UN-Kaufrecht | Rückabwicklung eines Kaufvertrags nur in Extremfällen (BGH)
Bei Mangelhaftigkeit einer Sache im Rahmen eines Kaufs nach UN-Kaufrecht liegt eine wesentliche Vertragsverletzung nicht allein schon deshalb vor, weil der Mangel schwerwiegend ist. Entscheidend ist vielmehr, ob durch den Mangel das Erfüllungsinteresse des Käufers im Wesentlichen entfallen ist. Kann er die Kaufsache, wenn auch unter Einschränkungen, dauerhaft nutzen, wird eine wesentliche Vertragsverletzung vielfach zu verneinen sein ().
Hintergrund: Das UN-Kaufrecht (UNK, engl. CISG) ist auf Kaufverträge über Waren zwischen Parteien anzuwenden, die ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten des CISG haben. Seine praktische Bedeutung hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Es regelt in Art. 49 Abs. 1, dass der Käufer die Aufhebung des Vertrags erklären kann, wenn die Nichterfüllung einer dem Verkäufer obliegenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt. Eine solche liegt vor, wenn sie für die andere Partei einen solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen (Art. 25 CISG).
Sachverhalt: Die in Deutschland ansässige Beklagte stellt Autoteile aus Kunststoff her und bezog dafür Spritzgusswerkzeuge von der in Ungarn ansässigen Rechtsvorgängerin der Klägerin. Bei der Durchführung der letzten Lieferaufträge kam es zu Streitigkeiten wegen Mängeln der gelieferten Werkzeuge. Nachdem die Klägerin diese nicht beheben konnte, erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Vertrag und verlangt Schadensersatz. Die Klägerin verlangt hingegen Restvergütung in Höhe von rund 180.000 €.
Hierzu führte das Gericht u.a. aus:
Eine wesentliche Vertragsverletzung ist trotz der vom Berufungsgericht festgestellten Mängel der gelieferten Werkzeuge zu verneinen.
Wesentlich ist ein Pflichtenverstoß nur dann, wenn er die berechtigten Vertragserwartungen der anderen Partei so sehr beeinträchtigt, dass deren Interesse an der Erfüllung des Vertrags im Wesentlichen entfällt.
Fehlen ausdrückliche Vereinbarungen zur Wesentlichkeit, ist bei der gemäß Art. 25 CISG anzustellenden Prüfung, ob eine Vertragsverletzung des Verkäufers das Erfüllungsinteresse des Käufers im Wesentlichen entfallen lässt, vor allem auf die Tendenz des UN-Kaufrechts Rücksicht zu nehmen, die Vertragsaufhebung zugunsten der anderen in Betracht kommenden Rechtsbehelfe, insbesondere der Minderung oder des Schadensersatzes (Art. 50, 45 Abs. 1 Buchst. b CISG) zurückzudrängen.
Die Rückabwicklung soll dem Käufer nur als letzte Möglichkeit (ultima ratio) zur Verfügung stehen, um auf eine Vertragsverletzung der anderen Partei zu reagieren, die so gewichtig ist, dass sie sein Erfüllungsinteresse im Wesentlichen entfallen lässt.
Demgemäß stellt ein Mangel grds. dann keine wesentliche Vertragsverletzung dar, wenn - trotz ihrer Mangelhaftigkeit - eine anderweitige Verarbeitung oder ein Absatz der Ware im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, ggf. mit einem Preisabschlag, ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich und zumutbar ist. Entsprechendes gilt, wenn der Mangel mit zumutbarem Aufwand innerhalb angemessener Frist beseitigt werden kann.
Quelle: NWB Datenbank
Autor: Ingo Ehlers, Rechtsanwalt, Freiburg
Fundstelle(n):
PAAAF-12244