Verfahrensrecht | Zur Änderung wegen neuer Tatsachen (FG)
Erlässt das FA einen geänderten Bescheid, mit dem der angefochtene Einkommensteuerbescheid wegen beim BVerfG oder beim BFH anhängiger Musterverfahren für vorläufig erklärt wird, ist eine spätere Änderung des geänderten Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO auch dann möglich, wenn dem FA die neuen Tatsachen zum Zeitpunkt des Erlasses des ersten Änderungsbescheids bereits bekannt waren (; Revision anhängig).
Hintergrund: Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Bescheides noch nicht kannte ( NWB GAAAA-89087).
Sachverhalt: Die Klägerin legte zunächst Einspruch gegen ihren erstmaligen Einkommensteuerbescheid ein und bat um Ruhen des Verfahrens hinsichtlich einiger Punkte wegen anhängiger Musterverfahren. Im April 2009 teilte das FA der Klägerin mit, dass ein Ruhen des Verfahrens nicht mehr in Betracht komme. Es stellte jedoch in Aussicht, hinsichtlich einiger Musterverfahren die Steuerfestsetzung vorläufig vorzunehmen. Im Juni 2009 verfuhr das FA dann wie angekündigt (erster Änderungsbescheid). Im März 2010 erließ das FA dann einen zweiten Änderungsbescheid, in dem es nun erstmals einen geldwerten Vorteil aufgrund einer Kfz-Überlassung berücksichtigte. Hintergrund war eine Lohnsteuerprüfung beim Arbeitgeber. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin wieder Einspruch ein. Sie führte u.a. aus, eine Änderung sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht möglich. Zum Zeitpunkt der ersten Änderung im Juni 2009 seien die Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung bereits bekannt gewesen. Bei der erneuten Änderung im März 2010 seien die fraglichen Feststellungen daher nicht mehr neu gewesen.
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus:
Zwar ist auch ein Änderungsbescheid ein Verwaltungsakt, bei dessen Erlass das Finanzamt alle ihm bekannten Tatsachen berücksichtigen muss, die zu einer höheren Steuer führen und verfahrensrechtlich in die geänderte Festsetzung einbezogen werden können.
Diese Beurteilung soll jedoch z.B. dann nicht gelten, wenn die Finanzbehörde einen Steuerbescheid allein im Hinblick auf einen nachträglich ergangenen Grundlagenbescheid geändert und hierbei Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat, die darüber hinaus eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtfertigten.
Gleiches gilt, wenn das Finanzamt in einem Massenrechtsbehelfsverfahren – in dem die Verfassungswidrigkeit von Normen des Steuerrechts gerügt wird, derentwegen eine Entscheidung des BVerfG bzw. des BFH aussteht – einen geänderten Bescheid erlässt, mit dem der angefochtene Einkommensteuerbescheid wegen der anhängiger Musterverfahren für vorläufig erklärt wird.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das FA im Einspruchsverfahren grds. verpflichtet ist, die Sache in vollem Umfang erneut zu überprüfen, da der vom Steuerpflichtigen gestellte Antrag die Sachaufklärungspflicht des FA begrenzt.
Anmerkung: Charakteristikum der Bearbeitung von Massenrechtsbehelfen ist, dass diese durch die Finanzämter wegen der hohen Anzahl der vorliegenden Rechtsbehelfe in aller Regel ohne Hinzuziehung der Steuerakten lediglich durch die Eingabe verschiedener Kennziffern bearbeitet werden. Der Regelungsgehalt eines solchen Bescheids erschöpft sich darin, dem Einspruchsführer eine spätere materielle Änderung zu ermöglichen, indem durch gezieltes „Offenhalten” für den Fall einer für den Einspruchsführer günstigen höchstrichterlichen Entscheidung eine Änderungsmöglichkeit geschaffen wird. Der ursprüngliche Bescheid bleibt im Übrigen unverändert erhalten. Er wird lediglich nochmals wiedergegeben.
Quelle: NWB Datenbank
Hinweis: Das Finanzgericht hat die Revision zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Das Revisionsverfahren wird beim BFH unter dem Aktenzeichen NWB JAAAE-47070 geführt. Wird ein Einspruch auf dieses Aktenzeichen gestützt, ruht das Einspruchsverfahren gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.
Fundstelle(n):
UAAAF-10576