BFH Beschluss v. - I B 121/15

Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG für die Einkünfte eines in Deutschland ansässigen Flugbegleiters einer britischen Fluggesellschaft; Aussetzung des Verfahrens wegen möglicher Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/ EStG 2009

Leitsatz

1. Für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind (hier für Arbeitslohn einer Flugbegleiterin nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970), unterbleibt die Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens infolge des in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/EStG 2009 angeordneten Besteuerungsrückfalls, wenn der andere Vertragsstaat (hier Großbritannien) das ihm abkommensrechtlich zugewiesene Besteuerungsrecht an den Einkünften im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der Flugbegleiterin nicht wahrnimmt. Das ist auch dann der Fall, wenn die betreffenden Einkünfte beim Vergütungsschuldner im anderen Staat zunächst einem Quellensteuerabzug unterworfen, die einbehaltenen Steuern sodann aber (von Amts wegen oder auch auf Antrag) infolge der fehlenden materiellen Zugriffsmöglichkeit erstattet werden, maßgebend ist die abstrakte materiell-rechtliche Regelungslage und die sich daraus ergebende definitive Steuerpflicht, nicht aber der Verfahrensweg, diese Regelungslage dann auch umzusetzen, auch nicht der Veranlagungszeitraum, in welchem die Steuer tatsächlich erstattet wird (Abgrenzung zu den Senatsurteilen vom I R 68/14, BFHE 250, 96 sowie I R 69/14, BFH/NV 2015, 1395, dort jeweils zum Fall der Teilbesteuerung im anderen Vertragsstaat).

2. Wegen der möglichen Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/ EStG 2009 ist das Verfahren aber nach § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG über das dort anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 21/14 auszusetzen.

Gesetze: EStG § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, DBA Großbritannien Art. 11 Abs. 5, DBA Großbritannien Art. 18 Abs. 2 Buchstabe a Satz 1, DBA Großbritannien Art. 18 Abs. 3 Buchstabe b, FGO § 74, FGO § 132, FGO § 126 Abs. 4

Instanzenzug:

Tatbestand

1 I. Die in den Streitjahren 2007 bis 2010 im Inland wohnende Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war in jenen Jahren als Flugbegleiterin bei einer britischen Fluggesellschaft angestellt. Ihr Arbeitslohn wurde in Großbritannien von dem Arbeitgeber dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Die an die britischen Steuerbehörden abgeführten Beträge wurden der Klägerin aber auf Antrag vollen Umfangs erstattet. Nach Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) ist der Lohn nicht nach Art. XI Abs. 5 i.V.m. Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom (BGBl II 1966, 359, BStBl I 1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in der Bundesrepublik Deutschland auszunehmen. Der Lohn unterfalle vielmehr dem in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom (BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28) —EStG 2002/2007— bzw. des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG 2009) angeordneten Besteuerungsrückfall.

2 Das dagegen gerichtete Klageverfahren wurde vom Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des Senats vom I R 66/09 (BFHE 236, 304) sowie vom I R 4/13 (BFHE 244, 1, BStBl II 2014, 791) bis zum Abschluss der dadurch beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Normenkontrollverfahren 2 BvL 1/12 und 2 BvL 15/14 gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt. Das FG ist in seinem Beschluss vom 15 K 15082/13 der Meinung, die „als schwierig zu erachtende einfachgesetzliche Auslegungsproblematik des § 50d Abs. 9 EStG (2002/2007/2009) zur Reichweite des inländischen Besteuerungsrechts (wäre) nicht mehr entscheidungserheblich“, „sollte das Bundesverfassungsgericht in den…(gleichgelagerten) Verfahren…zu dem Ergebnis gelangen, dass ein 'Treaty override' verfassungsrechtlich unzulässig und die betreffenden Normen verfassungswidrig sind“. Es hält die Aussetzung ausweislich der Beschlussgründe daneben auch deshalb für sachgerecht, als zu der streitgegenständlichen Problematik beim Bundesfinanzhof (BFH) die Revision I R 41/14 gegen das (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1278) anhängig ist und insoweit mit einer alsbaldigen Klärung der streitrelevanten Fragen zu rechnen sei.

3 Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der das FA entgegengetreten ist. Die Klägerin beantragt der Sache nach, den FG-Beschluss aufzuheben, das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

4 II. Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

5 1. Zwar sind sowohl das beim BVerfG anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 1/12 zur Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 8 EStG 2002 i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003) vom (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) als auch das dort anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 15/14 zur Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 10 EStG 2002 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 vom (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) für das Klageverfahren im Streitfall nicht vorgreiflich, weil es in beiden Fällen nicht um die Verfassungsmäßigkeit der hier in Rede stehenden Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 geht und sich aus den Entscheidungen des BVerfG für diese Regelung deshalb keine Aussagen erwarten lassen. Der Umstand, dass es sich bei allen genannten Regelungen um sog. Treaty overriding handelt und diese insoweit „gleichgelagert“ sind, veranlasst nicht, sie samt und sonders gleich zu behandeln. Aber selbst dann, wenn man das noch annähme, bliebe zunächst zu beantworten, ob der Klägerin nicht „einfachrechtlich“ geholfen werden könnte. Das ginge dann aus Gründen der (zeitnahen) Rechtsschutzgewährung vor, auch wenn die Normauslegung tatsächlich, wie das FG meint, „schwierig zu erachten“ wäre.

6 Doch hat der Senat durch Beschluss vom I R 86/13 (BFHE 246, 486, BStBl II 2015, 18) zwischenzeitlich in einer mit dem Streitfall gleichgelagerten Sache auch die Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 zum Zwecke einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes dem BVerfG vorgelegt, und es erscheint als sachgerecht, nunmehr die Entscheidung über das dort anhängige Verfahren 2 BvL 21/14 abzuwarten und das Klageverfahren deswegen auszusetzen. Dass die vom FG tenorierte Aussetzungsbedingung damit nicht übereinstimmt, ist in Anbetracht dessen zu vernachlässigen. Der Tenor ist vielmehr insofern entsprechend anzupassen. Das kann durch den Senat in entsprechender Anwendung von § 132 i.V.m. § 126 Abs. 4 FGO geschehen.

7 2. Dass der Senat zwischenzeitlich durch Urteile vom I R 68/14 (BFHE 250, 96) sowie I R 69/14 (BFH/NV 2015, 1395) über zwei im Kern ebenfalls einschlägige Revisionen entschieden hat, lässt die Aussetzungsrelevanz anders als im Senatsbeschluss vom I B 113/14 (BFH/NV 2016, 58) nicht entfallen. Dort ging es zwar auch um die Besteuerung des im Inland ansässigen Flugpersonals von in Großbritannien ansässigen Fluggesellschaften. Doch hatte Großbritannien das ihm abkommensrechtlich zugewiesene Besteuerungsrecht an den Einkünften im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht des Flugpersonals jedenfalls für einen Teil der Einkünfte tatsächlich wahrgenommen. Infolge dieser Teilbesteuerung wurde der Tatbestand des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 nicht erfüllt. Im Streitfall verhält es sich nach der Aktenlage indessen so, dass die Klägerin in Großbritannien von jeglicher Besteuerung ausgenommen worden ist. Die von ihrem Lohn ursprünglich einbehaltene und an die Finanzbehörden abgeführte Steuer ist ihr antragsgemäß vollen Umfangs erstattet worden. Das aber ist genau die Konstellation, für welche in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/ 2009 ein Besteuerungsrückfall angeordnet wird. Ob die betreffenden Einkünfte beim Vergütungsschuldner zunächst einem Quellensteuerabzug im anderen Staat unterworfen, die einbehaltenen Steuern sodann aber (von Amts wegen oder auch auf Antrag) infolge der fehlenden materiellen Zugriffsmöglichkeit erstattet werden, spielt dafür keine Rolle; maßgebend ist die abstrakte materiell-rechtliche Regelungslage und die sich daraus ergebende definitive Steuerpflicht, nicht aber der Verfahrensweg, diese Regelungslage dann auch umzusetzen, auch nicht der Veranlagungszeitraum, in welchem die Steuer tatsächlich erstattet wird (vgl. auch Gosch in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 50d Rz 41f).

8 3. Eine Kostenentscheidung ist in diesem unselbständigen Nebenverfahren nicht zu treffen; über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu befinden (vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 1103, m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 376 Nr. 3
RAAAF-49296