BAG Beschluss v. - 10 AZB 34/15

Prozesskostenhilfe - Beschwerderecht der Staatskasse

Gesetze: § 127 Abs 2 ZPO, § 127 Abs 3 S 1 ZPO, § 127 Abs 3 S 2 ZPO, § 124 Abs 1 Nr 4 ZPO, § 120a ZPO

Instanzenzug: Az: 30 Ca 240/14 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 4 Ta 8/15 Beschluss

Gründe

1I. Die Rechtsbeschwerde betrifft die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen einer nicht unverzüglich mitgeteilten Änderung der Anschrift der Partei.

2Das Arbeitsgericht Stuttgart bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom ratenfreie Prozesskostenhilfe für eine Kündigungsschutzklage und ordnete ihr Rechtsanwältin B als Prozessbevollmächtigte bei. Mit Schreiben vom an ihre Prozessbevollmächtigte forderte die zuständige Rechtspflegerin die Klägerin zur Erklärung über ihre derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf. Nachdem die Prozessbevollmächtigte erklärt hatte, das Schreiben an ihre Mandantin sei mit dem Vermerk „Empfänger nicht zu ermitteln“ zurückgekommen und ihr sei eine andere Adresse nicht bekannt, ermittelte die zuständige Rechtspflegerin die aktuelle Adresse der Klägerin im Wege einer sog. einfachen Behördenauskunft. Die Adresse teilte sie der Prozessbevollmächtigten mit und gewährte mit einem weiterem Schreiben vom Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung der Änderung der Anschrift. Die Klägerin erklärte unter dem schriftlich, sie habe es „durch ein Versäumnis“ verpasst, ihre Adressänderung „seit Mai 2014“ mitzuteilen, und bitte um Entschuldigung.

3Mit Beschluss vom hat das Arbeitsgericht die Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben. Der sofortigen Beschwerde hat es mit Beschluss vom nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom hat das Landesarbeitsgericht den aufgehoben und die Rechtsbeschwerde für die Staatskasse zugelassen.

4II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

51. Die Bezirksrevisorin, die die Rechtsbeschwerde form- und fristgemäß eingelegt und begründet hat (§ 575 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO), ist als Vertreterin der Staatskasse unmittelbar postulationsfähig (vgl.  - Rn. 7 f.;  - Rn. 9, BAGE 143, 250).

62. Die Rechtsbeschwerde, mit der die Staatskasse nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu erreichen sucht, ist nicht statthaft. Der Staatskasse steht kein Beschwerderecht zu.

7a) Nach § 127 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 ZPO hat die Staatskasse ein Beschwerderecht gegen solche Entscheidungen im Prozesskostenhilfeverfahren, die nach Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei dazu führen, dass Prozesskostenhilfe ohne die Festsetzung von Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlender Beträge bewilligt wird ( - Rn. 10, BAGE 143, 250;  - Rn. 18). Das Beschwerderecht der Staatskasse ist nach § 127 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO auf die Fälle beschränkt, in denen Prozesskostenhilfe zwar bewilligt, rechtsfehlerhaft jedoch weder eine Ratenzahlung aus dem Einkommen noch eine Zahlung aus dem Vermögen der Partei angeordnet wurde. Sinn und Zweck des Beschwerderechts bestehen ausweislich der Gesetzesbegründung darin, sicherzustellen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei gründlich ermittelt und Haushaltsmittel nur zugunsten der wirklich bedürftigen Rechtsuchenden eingesetzt werden (vgl. BT-Drs. 10/6400 S. 42, 48 und BT-Drs. 10/3054 S. 50 f.). Es sollen mithin zu Unrecht erfolgte „Nulltarifbewilligungen“ nachträglich im Interesse der Länderhaushalte korrigiert werden können. Dementsprechend hat der Gesetzgeber der Staatskasse nur ein auf diesen Umfang beschränktes Beschwerderecht zugebilligt ( - Rn. 4), das auch die nachfolgenden Entscheidungen gemäß § 120a ZPO erfasst, durch die nach neuer Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die zuvor ratenfrei bewilligte Prozesskostenhilfe aufrechterhalten oder die zunächst angeordnete Ratenzahlung später aufgehoben wird (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 120 Abs. 4 ZPO  - Rn. 29). Eine von der Staatskasse mit dem Ziel eingelegte Beschwerde, die Verweigerung von Prozesskostenhilfe zu erreichen, ist danach nicht statthaft ( - Rn. 4).

8b) Diese Einschränkung der Beschwerdebefugnis gilt auch nach der Neuregelung des Prozesskostenhilferechts durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom (BGBl. I S. 3533). Der noch im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen Ausweitung des Beschwerderechts der Staatskasse mit dem Ziel, dieser auch ein Beschwerderecht bei Entscheidungen über die Aufhebung von Prozesskostenhilfebewilligungen einzuräumen (BT-Drs. 17/11472 S. 9, 36), ist der Rechtsausschuss entgegengetreten (BT-Drs. 17/13538 S. 9, 27). Die von der Bundesregierung beabsichtigte Änderung des Beschwerderechts der Staatskasse ist später auch nicht Bestandteil der beschlossenen Gesetzesänderungen geworden, die Rechtslage ist insoweit vielmehr unverändert geblieben. Dies verdeutlicht den Willen des Gesetzgebers, die Beschwerdebefugnis der Staatskasse auf Fälle der vorliegenden Art nicht zu erstrecken.

93. An der Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde ändert nichts, dass das Landesarbeitsgericht diese zugelassen hat. Ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel kann grundsätzlich nicht allein dadurch zulässig werden, dass die Vorinstanz das Rechtsmittel zulässt ( - Rn. 5).

10III. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens findet gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:181115.B.10AZB34.15.0

Fundstelle(n):
NJW 2016 S. 892 Nr. 12
TAAAF-19152