Verfahrensrecht | Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters (BFH)
Das Verschulden des steuerlichen Beraters an der Versäumnis der Einspruchsfrist ist bei Widerruf der Zulassung als Steuerberater vor Ablauf der Einspruchsfrist nicht nach § 110 Abs. 1 Satz 2 AO dem Steuerpflichtigen zuzurechnen (; NV).
Sachverhalt: Die einmonatige Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO) war bei Einlegung des Einspruchs gegen den streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid bereits abgelaufen. Finanzamt und Finanzgericht (FG) versagten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Kläger müssten sich insoweit das Verschulden ihres steuerlichen Beraters nach § 155 FGO i.V. mit § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Dabei komme es nicht darauf an, dass zum Zeitpunkt der tatsächlichen Einspruchseinlegung die Zulassung des damaligen Steuerberaters widerrufen gewesen sei. Vielmehr hätte der Berater bereits im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheids den Fristlauf ordnungsgemäß berechnen und notieren müssen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Zulassung noch nicht widerrufen gewesen.
Hintergrund: Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO). "Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Bei einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe wird vorausgesetzt, dass er das Verfahrensrecht - inklusive die Berechnung von Fristen - kennt, so dass sein Irrtum auf diesem Gebiet regelmäßig als schuldhaft einzuordnen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. NWB CAAAA-68714).
Hierzu führte das Gericht weiter aus: Den Klägern war das Verschulden ihres damaligen steuerlichen Beraters nicht zuzurechnen. Denn nach dem Widerruf der Zulassung durfte der steuerliche Berater aus Gründen der Gefahrenabwehr nicht mehr für die Kläger tätig werden, was auch durch die Vorschrift des § 80 Abs. 5 AO bestätigt wird. Dies gilt selbst dann, wenn - wie im Streitfall - noch eine wirksame Bevollmächtigung des steuerlichen Beraters i.S. des § 80 Abs. 1 Satz 1 AO gegeben war. Für die Wiedereinsetzung ist nicht der Fortbestand der Vollmacht (vgl. dazu § 80 Abs. 5, Abs. 8 AO) von Bedeutung, sondern die Frage, ob das Vertreterverschulden weiterhin dem Vertretenen zuzurechnen ist. Durch den Widerruf der Zulassung entfällt die Legitimation zur Zurechnung des Verschuldens. Die Notwendigkeit, den Steuerpflichtigen in einem solchen Fall zu schützen, findet ihren Ausdruck auch in dem Umstand, dass in der Regel nach den Versicherungsbedingungen zur Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Steuerberater mit dem Wegfall der Zulassung der Versicherungsschutz automatisch endet, so dass die Mandanten für Schäden aus Fehlverhalten des steuerlichen Beraters nach dem Wegfall der Zulassung gegenüber der Versicherung keine Ersatzansprüche mehr geltend machen können und eine Schadloshaltung gegenüber dem steuerlichen Vertreter in der Regel - wie im Streitfall - an dessen Vermögenslosigkeit scheitert.
Quelle: NWB Datenbank
Fundstelle(n):
JAAAF-15616