BSG Beschluss v. - B 9 SB 47/15 B

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verwerfungsbeschluss wegen Versäumung der Berufungsfrist - sozialgerichtliches Verfahren - Einlegung der Berufung beim unzuständigen Gericht - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Zurechnung von Rechtsanwaltsverschulden - fehlerhafte Adressierung des Schriftsatzes - Überprüfungspflicht des Rechtsanwalts - Krankenvertretung durch anderen Rechtsanwalt - Weiterleitung durch das unzuständige Gericht

Gesetze: § 67 SGG, § 73 Abs 6 S 7 SGG, § 151 Abs 1 SGG, § 151 Abs 2 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 85 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: SG Mainz Az: S 9 SB 591/11 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 6 SB 15/15 Beschluss

Gründe

1I. In der Hauptsache ist die Herabsetzung des bei dem Kläger ursprünglich festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 streitig. Die dagegen gerichtete Klage war erfolglos. Gegen das der Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellte Urteil vom hat der Kläger am um 16.17 Uhr per Fax mit einem auf den datierten und an das LSG Nordrhein-Westfalen adressierten Schriftsatz Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt. Ebenfalls per Fax am erfolgte gegenüber dem LSG Nordrhein-Westfalen die Korrektur des Datums der Berufungsschrift (). Am teilte eine Mitarbeiterin des Gerichts in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten telefonisch mit, die Berufung müsse eigentlich an das LSG Rheinland-Pfalz gehen. Sie vernichte den Berufungsschriftsatz. Die Originale gingen am und mit korrigiertem Datum am über das LSG Nordrhein-Westfalen (dortiger Eingang am 26.1. und ) beim LSG ein. Die vorab übersandten Faxe sind nicht mehr auffindbar. Am hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das LSG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und zur Begründung ua ausgeführt, der am beim erkennenden LSG eingegangene Schriftsatz sei verfristet gewesen. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Der Eingang der Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen am sei erst nach 16.00 Uhr erfolgt, so dass nicht mit einer rechtzeitigen Weiterleitung habe gerechnet werden können. Die Prozessbevollmächtigte habe überdies eingeräumt, dass sie lediglich die Anträge, nicht aber den Empfänger überprüft habe als ihr der Schriftsatz von ihrer Mitarbeiterin per Email zugesandt worden sei (Beschluss vom ).

2Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

41. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Die Beschwerdebegründung hat nicht ausreichend dargelegt, dass das LSG verfahrensfehlerhaft durch Verwerfungsbeschluss statt Zurückweisungsbeschluss entschieden hat (hierzu B 10 ÜG 1/14 B - RdNr 9). Die Berufung war auch nach dem Vorbringen des Klägers verfristet, Wiedereinsetzung nicht zu gewähren.

5Die Berufung ist bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs 1 und Abs 2 S 1 SGG). Die Einlegung bei einem anderen Gericht wahrt die Berufungsfrist nicht (vgl Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 151 RdNr 5). Die erst am beim zuständigen LSG eingegangene Berufung war mithin auch nach dem Vortrag des Klägers nicht fristwahrend. Anhand der Ausführungen in der Beschwerdebegründung war dem Kläger auch nicht Wiedereinsetzung zu gewähren. Denn die Prozessbevollmächtigte, deren Verhalten der Kläger sich zurechnen lassen muss, war nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 67 SGG).

6Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten liegt darin, dass sie bei der Überprüfung bzw der von ihr beauftragte Rechtsanwalt S. bei der Unterschrift der Original-Berufungsschrift nicht bemerkt haben, dass der Schriftsatz an das unzuständige LSG Nordrhein-Westfalen und nicht an das zuständige LSG Rheinland-Pfalz adressiert war. Zu den Pflichten eines Prozessbevollmächtigten bei der Überprüfung eines fristwahrenden Schriftsatzes - wie der Berufungseinlegung - gehört es, die Adressierung zumindest insoweit zu überprüfen, als das richtige Gericht genannt wird, denn der Prozessbevollmächtigte und nicht das - gut ausgewählte und geschulte - Büropersonal trägt die persönliche Verantwortung dafür, dass ein fristwahrender Schriftsatz bei dem richtigen Gericht eingeht (vgl zur Rechtsmittelschrift - RdNr 11; BGH NJW-RR 2012, 694, Juris RdNr 11; - RdNr 8). Das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten, es habe ein Fehler ihrer sonst zuverlässigen Bürokraft vorgelegen, ist deshalb unbeachtlich. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass wegen krankheitsbedingter Abwesenheit der Prozessbevollmächtigten ein hiermit beauftragter Rechtsanwalt derselben Kanzlei die fristgebundene Rechtsmittelschrift unterschrieben hat.

7Wiedereinsetzung in den vorigen Stand musste auch nicht wegen eines für die Fristversäumnis kausalen pflichtwidrigen Verhaltens des LSG Nordrhein-Westfalen gewährt werden. Zwar ist anerkannt, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann gewährt werden kann, wenn eine (fristwahrende) Rechtsmittelschrift an das unzuständige Gericht übersandt worden ist und infolge pflichtwidrigen Verhaltens dieses Gerichts erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht eingeht ( - RdNr 12 mwN). Eine Wiedereinsetzung kommt danach in Betracht, wenn der fristgebundene Schriftsatz so zeitig eingereicht worden ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann ( - RdNr 11). So liegt es hier aber nicht. Denn die an das falsche Gericht adressierte Berufungsschrift ging erst am Tage des Fristablaufs gegen Dienstschluss beim - unzuständigen - Gericht ein, so dass sogar eine Behandlung noch als ordnungsgemäß hätte angesehen werden können, die nicht sogleich am nächsten Tag zu einem klärenden Telefonat, sondern erst zu einer Vorlage an den zuständigen Richter geführt hätte. Für die Mitarbeiter beim LSG Nordrhein-Westfalen war auch nicht erkennbar, dass besonders beschleunigende Maßnahmen geboten gewesen wären. Die Beschwerdebegründung legt insbesondere nicht dar, dass der nahe bevorstehende Fristablauf erkennbar gewesen wäre (vgl hierzu - RdNr 7).

82. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

93. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

104. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:071015BB9SB4715B0

Fundstelle(n):
TAAAF-08729