Online-Nachricht - Mittwoch, 27.10.2010

Einkommensteuer/Körperschaftsteuer | Zweifel an der sog. Mindestbesteuerung (BFH)

Der BFH hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass die sog. Mindestbesteuerung in bestimmten Situationen zu einer verfassungsrechtlich unangemessenen Besteuerung führen kann (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Das konkrete Verfahren betraf eine GmbH, die hohe Verluste erwirtschaftet und diese wegen der Mindestbesteuerung nur teilweise abziehen konnte. In der Folgezeit kam es zu einer Umstrukturierung und einem Gesellschafterwechsel, der dazu führte, dass der wegen der Mindestbesteuerung nicht ausgenutzte Verlustvortrag nach § 8c KStG in Gänze verloren ging.
Hintergrund: Seit 2004 dürfen in den Vorjahren nicht ausgeglichene negative Einkünfte in den folgenden Veranlagungszeiträumen zwar bis zur Höhe von 1 Mio. Euro unbeschränkt von einem entsprechend hohen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, ein übersteigender Verlustbetrag aber nur bis zu 60% des 1 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte (§ 10d Abs. 2 EStG). Im Ergebnis werden daher 40% des positiven Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines Veranlagungszeitraums unabhängig von etwaigen Verlusten in früheren Perioden der Besteuerung unterworfen, soweit sie die Schwelle von 1 Mio. EUR überschreiten. Die Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks. 15/1518, S. 13) führt an, dass "der Grund für die Beschränkung ... in dem gewaltigen Verlustvortragspotenzial der Unternehmen zu sehen (sei), das diese vor sich herschieben. Um das Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte kalkulierbarer zu machen, ist es geboten, den Verlustvortrag zu strecken. Nur so ist auf Dauer eine Verstetigung der Staatseinnahmen gewährleistet." Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass durch die sog. Mindestbesteuerung "keine Verluste endgültig verloren" gehen würden.
Hierzu führt der BFH weiter aus: Allgemein wird in dieser liquiditätsbelastenden zeitlichen „Streckung“ des Verlustabzugs kein Verfassungsverstoß gesehen. Das gilt aber nur solange, wie ein Abzug der verbleibenden Verluste in den Folgejahren prinzipiell möglich ist. Bedenken bestehen jedoch, wenn es zu einem endgültigen Fortfall der Verlustnutzungsmöglichkeit kommt. Der Senat hat daher ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung, soweit sie für einen endgültigen Ausfall des Verlustabzugs keine gesetzliche Vorsorge trifft. Er erwägt deswegen eine verfassungskonforme Normauslegung. Offen bleibt, ob § 8c KStG nicht seinerseits Verfassungsbedenken aufwirft.
Anmerkung: Der BFH entschied vorliegend nach summarischer Prüfung im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung und damit ohne die endgültige Bindungswirkung eines Revisionsurteils. Dass die Entscheidung zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt wurde, deutet aber wohl auf eine endgültige Festlegung zumindest des I. Senats hin. Eine Lösung zugunsten der betroffenen Körperschaften kann er sich entweder so vorstellen, dass bei Anwendung der Mindestbesteuerung vorläufig veranlagt wird und bei einem späteren "Ausfall" des noch nicht verrechneten Verlusts aus rechtlichen Gründen eine in den Vorjahren vorgenommene Mindestbesteuerung nach § 165 AO wieder rückgängig gemacht wird. Oder aber z.B. eine für den Verlustabzug schädliche Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft wird als ein auf den Veranlagungszeitraum des Eingreifens der Mindestbesteuerung rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO behandelt. Solche Detailfragen werden wohl aber erst in einem künftigen Revisionsurteil endgültig und verbindlich geklärt.
Quelle: BFH online


 

Fundstelle(n):
NWB SAAAF-15960