Auslegung eines Sozialplans - Einzelfallentscheidung
Gesetze: § 112 Abs 1 S 3 BetrVG, § 77 Abs 4 S 1 BetrVG
Instanzenzug: Az: 41 Ca 3541/12 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 22 Sa 1664/12 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.
2Der am geborene Kläger war seit dem bei der Anfang September 2011 auf die Beklagte verschmolzenen Gesellschaft für Beratung und Sozialmanagement mbH (GBS) als Leiter der Finanzbuchhaltung zu einem monatlichen Grundgehalt von zuletzt 4.600,00 Euro beschäftigt. Am gab die GBS auf einer Betriebsversammlung ua. die beabsichtigte Schließung ihrer zentralen Verwaltung in Berlin spätestens zum bekannt. Mit einem der Rechtsvorgängerin der Beklagten am selben Tag zugegangenen Schreiben vom kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis zum .
3Am übersandte die GBS dem in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat ua. den Entwurf eines Sozialplans, in dessen § 2 Nr. 1 formuliert war: „Endet das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen durch arbeitgeberseitige Kündigung oder durch Aufhebungsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers nach dem , hat der Mitarbeiter Anspruch auf eine Abfindung.“
4Am schlossen die Betriebsparteien einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Der Sozialplan (SP 2011) lautet auszugsweise:
5Der Kläger hat - gestützt auf den SP 2011 - zuletzt die Zahlung einer Abfindung iHv. 58.305,00 Euro brutto nebst Zinsen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, nach § 2 Nr. 1 SP 2011 sei für das Entstehen des Abfindungsanspruchs die - in seinem Fall vorliegende - Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach dem maßgeblich. Der Höhe nach sei sein Anspruch nicht nach § 2 Nr. 12 SP 2011 auf 10.000,00 Euro begrenzt.
6Der Kläger hat zuletzt beantragt,
7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 knüpfe für den Anspruch auf Abfindung an den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - also den Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung, den Abschluss des Aufhebungsvertrags oder den Ausspruch der Eigenkündigung - an.
8Das Arbeitsgericht hat die (noch geringfügig höhere) Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem zuletzt gestellten Klageantrag entsprochen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
9Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht entsprochen. Dem Kläger steht nach dem Sozialplan kein Anspruch auf die erstrebte Abfindung zu.
101. Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass er dem räumlichen und persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans nach dessen § 1 erster und zweiter Gliederungspunkt unterfällt. Darüber streiten die Parteien auch nicht.
112. Der Kläger erfüllt aber nicht die Voraussetzung des § 2 Nr. 1 Satz 1 iVm. § 1 dritter Gliederungspunkt SP 2011.
12a) Nach § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 hat ua. der Mitarbeiter Anspruch auf eine Abfindung nach Maßgabe der Sozialplanregelungen, dessen Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung „nach dem “ endet. Wie die Auslegung dieser Sozialplanvorschrift ergibt, bezieht sich das Datum nicht auf den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses, sondern auf den Zeitpunkt des zu seiner Beendigung führenden Tatbestandes.
13aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen eigener Art wegen ihrer normativen Wirkungen (§ 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) wie Tarifverträge auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt ( - Rn. 18 mwN).
14bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen begründet der Sozialplan keine Leistungen für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer vor dem erklärten Eigenkündigung geendet hat.
15(1) Der Wortlaut des § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 ist nicht ergiebig. Ihm lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob sich das darin festgelegte Datum nur auf die Eigenkündigung des Mitarbeiters oder auch auf die beiden zuvor genannten Beendigungstatbestände (arbeitgeberseitige Kündigung und Aufhebungsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers) bezieht. Für das letztgenannte Verständnis spricht allerdings deutlich der Umstand, dass bereits der erste Sozialplanentwurf in seinem § 2 Nr. 1 Satz 1 eine datumsmäßige Begrenzung enthielt, obwohl der Beendigungstatbestand der Eigenkündigung noch nicht aufgeführt war. Jedenfalls ist es aber nach dem textlichen Verständnis der Sozialplanbestimmung weder geboten noch ausgeschlossen, die Angabe „nach dem “ auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder den des dazu führenden Beendigungssachverhaltes zu beziehen.
16(2) Systematische Erwägungen erlauben gleichfalls keine zweifelsfreie Bedeutungsfeststellung.
17(a) Das Datum „“ ist auch in § 2 Nr. 7 Satz 3 SP 2011 (dort ausdrücklich als „Stichtag“ bezeichnet) und in § 2 Nr. 8 SP 2011 genannt. Daraus lässt sich aber für das inhaltliche Verständnis von § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 nichts schlussfolgern. Der in § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 genannte Zeitpunkt bezieht sich auf den Abfindungsanspruch „an sich“. Bei den Daten „“ in § 2 Nr. 7 Satz 3 und Nr. 8 SP 2011 geht es um die Festlegung von Stichtagen für den Nachweis bzw. das Entstehen von die Abfindungsleistung erhöhenden Umständen. Das dient ersichtlich im Sinn einer Aufwandskalkulation sowie aus Praktikabilitätsgründen der Erleichterung der Feststellung der Leistungshöhe und der Begrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten. Eine solche Intention liegt § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 nicht zugrunde.
18(b) Auch ein systematischer Vergleich mit anderen Sozialplanregelungen ist wenig aussagekräftig. In § 2 Nr. 12 SP 2011 findet sich bei der Begrenzung der dort genannten Mitarbeiter auf die Mindestabfindung die Formulierung „…, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund eigener Kündigung oder Abschluss eines Aufhebungsvertrages vor dem enden“. Ausgehend nur vom Wortlaut dieser Vorschrift ist auch hier nicht unmissverständlich klar, ob sich der genannte Zeitpunkt auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezieht oder auf den Sachverhalt, der zu der Beendigung führt. Ersteres Verständnis scheint allerdings naheliegender, weil mit § 2 Nr. 12 SP 2011 - ungeachtet der Rechtmäßigkeit dieser Bestimmung - offensichtlich ein „Halten“ der genannten Mitarbeiter im Arbeitsverhältnis bis zum bezweckt ist. Diesem Zweck dient § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 offensichtlich nicht. Im Übrigen haben die Betriebsparteien bei der Festlegung eines anderen Stichtags - dem für das Lebensalter nach § 2 Nr. 3 Satz 2 SP 2011 - augenscheinlich nicht einmal an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses „an sich“ angeknüpft.
19(3) Vor allem Sinn und Zweck der Sozialplanregelungen sprechen deutlich dafür, dass sich das zeitliche Moment des § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 auf den zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Sachverhalt bezieht. Mit dem dort genannten Datum haben die Betriebsparteien einen Stichtag für den Abfindungsanspruch festgelegt. Ein solcher Stichtag hat sich grundsätzlich an dem Zweck des Sozialplans auszurichten, der keine Entschädigung für geleistete Dienste gewähren, sondern konkret absehbare oder voraussichtlich eintretende betriebsänderungsbedingte Nachteile ausgleichen soll (vgl. - Rn. 17 mwN). Einen anderen Zweck haben die Betriebsparteien vorliegend mit § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 auch nicht verfolgt. Nach § 1 dritter Gliederungspunkt SP 2011 gilt der Sozialplan sachlich für den Ausgleich von Nachteilen, die sich aus betriebsbedingten Arbeitsplatzverlusten oder Versetzungen ergeben. Nach § 2 Nr. 1 Satz 2 SP 2011 sollen die Abfindungen zwar nicht nur „die den Mitarbeitern durch einen Verlust des Arbeitsplatzes in der A - Gruppe entstehenden Nachteile abfedern“, sondern (auch) „die Mitarbeiter in den Abteilungen Controlling, Finanz- und Rechnungswesen motivieren, bis zur Fertigstellung der Jahresabschlussarbeiten () weiter zu arbeiten“. Letzterer Intention trägt aber erkennbar nicht § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011, sondern - ungeachtet ihrer Rechtfertigung - allenfalls die Kürzungsregel des § 2 Nr. 12 SP 2011 Rechnung. Steht Satz 1 des § 2 Nr. 1 SP 2011 damit aber in einem nachteilsausgleichenden Zusammenhang, ging es den Betriebsparteien ersichtlich darum, zur Herstellung von Rechtssicherheit einen Stichtag zu bestimmen und auf diese Weise festzulegen, ob der zu der Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende Tatbestand - die betriebsbedingte Kündigung, der Aufhebungsvertrag oder die Eigenkündigung des Mitarbeiters - durch die konkrete Betriebsänderung veranlasst wurde. Im Hinblick auf diesen Zweck verbietet sich ein Verständnis der Anknüpfung des § 2 Nr. 1 Satz 1 SP 2011 an den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses.
20(4) Gegen die so verstandene Stichtagsregelung bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann die Ausgleichspflicht in einem Sozialplan an einen Zeitpunkt anknüpfen, in dem die Art und Weise der durchzuführenden Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer feststeht ( - Rn. 17). Vor allem im Zusammenhang mit Eigenkündigungen dürfen die Betriebsparteien bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die auf eigene Veranlassung ihr Arbeitsverhältnis beenden, bevor das Ausmaß einer sie treffenden Betriebsänderung konkret absehbar und der Umfang der daran knüpfenden wirtschaftlichen Nachteile prognostizierbar ist, ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Betriebsänderung beenden ( - aaO). Eigenkündigungsbezogene Stichtagsregelungen können daher sachlich gerechtfertigt sein, wenn in ihnen auf den Zeitpunkt des Abschlusses oder des endgültigen Scheiterns der Verhandlungen über den Interessenausgleich oder auch - wenn weitere besondere Umstände dazu kommen - des Abschlusses des Sozialplans Bezug genommen wird (vgl. - aaO). Vorliegend sind zwar der Interessenausgleich und der Sozialplan erst am geschlossen worden. Nach dem Vorbringen der Beklagten stand der konkrete Umfang der Betriebsänderung aber am fest; bei der vom Landesarbeitsgericht übernommenen Datumsangabe „“ handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler. Auch der Kläger hat insofern in den Instanzen allenfalls bestritten, „dass Ende September 2011 nichts zwischen den Betriebsparteien abschließend verhandelt gewesen sei“ und damit die Ende September 2011 erzielte Einigung der Betriebsparteien gerade nicht in Abrede gestellt. Eine gegenteilige Behauptung liegt auch nicht in seiner - ohnehin erst in der Revisionserwiderung vorgebrachten - Angabe, die Betriebsänderung sei spätestens am jedem Arbeitnehmer durch Bekanntgabe am „Schwarzen Brett“ sowie in der Diskussion von Betriebsversammlungen bekannt geworden. Dies betraf die von der Beklagten selbst vorgebrachten Planungen der Betriebsänderung. Weder war die Beklagte bis zum Abschluss der mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleichs geführten Verhandlungen oder deren Scheitern betriebsverfassungsrechtlich berechtigt, die geplanten betriebsändernden Maßnahmen umzusetzen, noch ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass sie die geplanten Maßnahmen vor dem Abschluss der - in eine Interessenausgleichvereinbarung mündenden - Verhandlungen umgesetzt hat. Aus diesem Grund sind bereits im Juli 2011 verlautbarte Ankündigungen der Beklagten nicht geeignet, etwaige vor dem Stichtag „“ ausgesprochene Eigenkündigungen als durch die Betriebsänderung veranlasst anzusehen.
21b) Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Abfindung nach Maßgabe der Sozialplanregelungen. Er hat sein Arbeitsverhältnis mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten aufgrund einer dieser am zugegangenen Eigenkündigung beendet.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:171115.U.1AZR881.13.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 691 Nr. 11
LAAAF-68307