Kindergeld | Vorlagebeschlüsse an das BVerfG veröffentlicht (FG)
Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts ist davon überzeugt, dass § 62 Abs. 2 EStG verfassungswidrig ist. Er hat daher mehrere Klageverfahren ausgesetzt und das BVerfG angerufen. Nun hat das Finanzgericht die Begründung seiner Vorlagebeschlüsse veröffentlicht (FG Niedersachsen, Beschlüsse v. - 7 K 111/13, 7 K 113/13, 7 K 112/13 und 7 K 9/10).
Hintergrund: Das Gericht hält die Regelungen in § 62 Abs. 2 EStG, nach der ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer - abhängig von der Art seines Aufenthaltsstatus - teilweise keinen Anspruch auf Kindergeld hat, teilweise ohne weitere Voraussetzungen und teilweise nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen einen Anspruch auf Kindergeld hat, für verfassungswidrig (s. hierzu bereits NWB Nachricht v. 20.8.2013). Das Gericht hat den Entscheidungen nun acht bzw. - im Verfahren 7 K 114/13 neun - Orientierungssätze vorangestellt, die seine Auffassung zusammenfassen.
Hierzu führte das Finanzgericht u.a. aus:
Das vorlegende Gericht ist davon überzeugt, dass § 62 Abs. 2 EStG gegen das für alle Menschen geltende Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Die vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungskriterien des § 62 Abs. 2 EStG halten nach Auffassung des vorlegenden Gerichts einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Stellt man die gesetzlichen Differenzierungen des § 62 Abs. 2 EStG dem Zweck des Kindergeldes (§ 31 EStG: steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes und Förderung der Familie) gegenüber, ergibt sich kein zulässiger Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung.
Das die Vorschriften zum Anspruch von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern auf Erziehungs- bzw. Elterngeld teilweise für verfassungswidrig erklärt. Die Ausführungen des BVerfG gelten nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht nur für das Erziehungs- bzw. Elterngeld. Sie gelten in gleicher Weise für die wortgleiche Vorschrift des § 62 Abs. 2 Nr. 2c i.V. mit Nr. 3b EStG für den Anspruch auf Kindergeld. Nicht nur die Verwehrung von Erziehungs- bzw. Elterngeld, sondern auch von Kindergeld berührt den nicht auf Deutsche beschränkten Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte und nicht auf Deutsche beschränkte Elternrecht.
Im Inland lebende ausländische Familien sind vom Bezug des Kindergeldes aus-geschlossen, wenn sie nicht den nach dem EStG erforderlichen "richtigen" Aufenthaltsstatus haben oder die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen. Dies gilt auch, wenn ihre Kinder hier geboren sind und hier aufwachsen, die Familie bereits mehrere Jahre tatsächlich im Inland lebt und ihren Lebensunterhalt durch lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ganz oder teilweise sichert.
Demgegenüber haben etwa (wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld erfüllen) ausländische Gastwissenschaftler ihre ausländischen technischen Mitarbeiter, im Rahmen eines zeitlich befristeten Forschungsvorhabens tätige Ausländer, ausländische Berufssportler und Trainer, - ausländische Fotomodelle und Dressmen und ausländische Mitglieder der Besatzungen von Seeschiffen im Internationalen Verkehr und von Luftfahrzeugen einen Anspruch auf Kindergeld, auch wenn sie nur vorübergehend (mehr als sechs Monate) in Deutschland leben.
Demgegenüber haben entsandte und in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer (etwa: Saisonarbeiter, Erntehelfer) und Selbständige aus dem EU-Ausland, die vorübergehend in Deutschland leben und deren Familie ihren Lebensmittelpunkt im EU-Ausland behält, einen Anspruch auf deutsches Kindergeld für ihre im Ausland lebenden Kinder; das betrifft mehr als hunderttausend Kinder. Auch wenn die Lebenshaltungskosten im Ausland niedriger sind als in Deutschland, wird das Kindergeld nicht gekürzt.
Des Weiteren verletzt § 62 Abs. 2 EStG das Gleichberechtigungsgebot für Männer und Frauen, weil Frauen aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen die in § 62 Abs. 2 EStG aufgestellten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld schwerer erfüllen können als Männer.
Quelle: FG Niedersachen online
Hinweis: Den vorgelegten Verfahren liegen unterschiedliche Sachverhalte zugrunde. Die Texte der o.g. Entscheidungen finden Sie auf den Internetseiten des Finanzgerichts. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze. Die Aktenzeichen beim BVerfG lauten:
2 BvL 9/14 zu 7 K 9/10
2 BvL 10/14 zu 7 K 111/13
2 BvL 11/11 zu 7 K 112/13
2 BvL 12/14 zu 7 K 113/13
2 BvL 13/14 zu 7 K 114/13
2 BvL 14/14 zu 7 K 116/13
Fundstelle(n):
XAAAF-11132