Zur Drittwirkung der Steuerfestsetzung im Insolvenzverfahren
Gesetze: AO § 166, AO § 69, AO § 34, InsO § 178 Abs 1, InsO § 201, UStG § 6a Abs 3, UStDV § 17a, UStDV § 17c
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der T-GmbH (GmbH).
Nach den Feststellungen einer bei der GmbH durchgeführten Steuerfahndungsprüfung hat die GmbH im Zeitraum November bis Dezember 2008 und Januar bis Mai 2009 (angebliche) Lieferungen an die französische V-SARL und C-SARL als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt. Der Prüfer war der Ansicht, die Steuerfreiheit für diese Lieferungen sei wegen fehlerhaften Buch- und Belegnachweises zu versagen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) folgte der Auffassung des Prüfers und setzte die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Dezember 2008 und März 2009 mit Bescheiden vom und dementsprechend fest. Hiergegen legte die GmbH am jeweils Einspruch ein.
Das FA nahm den Kläger mit Haftungsbescheid vom für Steuerrückstände der GmbH mit einer geschätzten Tilgungsquote von 80 % in Höhe von … € in Anspruch. Hiergegen legte der Kläger am Einspruch ein. Er wies insoweit auf die Begründung der Einsprüche der GmbH gegen die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Dezember 2008 und März 2009 hin.
Am wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Das FA meldete die Forderungen gegenüber der GmbH, die auch Grundlage des Haftungsbescheids vom waren, zur Tabelle an. Der Insolvenzverwalter bestritt diese Forderungen nicht. Das FA sah damit die Einsprüche der GmbH als erledigt an.
Das FA drohte dem Kläger mit Schreiben vom die Verböserung des angefochtenen Haftungsbescheids dahingehend an, dass es nunmehr eine Haftungsquote von 100 % zugrunde lege. Dementsprechend nahm es den Kläger mit Einspruchsentscheidung vom in Höhe von … € in Anspruch und wies im Übrigen dessen Einspruch als unbegründet zurück.
Die anschließende Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte den Betrag der Haftungsinanspruchnahme des Klägers auf … € herab. Im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab.
Die Vorentscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1166.
Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde.
Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) sowie Verfahrensfehler i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend.
Gründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist als unbegründet zurückzuweisen.
1. Hat das FG sein Urteil kumulativ auf mehrere Gründe gestützt, von denen jeder für sich allein das Entscheidungsergebnis trägt, ist hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Form geltend zu machen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. , BFH/NV 1997, 500; , BFH/NV 1998, 613; , BFH/NV 1998, 1497; , BFH/NV 2013, 1229; , BFH/NV 2014, 1101, jeweils m. w. N.). Um eine kumulative Begründung handelt es sich auch dann, wenn das FG seine Entscheidung auf eine Hauptbegründung sowie auf eine Hilfsbegründung stützt (vgl. dazu , BFH/NV 2012, 255; in BFH/NV 2013, 1229; in BFH/NV 2014, 1101, jeweils m. w. N.).
2. Dies trifft auf den Streitfall zu. Das FG hat seine Entscheidung, soweit es die Klage abgewiesen hat, zum einen damit begründet (FG-Urteil, S. 11 ff.), dass es dem Kläger gemäß § 166 der Abgabenordnung (AO) verwehrt sei, im Haftungsverfahren Einwendungen gegen die zugrunde liegenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide geltend zu machen. Zum anderen hat das FG seine Entscheidung insoweit auch darauf gestützt (FG-Urteil, S. 15 ff.), dass die Einwände des Klägers gegen die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide der GmbH ohnehin unbeachtlich seien.
3. Es kann dahinstehen, ob ein Zulassungsgrund im Hinblick auf die erste Begründungsalternative vorliegt. Ein Zulassungsgrund liegt jedenfalls hinsichtlich der zweiten Begründungsalternative nicht vor.
a) In Bezug auf die Rechtsauffassung des FG, dass der Kläger –was die erste Begründungsalternative betrifft– nach § 166 AO keine erneute Möglichkeit habe, die dem angefochtenen Haftungsbescheid zugrunde liegenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide erneut zu überprüfen, wirft der Kläger eine Reihe aus seiner Sicht klärungsbedürftiger und klärbarer Rechtsfragen auf und macht geltend (Beschwerdebegründungsschrift, S. 9 ff.), dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen sei. Zudem stützt er seine Beschwerde insoweit auch auf den Zulassungsgrund der Divergenz i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO (Beschwerdebegründungsschrift, S. 20) und macht Verfahrensfehler geltend (Beschwerdebegründungsschrift, S. 23).
b) Selbst wenn hinsichtlich der ersten Begründungsalternative des FG ein zulässiger und begründeter Zulassungsgrund i. S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO vorläge, würde dieses der Beschwerde aber nicht zum Erfolg verhelfen. Denn ein Zulassungsgrund liegt hinsichtlich der zweiten Begründungsalternative des FG nicht vor.
aa) Soweit sich der Kläger in Bezug auf die zweite Begründungsalternative gleichfalls auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO bezieht (Beschwerdebegründungsschrift, S. 19), ist dieser Zulassungsgrund nicht gegeben.
(1) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn die für ihre Beurteilung maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dies ist nur der Fall, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig ist und im Streitfall geklärt werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. , BFH/NV 2010, 1875; , BFH/NV 2011, 746).
An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen oder der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2011, 746, m. w. N.).
(2) Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage (Beschwerdebegründungsschrift, S. 19), ob die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen und nachgewiesen sind, wenn feststeht, dass die Waren in den anderen Mitgliedstaat gelangt sind, ist nicht klärungsbedürftig.
Der Unternehmer kann grundsätzlich die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch nehmen, wenn er die nach § 6a Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes i. V. m. §§ 17a ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung bestehenden Nachweispflichten erfüllt (vgl. dazu z. B. , BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511; , BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957). Kommt der Unternehmer demgegenüber den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumt, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen; trotz derartiger Mängel ist die Lieferung aber steuerfrei, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit –die entgegen der Ansicht des Klägers nicht nur das Gelangen in einen anderen Mitgliedstaat umfasst– erfüllt sind (vgl. dazu z. B. BFH-Urteil in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511; in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957).
Neue Gesichtspunkte, weshalb die höchstrichterlich beantwortete Rechtsfrage weiterhin umstritten sei, insbesondere welche neuen und gewichtigen Argumente, die der BFH noch nicht erwogen habe, gegen seine Rechtsauffassung sprächen, so dass gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH erforderlich sei, hat der Kläger im Übrigen weder schlüssig vorgebracht noch sind solche ersichtlich.
Etwas anderes folgt zudem nicht aus dem vom Kläger in Bezug genommenen –R– (Slg. 2010, I-12605, BStBl II 2011, 846) –Beschwerdebegründungsschrift, S. 20–. Denn danach kann der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz selbst dann versagen, wenn –was ein Gelangen der Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat voraussetzt– eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen.
bb) Soweit der Kläger gleichfalls die zweite Begründungsalternative betreffend die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) rügt und geltend macht (Beschwerdebegründungsschrift, S. 25), das FG habe überraschend nicht berücksichtigt, dass –was er, der Kläger, im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht habe– die Ware in Frankreich bei seinen Abnehmern angekommen sein müsse, weil anderenfalls die Feststellungen der französischen Finanzverwaltung keinen Sinn ergäben, führt auch dies nicht zur Zulassung der Revision.
Sollte das FG seine Rechtsauffassung (FG-Urteil, S. 15), dass sich aus dem Auskunftsersuchen der französischen Steuerverwaltung gerade nicht ergebe, dass die Waren an die angeblichen Abnehmerfirmen geliefert worden seien, nicht kundgegeben haben, läge darin kein Verfahrensfehler, insbesondere keine Überraschungsentscheidung. Das Gericht ist nämlich zur Gewährung rechtlichen Gehörs und zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (vgl. dazu , BFH/NV 2008, 2024; , BFH/NV 2012, 954; , nicht veröffentlicht –n. v.–, juris, jeweils m. w. N.). Der fachkundig vertretene Kläger hat vielmehr von sich aus alle vertretbaren rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte in Erwägung zu ziehen (vgl. , BFH/NV 2012, 267; , BFH/NV 2014, 860; , n. v., juris, jeweils m. w. N.).
Im Übrigen sind die Sachverhaltswürdigung –wie hier das Auskunftsersuchen der französischen Steuerverwaltung betreffend– und die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. dazu z. B. , BFH/NV 2013, 754; , BFH/NV 2014, 547, jeweils m. w. N.).
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
FAAAF-41692