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Online-Nachricht - Mittwoch, 01.04.2015

Verfahrensrecht | Berücksichtigung "bekannter" Tatsachen im zweiten Änderungsbescheid (BFH)

Wird ein Steuerbescheid geändert und sind dabei bestimmte Tatsachen nicht berücksichtigt worden, sind diese Tatsachen bei einer beabsichtigten späteren Änderung nicht (mehr) neu, wenn Anlass bestand, sie bereits bei Erlass des ersten Änderungsbescheids zu berücksichtigen. Ist das FA hingegen zur (umfassenden) Berücksichtigung aller bis dahin bekanntgewordenen Tatsachen nicht verpflichtet, bleibt eine Änderung nach § 173 AO möglich. Davon ist insbesondere bei einer Änderung nach Erlass eines Grundlagenbescheides (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und in Fällen der vorläufigen Steuerfestsetzung wegen anhängiger Musterverfahren (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO) auszugehen (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Bescheides noch nicht kannte.
Sachverhalt: Die Klägerin legte zunächst Einspruch gegen ihren erstmaligen Einkommensteuerbescheid ein und bat um Ruhen des Verfahrens hinsichtlich einiger Punkte wegen anhängiger Musterverfahren. Im April 2009 teilte das FA der Klägerin mit, dass ein Ruhen des Verfahrens nicht mehr in Betracht komme. Es stellte jedoch in Aussicht, hinsichtlich einiger Musterverfahren die Steuerfestsetzung vorläufig vorzunehmen (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO). Im Juni 2009 verfuhr das FA dann wie angekündigt (erster Änderungsbescheid). Im März 2010 erließ das FA dann einen zweiten Änderungsbescheid, in dem es nun erstmals einen geldwerten Vorteil aufgrund einer Kfz-Überlassung berücksichtigte. Hintergrund war eine Lohnsteuerprüfung beim Arbeitgeber. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin wieder Einspruch ein. Sie führte u.a. aus, eine Änderung sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht möglich. Zum Zeitpunkt der ersten Änderung im Juni 2009 seien die Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung bereits bekannt gewesen. Bei der erneuten Änderung im März 2010 seien die fraglichen Feststellungen daher nicht mehr neu gewesen.
Hierzu führte der BFH weiter aus:

  • Ein Änderungsbescheid tritt verfahrensrechtlich an die Stelle des ursprünglichen Bescheids. Tatsachen und Beweismittel, die bei der abschließenden Zeichnung des Änderungsbescheids schon vorhanden waren, aber nicht berücksichtigt wurden, berechtigen nach Eintritt der Bestandskraft daher grds. nicht mehr zur Korrektur nach § 173 AO.

  • Verpflichtet hingegen die beabsichtigte Änderung nach ihrer Art nicht zur weiteren Sachprüfung, bleibt eine spätere Änderung des (vorherigen) Änderungsbescheids nach § 173 AO möglich.

  • Eine solche Pflicht zur (umfassenden) Berücksichtigung aller bis dahin bekanntgewordenen Tatsachen besteht insbesondere nicht bei Änderungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, bei denen das Finanzamt den Grundlagenbescheid ohne eigene Sachprüfung übernehmen muss.

  • Entsprechendes gilt in Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO. Auch in diesen Massenrechtsbehelfsverfahren, die allein darauf abzielen, dem Steuerpflichtigen eine spätere materielle Änderung zu ermöglichen, wenn das Musterverfahren Erfolg hat, ist das Finanzamt lediglich zu einer punktuellen Überprüfung des Steuerbescheids im Hinblick auf den Vorläufigkeitsausspruch verpflichtet.

  • Denn § 165 Abs. 1 Satz 2 AO erlaubt eine vorläufige Steuerfestsetzung nur im Rahmen der dort aufgeführten Katalogtatbestände. Nur soweit im Einzelfall eine dort benannte "Ungewissheit über das anzuwendende Recht" vorliegt, darf insbesondere zur Vermeidung von Massenrechtsbehelfsverfahren eine Vorläufigkeitserklärung erfolgen.

Quelle: NWB Datenbank

Fundstelle(n):
PAAAF-46926