BSG Beschluss v. - B 1 KR 40/15 B

Instanzenzug: S 9 KR 192/05

Gründe:

I

1Die beklagte Bundesrepublik führte im Sommer 2004 durch das Bundesversicherungsamt bei der klagenden, aus der sukzessiven Fusion mehrerer Betriebskrankenkassen hervorgegangenen Krankenkasse (ua BKK Nienburger Glas, mWv , Nürnberger BKK, mWv - "Fusionskassen") eine (Stichproben-)Prüfung nach § 15a Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (RSAV; in Kraft getreten mWv ) durch. Die Prüfung hatte ua den hier maßgeblichen Geschäftsbereich neue Bundesländer der "Fusionskassen" im Jahr 2001 zum Gegenstand. Die Prüfung erfolgte unter Beachtung des im Hinblick auf § 15a RSAV - überhaupt erstmals erarbeiteten - "Handbuch(es) der Prüfdienste des Bundes und der Länder RSA Prüfungen 2004" (RSA-PHB) und der dazu vorliegenden "Durchführungshinweise zum RSA-Prüfhandbuch der Prüfdienste des Bundes und der Länder" (RSA-PHB-DH). Die Beklagte stellte aufgrund - nach ihrer Auffassung - nicht ordnungsgemäß nachgewiesener Versicherungsverhältnisse bei Familienversicherten und freiwillig Versicherten unter Hochrechnung dieser Ergebnisse gegenüber der Klägerin einen von dieser zu zahlenden Korrekturbetrag von 16 844,40 Euro fest (Bescheid vom ). Die Klägerin blieb mit ihrer dagegen erhobenen Anfechtungsklage in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, die Beklagte habe § 15a RSAV zutreffend angewandt und die danach maßgeblichen Tatsachen richtig festgestellt. RSA-PHB und PSA-PHB-DH als von der Beklagten bei der Prüfung beachtete Handlungsanweisungen hätten keine über SGB V- und RSAV-Vorgaben hinausgehenden Anforderungen aufgestellt. Versicherungszeiten seien danach auch dann von Krankenkassen im RSA-Verfahren fehlerhaft mitgeteilt, wenn die Zeiten im Prüfzeitraum mangels hinreichender Belege nicht prüfbar seien. Das spätere Nachreichen von Unterlagen sei bei Stichprobenprüfungen nach § 15a RSAV ausgeschlossen. Unklare Personenstandsverhältnisse Familienversicherter aufgrund Namensungleichheit machten von der Beklagten geforderte, hier aber im Prüfzeitraum fehlende qualifizierte Nachweise (zB Geburtsurkunde, Heiratsurkunde) erforderlich. Bei freiwilligen Versicherungsverhältnissen seien die Vorversicherungszeiten und die schriftliche Beitrittserklärung zu belegen. Letztere sei nur dann entbehrlich, wenn die Voraussetzungen des im Jahre 2001 noch geltenden § 190 Abs 3 SGB V (Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze) vorgelegen hätten. Auch hier habe es im Prüfzeitraum an erforderlichen Belegen gefehlt (Urteil vom ).

2Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

3Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensfehlers.

41. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

5Die Klägerin formuliert folgende Fragen:

"a) Verstößt die Heranziehung eines Prüfhandbuches mit dem Stand (konkret: RSA-PHB) als Grundlage für eine Überprüfung der Datenlage im Jahr 2001 durch das BVA gegen das Rückwirkungsverbot?

Falls nein: Gilt dies auch nicht in dem Fall, in dem das RSA-PHB erst nach dem Zeitpunkt der Datenerhebung bekannt wurde.

b) Musste eine schriftliche Beitrittserklärung im Falle des Übergangs eines Pflichtversicherten in eine freiwillige Mitgliedschaft unter Zugrundelegung des § 190 Abs. SGB V in der Fassung bis zum erfolgen?

c) Bedarf es der Vorlage einer Geburtsurkunde im Rahmen einer Familienversicherung bei Namensungleichheit? Falls ja: Gilt dies auch in den Fällen, in denen die Namensänderung erst zu einem späteren Zeitpunkt der Familienversicherung eintritt (bspw. bei Heirat oder Scheidung)?

d) Müssen im Rahmen der RSA-Prüfung auch solche Unterlagen, die im Laufe des Prüf- oder Anhörungsverfahrens vorgelegt werden, durch die für die Prüfung zuständige Behörde berücksichtigt werden?"

6Die Klägerin setzt sich für keine der Fragen damit auseinander, dass auslaufendes oder ausgelaufenes Recht in aller Regel keine grundsätzlichen Rechtsfragen mehr aufwerfen kann. Sie legt nicht dar, wieso vorliegend ausnahmsweise etwas anderes gelten soll (vgl hierzu zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10 mwN).

7Im Übrigen stellt sie mit der unter a) formulierten Frage schon keine hinreichend klare Rechtsfrage. Aus der Frage geht nicht hervor, auf welche normative Regelung das Rückwirkungsverbot sich beziehen soll (vgl zur Rückbewirkung von Rechtsfolgen - "echte" Rückwirkung - und zur tatbestandlichen Rückanknüpfung - "unechte" Rückwirkung - BVerfGE 135, 1 RdNr 37 f und 60 ff mwN; BVerfGE 97, 67, 78 f; - Juris RdNr 10 ff; s ferner Hauck in Brand/Lembke, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, 2012, 147, 150 f). Die Klägerin gibt die Begründung des LSG dahingehend wieder, dass die Prüfdienste der Länder und des Bundes gemeinsam das RSA-PHB und die RSA-PHB-DH erarbeitet hätten. Insoweit legt die Klägerin aber nicht dar, dass durch diese Prüfgrundlagen gleichwohl Dokumentationspflichten mit normativer Geltung geregelt würden. Auch wirft die Klägerin insoweit nicht die Frage auf, ob der zum (vgl Art 2 Abs 2 Fünfte Verordnung zur Änderung der RSAV [5. RSAÄndV] vom , BGBl I 4506) in Kraft getretene § 15a RSAV (hier idF durch Achte Verordnung zur Änderung der RSAV [8. RSA-ÄndV] vom , BGBl I 2813) Prüfungen eröffnet, die sich auf Zeiträume vor seinem Inkrafttreten beziehen. Selbst wenn die Klägerin sinngemäß die Rechtsfrage meint, ob behördlich aufgestellten, nachträglichen Dokumentationsanforderungen das aus Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG folgende allgemeine Vertrauensschutzgebot entgegenstehe, wenn die nachweispflichtige Krankenkasse im Zeitpunkt der Datenerhebung von diesen Anforderungen nicht hätte ausgehen müssen, legt die Klägerin deren Entscheidungserheblichkeit nicht dar. Die Klägerin setzt sich schon nicht mit der Auffassung des LSG auseinander, dass RSA-PHB und PSA-PHB-DH als von der Beklagten bei der Prüfung beachtete Handlungsanweisungen keine über SGB V- und RSAV-Vorgaben hinausgehenden Anforderungen aufgestellt hätten. Insoweit fehlt es an Vorbringen der Klägerin dazu, worauf sich ihr Vertrauen gegründet haben könne. Zudem fehlt es an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit des allgemeinen Vertrauensschutzgebots und zur grundsätzlichen Bedeutung spezifischer vertrauensschutzrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit Prüfungen nach § 15a RSAV.

8Die Klägerin zeigt auch im Übrigen hinsichtlich der unter b) formulierten Rechtsfrage schon deren Klärungsbedürftigkeit nicht auf. Sie setzt sich nicht mit der im Jahr 2001 geltenden Ausnahmeregelung des § 190 Abs 3 SGB V (idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom , BGBl I 2477) auseinander, der geregelt hat: "Die Mitgliedschaft von Personen, deren Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 4 erlischt, endet zu dem in dieser Vorschrift vorgesehenen Zeitpunkt nur, wenn das Mitglied innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeit seinen Austritt erklärt. Wird der Austritt nicht erklärt, setzt sich die Mitgliedschaft als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, die Voraussetzungen der freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 sind nicht erfüllt". Die Klägerin legt auch nicht die Entscheidungserheblichkeit dar. Denn sowohl die Beklagte als auch das LSG gehen davon aus, dass im Anwendungsbereich des § 190 Abs 3 SGB V eine schriftliche Beitrittserklärung entbehrlich war, nicht hingegen der Nachweis der vom Gesetz geforderten Vorversicherungszeiten.

9Der erkennende Senat lässt offen, ob die Klägerin mit den unter c) gestellten Fragen eine hinreichend klare Rechtsfrage gestellt hat. Sie setzt sich jedenfalls nicht damit auseinander, warum die von Krankenkassen zu leistende Sachverhaltsermittlung und deren Dokumentation bei unklaren Personenstandsverhältnissen nach Maßgabe des Verfahrensrechts und der materiellrechtlichen Regelungen der Versicherungsverhältnisse und des von der Beklagten zu beachtenden Aufsichtsrechts auch im Übrigen klärungsbedürftig ist. Vielmehr behauptet sie selbst, dass sich aus Gesetz, Verordnungen und Richtlinien geringere Anforderungen an die Nachweisführung ergäben. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass sie vorträgt, das RSA-PHB habe diese Anforderungen zu Unrecht verschärft. Die Beklagte hätte daran nicht ihre Prüftätigkeit ausrichten dürfen. Die damit behauptete fehlerhafte Rechtsanwendung der Beklagten - und des LSG - kann nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein.

10Hinsichtlich der unter d) formulierten Frage zeigt die Klägerin deren Entscheidungserheblichkeit nicht auf. Sie trägt zunächst selbst vor, die Beklagte habe die Möglichkeit vorgesehen, dass Unterlagen bis zum Abschluss der Prüfung vorgelegt und damit nachgereicht werden könnten. Im Übrigen geht sie nicht darauf ein, in welchen geprüften und von der Beklagten konkret beanstandeten Versicherungszeiten dies entscheidungserheblich sein könnte. Soweit sie darüber hinaus darauf verweist, das LSG gehe von einer erforderlichen Datenvollständigkeit zum Zeitpunkt des Beginns der Prüfung aus und dies angreift, legt sie damit angesichts des von ihr beschriebenen methodischen Vorgehens der Beklagten ebenfalls nicht dar, wieso sich hieraus eine Entscheidungserheblichkeit ergeben könne. Soweit die Klägerin sich schließlich dagegen wendet, dass - nach Auffassung der Beklagten - Unterlagen nur bis zum Ende der örtlichen Erhebung des Prüfdienstes nachgereicht werden können, legt sie zudem nicht dar, weshalb nach Maßgabe des von der Beklagten zu beachtenden Aufsichtsrechts hier Klärungsbedarf besteht.

112. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf stützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), muss die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert darlegen, um den Verfahrensmangel zu bezeichnen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG; vgl hierzu zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Die Klägerin legt demgegenüber einen Verstoß des LSG gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (vgl § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention), schon nicht schlüssig dar.

12Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5 S 35 f; - RdNr 6; vgl auch BVerfGE 77, 275, 281; 79, 80, 83; 82, 236, 256 f).

13Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfGK 14, 238, 241 f; BVerfGE 64, 1, 12; BVerfGE 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4). Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (BVerfGK 13, 303, 304 f mwN). Die für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderliche Darlegung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör muss diesen Gehalt des Gebots berücksichtigen; es bedarf mithin einer in sich schlüssigen Darstellung, dass trotz der genannten Grenzen des Prozessgrundrechts eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliege. Nach diesen Maßstäben legt die Beschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dar. Ihr Vortrag erschöpft sich in der Behauptung, das LSG habe ihren Vortrag übergangen, dass das von der Beklagten für die Prüfung herangezogene RSA-PHB den Stand vom aufgewiesen habe. Damit wird ein Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, nicht schlüssig bezeichnet.

14Zudem ist die mögliche Entscheidungserheblichkeit des (angeblichen) Verfahrensmangels nicht dargetan. Denn dies setzt die Darlegung voraus, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem (angeblichen) Mangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 mwN). Hierzu wäre eine Auseinandersetzung mit der Entscheidung des LSG erforderlich gewesen. Insbesondere geht die Klägerin nicht darauf ein, dass nach Auffassung des LSG RSA-PHB und PSA-PHB-DH keine über SGB V- und RSAV-Vorgaben hinausgehenden Anforderungen aufgestellt haben.

153. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

164. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Fundstelle(n):
VAAAF-49098