BGH Beschluss v. - 4 StR 407/15

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Auslegung der Worte "vor der früheren Verurteilung begangen"

Gesetze: § 55 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Essen Az: 51 KLs 51/14

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts Essen vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen sowie wegen Führens, Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz von Munition zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dem Angeklagten war aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Seine hiernach zulässige Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

21. Die Verurteilung wegen eines mittäterschaftlich begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG im Fall III.2 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil sich aus den Feststellungen nicht ergibt, dass der Angeklagte als Mittäter gehandelt hat.

3a) Nach den Feststellungen war der Angeklagte am an einem Rauschgiftgeschäft des „A.     " über fünf Kilogramm Amphetaminzubereitung beteiligt, das in B.       stattfand. Der Angeklagte war für die Geldübergabe verantwortlich und sollte die Handlungen des Kuriers G.    überwachen, der das Rauschgift zu dem Abnehmer brachte. G.    gab das Rauschgift in B.       ab und fuhr wieder zurück. Der Angeklagte nahm von dem Abnehmer das Geld (zwischen 6.500 und 8.000 Euro) entgegen und bekam nach Abschluss des Geschäftes von „A.     “ vereinbarungsgemäß 600 Euro für seine Tätigkeit. Die Amphetaminzubereitung hatte einen Amphetaminbaseanteil von mindestens 5%. Nach Auffassung des Landgerichts ist von einem mittäterschaftlichen Handeln des Angeklagten auszugehen, weil er neben der Beteiligung an der Durchführung des Geschäftes und der „damit einhergehenden Ausführungsherrschaft“ einen Anteil des Kaufpreises erhalten und deshalb ein erhebliches eigenes Interesse an der Tatausführung gehabt habe (UA 28).

4b) Diese Feststellungen und Wertungen vermögen ein mittäterschaftliches Handeln nicht zu begründen.

5aa) Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung, ob ein Tatbeteiligter beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Mittäter oder nur Gehilfe ist, sind insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 77; Urteil vom - 4 StR 421/06, NStZ 2007, 288). Beschränkt sich die Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (, Rn. 4 zitiert nach juris; Beschluss vom - 4 StR 272/12, NStZ-RR 2012, 375 mwN).

6bb) Diesen Maßstäben wird die rechtliche Würdigung der Strafkammer nicht gerecht. Die Feststellungen ergeben nicht, dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Angeklagten abhingen. Auf die Vereinbarung von Art und Menge des Rauschgiftes, die Preisgestaltung und die Bestimmung der näheren Umstände der Geschäftsabwicklung (Zeit, Ort, Transportmodalitäten etc.) hatte er ersichtlich keinen Einfluss. Seine Tätigkeit war auf den Vollzug (Geldtransfer) und die Überwachung (Übergabe des Rauschgifts durch den Kurier) bereits festgelegter Teilakte beschränkt. Dass der Angeklagte dabei relevante Handlungsspielräume hatte, ist nicht erkennbar. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

72. Die Gesamtstrafen können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts Essen vom rechtsfehlerhaft auf den Zeitpunkt des Urteils des Amtsgerichts Dorsten und nicht auf den Zeitpunkt des Urteils des Landgerichts Essen abgestellt hat.

8a) Nach § 55 Abs. 1 StGB ist eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe erledigt ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Dabei kommt es auf das letzte Urteil des früheren Verfahrens an, in dem noch eine tatrichterliche Entscheidung zur Schuld- und Straffrage getroffen worden ist (; Beschluss vom - 2 StR 558/13, NStZ-RR 2014, 242, 243; Beschluss vom - 3 StR 178/09, NStZ-RR 2010, 41). Dies kann auch ein Berufungsurteil sein, sofern wenigstens noch über einen Teil der Strafe - zu der auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung gehört - zu befinden war (; BGHSt 5, 66, 69 f.; vgl. Beschluss vom - 4 StR 22/12, NStZ-RR 2013, 7; Beschluss vom - 4 StR 116/85, S. 3 f.; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 200; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 55 Rn. 6).

9b) Danach war für die Bestimmung der Zäsurwirkung von dem Berufungsurteil des Landgerichts Essen vom und nicht von dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom auszugehen. Denn den hierzu getroffenen Feststellungen ist zu entnehmen, dass die gegen den Angeklagten vom Amtsgericht Dorsten wegen Beleidigung verhängte Freiheitsstrafe von vier Monaten durch das Landgericht Essen im Berufungsrechtszug zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Danach ist auch im zweiten Rechtszug noch eine Sachentscheidung getroffen worden. Dies hat zur Folge, dass auch die in den Fällen III.6 (Tatzeit: ), III.10 (Tatzeit: ) und III.11 (Tatzeit: ) verhängten Strafen in die mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts Essen vom nach § 55 Abs. 1 StGB zu bildende Gesamtstrafe einzubeziehen sind und für die zweite Gesamtstrafe nicht mehr zur Verfügung stehen. Die zu Recht als Erwerb, Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie unerlaubter Erwerb und Besitz von Munition (jeweils zueinander in Tateinheit stehend) abgeurteilte Tat (vgl. Steindorf, Waffenrecht, 10. Aufl., § 52 WaffG Rn. 75 mwN) war erst nach dem beendet und ist damit nicht vor dem zäsurbildenden Urteil des Landgerichts Essen vom begangen worden (vgl. , NStZ-RR 2009, 74; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 55 Rn. 7 mwN).

103. Die weitere Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Ausführungen zu der in den zur Aburteilung gelangten Fällen geleisteten Aufklärungshilfe (§ 31 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BtMG) sind unter den hier gegebenen Umständen noch ausreichend.

Sost-Scheible                            Roggenbuck                         Cierniak

                         Mutzbauer                              Quentin

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Fundstelle(n):
HAAAF-17695