Umsatzsteuer | Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben (EuGH)
Der EuGH hat zur Auslegung der Begriffe „Warenmuster“ und „Geschenke von geringem Wert“ in Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der RL 77/388/EWG (bzw. Art. 16 MwStSystRL) Stellung genommen ( C‑581/08, EMI Group).
Hintergrund: Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. Jedoch fallen Entnahmen für „Geschenke von geringem Wert“ und für „Warenmuster“ zu Zwecken des Unternehmens nicht darunter (Art. 5 Abs. 6 der RL 77/388/EWG bzw. Art. 16 Abs. 2 MwStSystRL). Die einschlägigen nationalen Bestimmungen Großbritanniens und Nordirlands sehen für die Abgabe von „Werbegeschenken“ und „Warenmustern“ ebenfalls eine Ausnahme von der Steuerbarkeit vor. In Bezug auf Geschenke steht die Ausnahme jedoch unter der Bedingung, dass ihr Wert den Betrag von 50 GBP pro Person und Jahr nicht übersteigt. Bis Oktober 2003 waren von dieser Ausnahme Geschenke, die Teil einer Serie von Geschenken waren, nicht gedeckt. Bei Warenmustern ist, wenn mehrere identische Warenmuster ein und derselben Person übergeben werden, nur das erste Warenmuster befreit. Bis Juli 1993 waren von der Befreiung nur gewerbliche Warenmuster in einer im Verkauf gewöhnlich nicht erhältlichen Form erfasst.
Sachverhalt: Die EMI Group Ltd gibt Gratiskopien von Musikaufnahmen an verschiedene Personen zum Zweck der Bewerbung ihrer Musikveröffentlichungen ab. Die Gratiskopien werden teilweise mit einem digitalen Wasserzeichen versehen, teilweise aber auch ohne Wasserzeichen, als herkömmliche CDs abgegeben. Auf den Letztgenannten ist ein Aufkleber mit dem Text „Kopie für Werbezwecke – Nicht für den Weiterverkauf“ angebracht. Die anderen Arten von zu Werbezwecken verteilten Aufnahmen sind mit dem Hinweis versehen, dass EMI Eigentümerin bleibt.
Hierzu führt der EuGH weiter aus: Ein „Warenmuster“ ist ein Probeexemplar eines Produkts, durch das dessen Absatz gefördert werden soll und das eine Bewertung der Merkmale und der Qualität dieses Produkts ermöglicht, ohne zu einem anderen als dem mit solchen Werbeumsätzen naturgemäß verbundenen Endverbrauch zu führen. Dieser Begriff kann nicht durch eine nationale Regelung allgemein auf Probeexemplare beschränkt werden, die in einer nicht im Verkauf erhältlichen Form abgegeben werden, oder auf das erste Exemplar einer Reihe identischer Probeexemplare, die von einem Steuerpflichtigen an denselben Empfänger übergeben werden, ohne dass diese Regelung es erlaubt, die Art des repräsentierten Produkts und den kommerziellen Kontext jedes einzelnen Vorgangs, in dessen Rahmen diese Probeexemplare übergeben werden, zu berücksichtigen. Der Begriff „Geschenke von geringem Wert“ ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der für Geschenke, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten oder auch als Teil einer Reihe oder Folge von Geschenken gemacht werden, eine monetäre Obergrenze in einer Größenordnung, wie sie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften vorgesehen ist, d.h. in einer Größenordnung von 50 GBP, festgelegt wird. Die europarechtlichen Vorschriften stehen jedoch einer nationalen Regelung entgegen, wonach vermutet wird, dass Gegenstände, die „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen und von einem Steuerpflichtigen an verschiedene Personen übergeben werden, die einen gemeinsamen Arbeitgeber haben, als Geschenke an ein und dieselbe Person gelten.
Quelle: EuGH online
Anmerkung: Warenmuster sollen nach Abschnitt 24b Abs. 12 Satz 4 UStR 2008 nach Art und Aussehen einer vom Unternehmer angebotenen Ware entsprechen, potenzielle Käufer von der Beschaffenheit der Ware überzeugen und damit den Kaufentschluss des Empfängers fördern. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung dürfte danach im Streitfall wohl kein Warenmuster vorliegen, denn es ging hier ja gerade nicht um die Förderung des Kaufentschlusses der Empfänger der Gratiskopien (vgl. hierzu Huschens/Hofmann, Anhängige EuGH-Verfahren im Bereich der Mehrwertsteuer, NWB KAAAD-19122). Nach Ansicht des EuGH muss der unmittelbare Empfänger des Warenmusters jedoch nicht unbedingt ein potenzieller oder tatsächlicher Käufer des repräsentierten Produkts sein. Insbesondere auf dem Gebiet künstlerischer Erzeugnisse beruhe die Abgabe von Gratisexemplaren an eine Mittelsperson, die die Aufgabe habe, die Qualität dieser Werke einer kritischen Beurteilung zu unterziehen – wie Journalisten oder Radiomoderatoren –, auf einem Werbemechanismus, bei dem die Benutzung des Warenmusters eine naturgemäß verbundene Folge sei (vgl. Rn. 30 und 31 der Entscheidungsgründe). Bei der Auslegung des Begriffs „Geschenke von geringem Wert“ billigt der EuGH den Mitgliedstaaten einen gewissen Ermessensspielraum zu (vgl. Rn. 42 ff. der Entscheidungsgründe). Die nationale Wertgrenze, wonach „Geschenke von geringem Wert“ vorliegen, wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der dem Empfänger im Kalenderjahr zugewendeten Gegenstände insgesamt 35 € (Nettobetrag ohne Umsatzsteuer) nicht übersteigen (Abschnitt 24b Abs. 10 UStR 2008), dürfte daher im Rahmen dieses Ermessen liegen.
Hinweis: Für Geschenken über 35 € ist zu prüfen, ob nicht der Vorsteuerabzug auf Grund ertragsteuerlicher Abzugsverbote ausgeschlossen war (§ 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG i.V. mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG). In diesen Fällen entfällt bereits nach § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG eine Besteuerung der Zuwendungen (vgl. Abschnitt 24c Abs. 11 UStR 2008).
Fundstelle(n):
UAAAF-15809