BSG Beschluss v. - B 9 V 63/15 B

Instanzenzug: S 39 VE 15/11

Gründe:

I

1In der Hauptsache begehrt die Klägerin Opferentschädigung wegen Funktionsstörungen der Zunge und der Mundschleimhaut, Gewichtsverlust und seelischen Störungen vornehmlich nach Hungern infolge ungerechtfertigter Streichung von SGB II-Leistungen sowie Kontopfändungen und Freiheitsberaubung durch (angeregte) Betreuung in den Jahren 2007 bis 2010. Der Beklagte hat Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) mangels tätlicher Angriffe abgelehnt (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Das SG hat die Klage abgewiesen, nachdem die beigezogenen medizinischen Befundunterlagen keine Hinweise auf gesundheitliche Defizite infolge Hungerns ergaben und die Klägerin angegeben hatte, die Zungenschwellung beruhe auf einer Stoffwechselstörung. Für Amtspflichtverletzungen sei die Zuständigkeit des SG nicht begründet (Urteil vom ). Das LSG hat der Klägerin nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Versagung eines besonderen Vertreters (mangels unzumutbar weiter Entfernung vom Gerichtsort) die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung freigestellt, für den Fall des Nachweises der Mittellosigkeit die Übersendung einer Fahrkarte zugesagt und sodann die Berufung der Klägerin in deren Abwesenheit zurückgewiesen, zur Begründung auf die Gründe der Entscheidung des SG Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die vorliegenden Unterlagen und der Vortrag der Klägerin böten keine Anhaltspunkte für einen tätlichen Angriff iS des § 1 OEG auf der Basis der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil vom ).

2Mit ihrer Beschwerde, für die sie PKH beantragt, wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

31. Der Antrag auf PKH ist abzulehnen. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). Weder die Beschwerdebegründung noch die Aktenlage lassen bei der gebotenen summarischen Prüfung die erforderliche Erfolgsaussicht erkennen.

4Hinreichende Erfolgsaussicht hat eine Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Von diesen Zulassungsgründen lässt sich nach Aktenlage unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des LSG-Urteils und des Vortrags der Klägerin keiner feststellen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das LSG bei seiner Entscheidung tragend von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen wäre. Im Gegenteil stützt sich das Urteil des LSG zur Begründung seiner Entscheidung zutreffend auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zum tätlichen Angriff und die erforderliche physische Einwirkung auf das Opfer ( - SozR 4-3800 § 1 Nr 21 RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

5Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass die Klägerin einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Entscheidungsrelevante Verfahrensmängel sind weder von der Klägerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

6Die Klägerin rügt, dass LSG habe ihr persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung nicht angeordnet, weshalb sie an der mündlichen Verhandlung nicht habe teilnehmen können. Die mündliche Verhandlung habe insgesamt auch nur sechs Minuten gedauert, sodass das Sach- und Streitverhältnis unmöglich ausreichend erörtert worden sein könne. In der Sache selbst habe sie bisher verdrängt, dass sie am von drei Polizisten und einem Arzt in Handschellen zum Städtischen Klinikum G. gefahren und erst am Folgetag befundlos entlassen worden sei. Hierin sei der tätliche Angriff zu erblicken. Da sie dies nicht mit Belegen untermauern könne, habe das Gericht insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären. Die bisherige Beweiswürdigung sei ungenügend.

7Der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels wird durch diesen Vortrag auch unter Berücksichtigung der Aktenlage nicht hinreichend deutlich. Soweit die Klägerin sinngemäß eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG; Art 47 Abs 2 S 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]) und des Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip; Art 6 Abs 1 EMRK) durch Unterbleiben der Anordnung persönlichen Erscheinens (§ 111 Abs 1 S 1 SGG iVm § 141 ZPO) geltend macht, ist nicht ersichtlich, wieso die Klägerin angesichts der im Berufungsverfahren wiederholt zugesagten Übernahme der Reisekosten ihre Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und damit einhergehend die Wahrnehmung ihrer Prozessgrundrechte nicht hätte sicherstellen können (vgl - Juris, RdNr 11 f; - Juris, RdNr 11). Das Sitzungsprotokoll vom bietet angesichts des Nichterscheinens der Klägerin und der Sach- und Rechtslage mit ausgewiesenen 14 Minuten - nicht sechs Minuten - auch keinen Anhalt für eine unangemessen kurze Dauer der mündlichen Verhandlung (vgl zur unangemessenen Kürze - Juris; - Juris). Soweit die Klägerin schließlich sinngemäß eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) rügt, ist nicht erkennbar, inwieweit das Urteil des LSG darauf beruhen könnte, nachdem die Klägerin selbst angibt, die nun geltend gemachte Freiheitsberaubung am bisher verdrängt zu haben. Mängel der Beweiswürdigung sind ohnehin kein möglicher Zulassungsgrund. Entsprechendes gilt für die von der Klägerin unausgesprochen angeführte Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

8Hinreichende Aussicht auf Erfolg hat der Antrag auf PKH auch nicht deshalb, weil das LSG hinsichtlich der geltend gemachten Amtshaftung (Art 34 GG iVm § 839 BGB) zu Unrecht ein Prozessurteil statt eines Sachurteils erlassen hätte. Wegen der Bindungswirkung des auch für Amtshaftungsansprüche geltenden § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz kann zwar zweitinstanzlich über eine Amtshaftungssache zu befinden sein, wenn bereits die erste Instanz eine solche Entscheidung getroffen hat (vgl BH - Juris, RdNr 5 mwN). Das SG hat indessen eine solche Entscheidung gerade nicht getroffen, sondern lediglich auf die fehlende Zuständigkeit der Sozialgerichte hingewiesen. Von einer Teilverweisung hat das LSG zu Recht abgesehen, weil ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit keine Teilverweisung an ein Zivilgericht vornehmen darf ( - Juris, RdNr 21). Abgesehen davon sind die Voraussetzungen eines verschuldensabhängigen Amtshaftungsanspruchs auch nicht erkennbar und erschiene eine entsprechende Rechtsverfolgung deshalb auch mutwillig (§ 114 Abs 1 S 1 ZPO). Mutwillen im Sinne dieser Vorschrift ist zu bejahen, wenn ein verständiger Beteiligter, der den Rechtsstreit auf eigene Kosten finanzieren muss, von der Prozessführung absehen oder sie nicht in gleicher Weise vornehmen würde (vgl BVerfGE 81, 347 ff; - NJW 2010, 988). Eine solche mutwillige Rechtsverfolgung läge hier vor; denn mit dem nur behaupteten, in der Sache nicht nachvollziehbaren Amtshaftungsanspruch, der richtigerweise vor einem Zivilgericht anhängig zu machen wäre und der auch im sozialgerichtlichen Verfahren nicht der kostenrechtlichen Privilegierung des § 183 SGG unterfällt, ginge ein erhebliches Kostenrisiko einher (vgl § 197a SGG), das ein verständiger Beteiligter so nicht eingehen würde (vgl zur Berücksichtigung des Kostenrisikos BVerfGE 9, 124, 130 f; BVerfGE 81, 347, 357).

9Der Antrag auf PKH ist daher abzulehnen. Damit entfällt zugleich auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 ZPO).

102. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG), weil sie nicht durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt und begründet worden ist (§ 73 Abs 4 iVm § 160a Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1 SGG). Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin vermittelt ihr Status als ehrenamtliche Richterin beim VG D. nicht die Befugnis, als Prozessbevollmächtigte vor dem BSG aufzutreten (vgl § 73 SGG).

113. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

124. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Fundstelle(n):
LAAAF-66700