Verfahrensrecht | Zur Unverzüglichkeit einer Verzögerungsrüge (BFH)
Eine nicht "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhobene Verzögerungsrüge präkludiert sowohl einen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer als auch die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren im Dezember 2011 haben die Beteiligten die Möglichkeit, die unangemessene Dauer eines solchen Verfahrens zu rügen und hierfür Wiedergutmachung, ggf. auch in Form einer Geldentschädigung, zu erlangen (§ 198 Gerichtsverfassungsgesetz; kurz GVG). Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten () bereits anhängig waren. Für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG bereits verzögert waren, gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich" nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). Als "unverzüglich" ist nach der Rechtsprechung ein Zeitraum von drei Monaten anzusehen ( NWB PAAAE-50849, unter II.1.d).
Sachverhalt: Die Klägerin begehrt Entschädigung wegen der von ihr als unangemessen angesehenen Dauer eines vom bis zum (Zustellung des Urteils) anhängigen Klageverfahrens. Die Klägerin und der mit ihr zusammen zur Einkommensteuer veranlagte, zwischenzeitlich verstorbene Ehemann, begehrten im Streitfall die Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen. Mit Schreiben v. erhob die Klägerin erstmals „vorsorglich“ eine Verzögerungsrüge. Diese wiederholte sie am nochmals.
Hierzu führte der BFH weiter aus:
Die Dauer des Ausgangsverfahrens war zwar unangemessen. Soweit diese unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens den Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge v. betrifft, kann jedoch weder eine Entschädigung in Geld noch die Feststellung der Unangemessenheit ausgesprochen werden, da es an der unverzüglichen Rügeerhebung fehlt.
Die am erhobene "vorsorgliche Verzögerungsrüge" kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Eine bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht.
Die Verzögerungsrüge v. wurde nicht mehr "unverzüglich nach Inkrafttreten" i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhoben. Folge der nicht "unverzüglich nach Inkrafttreten erhobenen" Verzögerungsrüge ist, dass zunächst die Zuerkennung einer Geldentschädigung vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG entfällt.
Nach Ansicht des NWB XAAAE-63851, unter II.1.d aa) soll darüber hinaus ein Anspruch für den Zeitraum bis zur Erhebung einer ersten „wirksamen“ Verzögerungsrüge ausgeschlossen sein. Mit Rücksicht auf diese Entscheidung und zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung schließt sich der Senat dieser Rechtsansicht an und hält an seiner bisher geäußerten, anderslautenden Rechtsansicht (s. NWB LAAAE-35712 nicht weiter fest.
Folglich ist hier eine ggf. vorliegende Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer für die Zeit vor der Erhebung der Verzögerungsrüge v. nicht möglich.
Anmerkung: Bezogen auf den Zeitraum ab Erhebung der Verzögerungsrüge v. war die Dauer des Ausgangsverfahrens im Streitfall jedoch unangemessen. Die Verzögerung belief sich auf sechs Monate. Für den Zeitraum ab der Rügeerhebung v. stand der Klägerin damit - auch als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns - ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 1.200 € zu. Der Entschädigungsanspruch des Ehemannes war vererblich. Diese Vererblichkeit wird nicht durch die Regelung in § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ausgeschlossen. Zwar bestimmt diese Vorschrift, dass "bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage (...) der Anspruch nicht übertragbar (ist)". Diese Vorschrift soll jedoch allein die Pfändbarkeit und damit den Handel mit dem Anspruch verhindern.
Quelle: NWB Datenbank
Fundstelle(n):
RAAAF-12025