BSG Beschluss v. - B 13 R 321/15 B

Instanzenzug: S 10 R 322/09

Gründe:

I

1Mit Urteil vom 23.7.2015 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Berücksichtigung in der früheren UdSSR zurückgelegter Zeiten zwischen Juli 1979 und Juni 1991 als nachgewiesene Beitragszeiten in ungekürzter Höhe verneint. Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Klägerin Divergenz sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Das Urteil des LSG weiche von verschiedenen Urteilen des 5. und 13. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) ab und rechtsgrundsätzlich zu klären sei,

- "ob nun bei durch das Arbeitsbuch bestätigten Beschäftigungszeiten und der wie zuvor dargelegten Beitragszahlung für alle Beschäftigten der ehemaligen Sowjetunion eine Berücksichtigung der Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten zu 6/6 zu erfolgen hat oder - ggf. aufgrund welcher Differenzierung - nur für Beschäftigte ehemaliger landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und Kolchosen."

- "ob die nach dem FRG zu berücksichtigenden Zeiten unter Berücksichtigung des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. Adalbert Podlech u.a. nicht in einem geringeren Umfange, nämlich maximal 1/12 zu kürzen sind, weil die durch das Arbeitsbuch belegten Zeiten unter Berücksichtigung dieses Gutachtens den Kürzungsumfang von 1/6 nicht mehr rechtfertigen."

- "ob die 1/6 Kürzung der Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten nach §§ 15, 16 FRG nach Aufgabe des Eingliederungsprinzipes und entgegen der Entscheidung des - weiterhin an die Verhältnisse im 'alten' Bundesgebiet anknüpfen darf oder ob nicht in entsprechender Auslegung der Entscheidung des Bundessozialgerichtes das Sozialversicherungssystem des Herkunftsgebietes (hier Sowjetunion) zu berücksichtigen ist, in dem es auf Arbeitsunterbrechungen - insbesondere auch durch Krankheit (vergl. Stellungnahme Bilinsky) nicht ankommt sondern sich an der Beschäftigungsdauer (die durch das Arbeitsbuch belegt ist) orientiert, wobei bestimmte Unterbrechungstatbestände keinen Einfluss auf die Beschäftigungsdauer haben (s. S. 13), insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Versicherungsschutz aufgrund von Beitragszahlung durch die Betriebe und damit ein Versicherungsverhältnis zu Gunsten der Beschäftigten bestanden hat."

- "ob nach Aufgabe des Eingliederungsprinzipes in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundessozialgerichtes in der Entscheidung - B 13 R 99/07 R - vom 17.04.2008 nunmehr nicht mehr an die durchschnittliche Beschäftigungsdichte in der Bundesrepublik Deutschland anzuknüpfen ist sondern nunmehr die Beschäftigungs- und Wirtschaftsstrukturen des jeweiligen Herkunftsgebietes zu berücksichtigen sind."

- "ob Arbeits- und/oder Gehaltsbescheinigungen als Beweismittel zum Nachweis der Beitragszahlung zurückgewiesen werden können, wenn in diesen Bescheinigungen teilweise unstimmige Daten enthalten sind, obwohl das Arbeitsbuch ein Beschäftigungsverhältnis nachweist oder ob die schlüssigen Zeiträume als nachgewiesen berücksichtigt werden müssen und nur die nicht schlüssigen Zeiten nur als glaubhaft gemacht reduziert werden dürfen, insoweit sind auch die Erklärungen des Klägers zu berücksichtigen."

- ob nicht - wie es das Niedersächsische Landessozialgericht in der Entscheidung vom 17.11.2010 - L 2 R 435/10 - ausgeführt hat, die zu 1/6 berücksichtigten Kürzungen - da es sich realistischerweise nur um Krankheitszeiten handeln kann - nicht in dem in dieser Entscheidung genannten Umfang als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen sind."

- ob nicht Lücken zwischen den im Arbeitsbuch enthaltenen Beschäftigungen ebenfalls zu 5/6 zu berücksichtigen wären."

- ob eine Divergenz zu der Entscheidung des - bestehe, in der davon ausgegangen werde, dass die Anrechnung von Ausfallzeiten nach rumänischem Recht dem deutschen Recht entspreche oder zumindest nahe komme, und dem angefochtenen Urteil des LSG. Denn diese Erkenntnis sei auch auf die ehemalige Sowjetunion (jeweiliges Vertreibungsgebiet entsprechend der Entscheidung des ) zu übertragen.

II

2Die Beschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sind nicht in der nach § 160a Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet bzw dargelegt worden.

31. Um eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG genügenden Weise zu bezeichnen, muss die Beschwerdebegründung einen Widerspruch tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und einer Entscheidung des BSG bzw des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts andererseits aufzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.

4Diesen grundlegenden Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung vom 24.9.2015 nicht gerecht. Die Klägerin führt zwar verschiedene Entscheidungen des BSG an, von denen das Urteil des LSG abgewichen sein soll, und zitiert - teilweise im Wortlaut - Passagen der Entscheidungsgründe; sie versäumt es aber, aus diesen Entscheidungen jeweils einen abstrakten, die Entscheidung tragenden Rechtssatz herauszufiltern, dem das LSG im Grundsätzlichen entgegengetreten sein soll. Ferner versäumt sie es aufzuzeigen, dass das LSG im angefochtenen Urteil seinerseits - hiervon abweichend - abstrakte tragendende Rechtssätze entwickelt hat, um den angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen entgegenzutreten. Damit rügt die Klägerin lediglich eine - ihrer Ansicht nach - fehlerhafte Rechtsanwendung durch das LSG. Dies eröffnet die Revisionsinstanz nicht.

52. Auch die Voraussetzungen der Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss die Beschwerdebegründung mithin eine konkrete Rechtsfrage aufwerfen, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht.

6Die Fragestellung der Klägerin beleuchtet im Wesentlichen aus verschiedenen Blickwinkeln die Frage, ob eine Kürzung von Beitrags- und Beschäftigungszeiten in der ehemaligen UdSSR, für die der Vollbeweis einer durchgehenden Beitragsleistung nicht erbracht ist, nach wie vor - auch in Höhe eines Sechstels - gerechtfertigt ist. Diese Frage lässt sich - wie sich schon dem LSG-Urteil entnehmen lässt - unmittelbar aus dem Gesetz (§ 22 Abs 1 iVm §§ 15, 16 Fremdrentengesetz [FRG] und § 256b Abs 1 S 1 Halbs 1, S 2 und 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch) beantworten. Dass die Klägerin dies - sozialpolitisch - nicht (mehr) für gerechtfertigt hält, führt nicht dazu, ihre Fragen als grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen zu qualifizieren. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, inwieweit die Klägerin überhaupt aus sich heraus verständliche Fragen formuliert hat und inwieweit diese über die Beurteilung des Einzelfalls hinausgehen. Dahinstehen kann ferner deren Qualifizierung als grundsätzliche (Rechts-)Fragen, soweit die Klägerin die - fehlende - Überzeugungsbildung des LSG iS eines Vollbeweises aufgrund des Arbeitsbuchs und ggf weiterer vorgelegter Unterlagen rügt.

7Überdies zeigt die Klägerin nicht auf, dass - unterstellt, eine ihrer Fragen könnte als Rechtsfrage zur Fortbildung des Rechts angesehen werden - sich diese Frage nicht bereits aus vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung beantworten lässt. Hierzu hätte es intensiver Auseinandersetzung mit der - auch vom LSG zitierten - Rechtsprechung des BSG (BSGE 41, 163 = SozR 5050 § 15 Nr 4; BSG SozR 5050 § 15 Nr 16; BSGE 6, 142 = SozR Nr 1 zu § 6 FremdRG; - Juris unter Hinweis auf BSGE 102, 248 = SozR 4-5050 § 15 Nr 6 und ) bedurft, die das Berufungsgericht ua dafür anführt, dass weiterhin die Erbringung des Vollbeweises für den Nachweis lückenloser Beitragsentrichtung erforderlich ist. Sie beschränkt sich vielmehr auf den Hinweis, dass nach der Rechtsprechung des Senats Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung eines Mitglieds bei einer rumänischen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) als nachgewiesen iS des § 22 Abs 3 FRG anzusehen sind, wenn für Mitglieder einer LPG eine gesetzliche Sozialversicherung als Pflichtversicherung bestand und wenn die entsprechenden Beiträge ohne Rücksicht auf Zeiten der Arbeitsunterbrechung einzelner Mitglieder durchgehend entrichtet wurden (Urteile vom 8.9.2005 - B 13 RJ 44/04 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 2 und vom 19.11.2009 - B 13 R 67/08 R - Juris). Um die Klärungsbedürftigkeit ihrer Fragen aufzuzeigen, hätte es aber einer Reflektion der gesamten höchstrichterlichen Rechtsprechung bedurft.

83. Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG in der Sache möglicherweise für fehlerhaft hält, führt nicht zur Revisionszulassung (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67).

94. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

105. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

11Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Fundstelle(n):
MAAAF-48479