Einkommensteuer | Ab sechs Monaten Aufenthalt Kindergeld für türkische Staatsbürger (BFH)
Türkische Staatsbürger, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten, können Kindergeld bekommen, wenn sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind, die auch für deutsche Staatsbürger gelten (; veröffentlicht am ).
Sachverhalt: Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, hält sich seit Ende 1995 im Bundesgebiet auf. Er lebt mit seiner Familie in einer Gemeinschaftsunterkunft und erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Eine Erwerbstätigkeit ist ihm nicht gestattet. Das Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Im Mai 2006 beantragte der Kläger rückwirkend Kindergeld für seine im Januar 1996, August 1998, Dezember 1999 und Oktober 2003 geborenen Kinder. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab. Den Einspruch wies sie zurück. Mit der Klage begehrte der Kläger Kindergeld von Januar 2003 bis September 2003 für drei Kinder und von Oktober 2003 bis Mai 2008 für vier Kinder. Das Finanzgericht wies die Klage ab.
Hierzu führt der BFH weiter aus: Türkische Staatsangehörige, die seit wenigstens sechs Monaten in der Bundesrepublik wohnen, haben wie deutsche Staatsangehörige einen Anspruch auf Kindergeld unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG. Obwohl sie nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer sind, gelten für sie aufgrund des Vorläufigen Europäischen Abkommen über soziale Sicherheit vom für türkische Staatsbürger (VEA) die Einschränkungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht. Der Begriff „Wohnen“ ist im VEA nicht definiert. Für die Begriffsauslegung sind im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsanwendung die Grundsätze des Teil III Abschnitt 3 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom (BGBl 1985 II S. 926) heranzuziehen. Nach dem Wortsinn umfasst der Begriff „Wohnen“ auch den Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft. Eine - wegen der von Buchst. a bis c abweichenden Wortwahl - einschränkende Auslegung in dem Sinne, dass zu Leistungen nach Buchst. d nur der Aufenthalt in einer eigenen Wohnung berechtigt, würde dem authentischen englischen und französischen Text widersprechen. Auch nach der DA-FamEStG 2009 (BStBl 2009 I S. 1030) 62.4.3 Abs. 3 Satz 6 folgt aus dem VEA nach einem sechsmonatigen Aufenthalt im Bundesgebiet ein Anspruch auf Kindergeld für türkische Staatsangehörige. Da der Kläger nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VEA einem Inländer gleichzustellen ist, waren die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu prüfen. Der Kläger hatte bis zuletzt - wie die übrigen Familienmitglieder - im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach § 9 Satz 2 AO ist als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich der AO stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen.
Quelle: BFH online
Anmerkung der NWB-Redaktion: Der Fall macht recht eindringlich deutlich, dass man sich bei der Auslegung zwischenstaatlicher Übereinkommen nicht auf den deutschen Wortlaut verlassen sollte. Wenn der mehrdeutige Begriff „residence“ oder „résidence“ im Englischen und Französischen mit Wohnung in Deutsche übersetzt wird, so bedeutet dies eben eine Einschränkung, mag sie unbeabsichtigt oder gewollt gewesen sein. Dies hat der BFH richtig erkannt und zu Recht korrigiert.
Fundstelle(n):
SAAAF-15720