduzierung des Bauwichs unter den gesetzlichen Mindestabstand von 3 Metern droht.
13(c) Den Umstand, dass Größe und Lage des Flurstücks 115/5 die Kaufpreisbildung im Jahr 2012 beeinflusst haben mögen, hat das Berufungsgericht in einer Hilfserwägung in der Weise zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass es für die Ermittlung des Werts der von dem Überbau betroffenen Fläche werterhöhend den Bodenrichtwert des Flurstücks 115/6 von 15 €/qm herangezogen hat. Auch dann übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, auf den Bodenrichtwert abzustellen. Der Hinweis des Klägers, das aus den beiden Flurstücken gebildete Gesamtgrundstück werde durch die Wohnbebauung geprägt, veranlasst keine abweichende Beurteilung. Die von dem Überbau betroffene Fläche macht mit 12 qm nur 0,7 % der Gesamtfläche der beiden Flurstücke aus. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wird das Wohngebäude durch den Überbau nicht berührt. Das steht der Annahme entgegen, prägend für den Wert der überbauten Fläche sei die Wohnbebauung.
14b) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist auch nicht im Hinblick auf die nachgeholte Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts erforderlich.
15aa) Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung kann allerdings darin liegen, dass das Berufungsgericht die gebotene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht nachholt und ein Grund für die Zulassung der Berufung vorliegt. Die Entscheidung über die Zulassung muss nachgeholt werden, wenn das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600 € festgesetzt hat, und das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht hält (Senat, Beschluss vom - V ZB 179/14, WuM 2015, 320 Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 242/11, WuM 2012, 402 Rn. 11).
16bb) Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist allerdings nur festzustellen, ob das Berufungsgericht seiner gesetzlichen Pflicht zur Nachholung der Entscheidung über die Zulassung der Berufung entsprochen, hierbei den Maßstab des § 511 Abs. 4 ZPO angelegt und alle maßgeblichen Zulassungsgründe geprüft hat. Ob die Entscheidung über die Zulassung der Berufung sachlich richtig ist, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren dagegen nicht zu prüfen (Senat, Beschluss vom - V ZB 179/14, WuM 2015, 320 Rn. 7; Beschluss vom - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82 Rn. 6 f.).
17Hat das Berufungsgericht seine Entscheidung begründet, wird daher auch nicht geprüft, ob die Begründung richtig ist. Anders ist es nur, wenn diese zweifelsfrei erkennen lässt, dass das Berufungsgericht einen von § 511 Abs. 4 ZPO abweichenden Maßstab angelegt hat. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht nicht verpflichtet ist, eine von ihm nachgeholte Zulassungsentscheidung zu begründen. Unterbleibt eine Begründung oder ist sie auf einzelne Aspekte beschränkt, lässt dies deshalb nicht den Schluss zu, das Berufungsgericht habe einen von § 511 Abs. 4 ZPO abweichenden Maßstab angelegt oder nicht alle Zulassungsgründe geprüft.
18Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde folgt daraus, dass sich das Berufungsgericht mit dem Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nur unter dem Aspekt der Divergenz befasst, daher nicht, dass es die Reichweite dieses Zulassungsgrundes verkannt und deshalb nicht geprüft hat, ob das Urteil des Amtsgerichts auf einer Verletzung des Anspruchs des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) des Klägers beruht (vgl. dazu Senat, Urteil vom - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296). Daran vermag auch der Hinweis der Rechtsbeschwerde nichts zu ändern, in der Berufungsbegründung sei gerügt worden, dass das Amtsgericht den erstinstanzlichen Vortrag des Klägers in dreifacher Hinsicht übergangen habe. Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, seine Zulassungsentscheidung darauf bezogen zu begründen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat nicht festzustellen, ob das Amtsgericht tatsächlich entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers übergangen hat; denn dies liefe auf die - ihm verwehrte - Prüfung hinaus, ob die nachgeholte Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts sachlich richtig war.
IV.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:210116BVZB66.15.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2016 S. 509 Nr. 8
HAAAF-69393