Auslegung eines Vertrages über die Lieferung und Verwertung von Restabfällen: Zahlungsanspruch für eine vereinbarte Pauschale bzw. auf Schadensersatz bei Unterschreitung der jährlichen Mindestliefermenge
Leitsatz
Zur Auslegung eines Vertrags über die Lieferung und Verwertung von Restabfällen.
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 275 Abs 1 BGB, § 5 Abs 2 KrW-/AbfG, § 6 KrW-/AbfG
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 5 U 6/13 Urteilvorgehend LG Wiesbaden Az: 11 O 12/10 Urteilnachgehend OLG Frankfurt Az: 5 U 6/13 Urteilnachgehend Az: VII ZR 58/14 Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen
Tatbestand
1Die Klägerin fordert von der Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Vertrags über die Lieferung und Verwertung von Restabfällen, wobei sie sich in erster Linie auf die vertragliche Vereinbarung einer Pauschale bei Unterschreitung von anzuliefernden Jahresmindestmengen stützt und hilfsweise Ersatz eines konkreten Schadens geltend macht.
2Die Klägerin schloss mit der Beklagten mit Wirkung zum einen Vertrag, mit dem sich die Beklagte zur Lieferung von Abfällen und die Klägerin zu deren ordnungsgemäßer Verwertung im Sinne des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz vom (BGBl. I S. 2705, im Folgenden: KrW-/AbfG) gegen ein von der Beklagten zu zahlendes Entgelt in Höhe von 112,50 € pro Tonne Abfall verpflichteten. Die Laufzeit des Vertrags war bis zum befristet. In § 1.2 des Vertrags ist geregelt, dass die Beklagte die in § 1.4 vereinbarte Abfallmenge von 5.000 Tonnen pro Jahr frei Müllverbrennungsanlage H. zu übergeben hat. Dort sollten die Abfälle gemäß der Bestimmung in § 2.2 des Vertrags in der Thermischen Restabfallvorbehandlungsanlage B. (im Folgenden: TRV B.) verwertet werden. § 4.3 des Vertrags enthält folgende Regelung:
"Für den Fall, dass sich nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres ergibt, dass die von R. H. [Anm.: die Beklagte] angelieferten Abfallmengen die gemäß § 1.4 dieses Vertrages festgelegte Jahresmindestmenge (bzw. die zeitanteilige Menge) unterschreitet, erhält R. [Anm.: die Klägerin] von R. H. einen Pauschalbetrag in Höhe von 30,00 Euro zzgl. MwSt. (Mindermenge in Mg [Anm.: 1 Megagramm = 1 Tonne] malgenommen 30,00 Euro zzgl. MwSt.). …"
3Die Klägerin hatte vor Abschluss des Vertrags mit der Beklagten ihrerseits mit der C. GmbH & Co. KG einen im Wesentlichen inhaltlich gleich lautenden Liefer- und Verwertungsvertrag über die Lieferung von Abfällen im Umfang von 5.000 Tonnen pro Jahr an die Müllverbrennungsanlage H. geschlossen, wobei als von der Klägerin zu zahlendes Entgelt ein Betrag von 95 € pro Tonne Abfall vereinbart war. Der Vertrag war ebenfalls bis zum befristet.
4Nachdem die Beklagte in den Jahren 2005 bis 2007 mit ihren Abfalllieferungen die vereinbarten Kontingente voll ausgeschöpft hatte, lieferte sie im Jahr 2008 die vereinbarte Abfallmenge bis auf einen Rest von 100,34 Tonnen und im Jahr 2009 lediglich noch eine Menge von 1.562,28 Tonnen Abfall. Anschließend stellte sie ihre Lieferungen an die TRV B. vollständig ein. Die Klägerin wurde daraufhin von der Rechtsnachfolgerin der C. GmbH & Co. KG auf Zahlung von insgesamt 404.286,37 € in Anspruch genommen. Über diese Forderung ist ein Rechtsstreit beim Landgericht O. anhängig.
5Die Klägerin fordert - soweit für die Revision noch von Interesse - von der Beklagten in erster Linie als Pauschalbetrag gemäß § 4.3 des Vertrags die Zahlung von 304.808,74 € für die in den Jahren 2009 und 2010 zu verzeichnenden Fehlmengen, die sich auf insgesamt 8.538,02 Tonnen belaufen, zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Stellung einer entsprechenden Rechnung. Hilfsweise macht sie einen konkreten Schaden geltend. Die Lieferdifferenz für 2008 wurde von den Parteien einvernehmlich mit einem Teil der Lieferungen für das Jahr 2009 ausgeglichen.
6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Zahlung des genannten Pauschalbetrags in Höhe von 304.808,74 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Stellung einer entsprechenden Rechnung durch die Klägerin verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Gegen das Berufungsurteil wendet sich die Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Revision, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage erreichen will.
Gründe
7Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
8Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte sei gemäß § 4.3 des Vertrags der Parteien über die Lieferung und Verwertung von Restabfällen zur Zahlung von 304.808,74 € verpflichtet. Die der Klägerin obliegende Leistung (Verwertung der zu liefernden Abfälle) sei nicht gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden, weshalb die Beklagte von ihrer Pflicht zur Gegenleistung (Lieferung der vereinbarten Abfallmenge und Zahlung des vereinbarten Entgelts) nicht gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB frei geworden sei. Dies gelte unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob nach der Rechtslage in den Jahren 2009 und 2010 die TRV B. als "Abfallverwertungsanlage" oder nur als "Abfallbeseitigungsanlage" zu qualifizieren gewesen sei. Die Hauptleistungspflicht der Klägerin habe allein in der fachgerechten Verwertung des von der Beklagten zu liefernden Abfalls bestanden. Soweit als Ort dieser Verwertung im Vertrag die Müllverbrennungsanlage B. benannt sei, handele es sich nicht um die Vereinbarung einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflicht der Klägerin. Denn irgendein Interesse der Beklagten, dass der von ihr gelieferte Abfall gerade dort und nicht in einer anderen geeigneten Anlage verwertet würde, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Lediglich die Klägerin habe, da sie von der C. GmbH & Co. KG die Verwertungsrechte für die TRV B. erworben habe, ein Interesse daran gehabt, dass die Beklagte den Abfall dorthin lieferte.
9Selbst wenn man eine Hauptleistungspflicht der Klägerin annehmen wollte, den Abfall in der TRV B. zu verwerten, wäre diese nicht unmöglich geworden. Denn eine Unmöglichkeit der Leistungserbringung im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB scheide aus, wenn nur die ursprünglich vorgesehene Erfüllungsart undurchführbar geworden sei, die Leistung vom Schuldner in anderer Weise erbracht werden könne und die Änderung beiden Parteien zumutbar sei. Eine zum Erlöschen der Pflicht zur Gegenleistung führende Unmöglichkeit der Leistung der Klägerin läge daher nur dann vor, wenn es außer der TRV B. auch keine andere Müllverbrennungsanlage gegeben habe, in der der streitgegenständliche Müll im Sinne der Bestimmungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes vom hätte beseitigt werden können. Da sich die Beklagte auf die Unmöglichkeit berufe, um ihr Recht aus § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend zu machen, treffe sie insoweit die Beweislast. Dass es im streitgegenständlichen Zeitraum 2009/2010 keine geeignete Abfallverwertungsanlage gegeben habe, habe die Beklagte nicht dargetan. Es fehle jedenfalls an einem Beweisangebot, so dass die Beklagte beweisfällig geblieben sei.
10Unabhängig hiervon habe die Klägerin im Prozess ausdrücklich eine geeignete und zumutbare Ersatzanlage benannt, nämlich die Müllverbrennungsanlage in He. Da der streitgegenständliche Hausmüll aus Hessen stamme, sei diese Anlage wegen geringerer Transportkosten für die Beklagte sogar günstiger als die im Vertrag vorgesehene Anlage in B. Unter Bezugnahme auf die Aussagen, unter anderem des Zeugen Dr. Z., in dem Parallelverfahren vor dem Landgericht O. habe die Klägerin substantiiert vorgetragen, dass es sich bei der Verbrennungsanlage in He. um eine Abfallverwertungsanlage im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des Bundesverwaltungsgerichts handele.
II.
11Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
12Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 304.808,74 € wegen Unterschreitung der vereinbarten Jahresmindestmengen in den Jahren 2009 und 2010 nicht gerechtfertigt werden.
131. Die Beklagte hat ihre vertragliche Verpflichtung zur Lieferung der vereinbarten Jahresmindestmengen an die im Vertrag bestimmte Müllverbrennungsanlage, die TRV B., in den Jahren 2009 und 2010 nicht verletzt, wenn anzunehmen ist, dass eine ordnungsgemäße Verwertung im Sinne des KrW-/AbfG der vertragsgegenständlichen Restabfälle in dieser Anlage in diesem Zeitraum nicht möglich war. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob diese von der Beklagten erhobene Behauptung zutrifft. Zugunsten der Beklagten ist für die Revision daher davon auszugehen, dass dies der Fall ist.
14a) Unter dieser Voraussetzung ist der Klägerin die von ihr nach dem Vertrag übernommene Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwertung der von der Beklagten zu liefernden Abfälle in dieser Anlage gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich gewesen. War es der Klägerin im Zeitraum 2009 und 2010 aus Rechtsgründen nicht möglich, die von der Beklagten anzuliefernden Restabfälle in der TRV B. zu verwerten, ist ihr die Erfüllung ihrer vertraglichen Leistungspflicht gegenüber der Beklagten in diesem Zeitraum nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich gewesen. Der Forderung der Klägerin gegenüber der Beklagten, der Verpflichtung zur Lieferung von Jahresmindestmengen in diesem Zeitraum nachzukommen, stand dann jedenfalls der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB entgegen. Denn die Klägerin konnte für den Fall, dass sie selbst ihrer vertraglichen Leistungspflicht hinsichtlich der Verwertung der von der Beklagten zu liefernden Abfälle in der TRV B. nicht mehr nachkommen konnte, nicht verlangen, dass die Beklagte ihrerseits die vertragliche Lieferverpflichtung weiter erfüllte. Die Klägerin kann dann auch nicht die Zahlung der vereinbarten Pauschale oder konkret berechneten Schadensersatz dafür verlangen, dass die vereinbarten Jahresmindestmengen in den Jahren 2009 und 2010 unterschritten worden sind.
15aa) Rechtsfehlerhaft geht das Berufungsgericht davon aus, dass sich die aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über die Lieferung und Verwertung von Restabfällen ergebende Pflicht der Klägerin zur Verwertung der von der Beklagten zu liefernden Abfälle lediglich allgemein auf die fachgerechte Verwertung des von der Beklagten zu liefernden Abfalls beschränkte und nicht die Verwertung der von der Beklagten zu liefernden Abfälle in der im Vertrag bezeichneten TRV B. zum Gegenstand hatte. Diese Annahme beruht auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien. Die tatrichterliche Vertragsauslegung ist allerdings revisionsrechtlich nur dahingehend überprüfbar, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (st. Rspr.; vgl. , BauR 2015, 1652 Rn. 20 = NZBau 2015, 549; Versäumnisurteil vom - VII ZR 87/14, NJW 2015, 1107 Rn. 14; Urteil vom - VII ZR 60/14, BauR 2015, 828 Rn. 17 = NZBau 2015, 220; Urteil vom - VII ZR 4/13, BauR 2015, 527 Rn. 17 m.w.N. = NZBau 2015, 84). Solche Auslegungsfehler liegen hier jedoch vor.
16bb) Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung den Wortlaut einschließlich der Systematik des Vertrages und die Interessenlage der Parteien nicht hinreichend berücksichtigt. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin sei lediglich allgemein zur fachlichen Verwertung der von der Beklagten zu liefernden Abfälle verpflichtet gewesen, eine Verwertung der Abfälle in der TRV B. sei nicht Gegenstand der von der Klägerin übernommenen Vertragspflicht gewesen, findet im Wortlaut des Vertrags keine Stütze. Nach § 2.2 des Vertrags haben die Parteien ausdrücklich vereinbart, dass die von der Beklagten zu liefernden Abfälle in der TRV B. verwertet werden sollten. Darüber hinaus hat sich das Berufungsgericht nicht mit den weiteren Vertragsbestimmungen befasst, die für die Auslegung des Inhalts der die Klägerin treffenden Pflichten von Bedeutung sind (vgl. dazu unten cc). Eine Verwertung der von der Beklagten zu liefernden Abfälle in der im Vertrag vereinbarten TRV B. entsprach zudem sowohl dem Interesse der Klägerin als auch dem der Beklagten. Die Klägerin hatte an der Festlegung der maßgeblichen Abfallverwertungsanlage im Vertrag bereits deswegen ein besonderes Interesse, wie das Berufungsgericht noch zutreffend erkennt, weil sie sich gegenüber ihrer Vertragspartnerin, der C. GmbH & Co. KG, in gleichem Umfang wie die Beklagte zur Lieferung von Abfällen an diese Müllverbrennungsanlage verpflichtet hatte, es sich bei dem mit der Beklagten geschlossenen Vertrag mithin um ein Deckungsgeschäft für jenen Vertrag gehandelt hat. Die Beklagte, die als Abfallerzeugerin und/oder Abfallbesitzerin gemäß § 5 Abs. 2 KrW-/AbfG vorrangig verpflichtet war, die bei ihr anfallenden Abfälle nach Maßgabe des § 6 KrW-/AbfG zu verwerten, hatte ebenfalls ein Interesse daran, die für die Abfallverwertung zuständige Anlage im Vertrag verbindlich festzulegen, um so die Einhaltung der ihr obliegenden abfallrechtlichen Pflichten sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht die Bestimmung der TRV B. als Verwertungsanlage nicht als unverbindliche Nebenbestimmung zum Ort der von der Klägerin zu erbringenden Leistung qualifizieren.
17cc) Der Senat kann die Vertragsauslegung selbst vornehmen, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind. Die von der Klägerin übernommene (Haupt-)Leistungspflicht bestand darin, die ordnungsgemäße Verwertung im Sinne des KrW-/AbfG der von der Beklagten angelieferten Abfälle grundsätzlich in der TRV B. vorzunehmen.
18Hierfür spricht bereits der Wortlaut einschließlich der Systematik des Vertrags. Nach der Vertragsbestimmung in § 2.2 hatte die Klägerin die Verpflichtung übernommen, die von der Beklagten anzuliefernden Restabfälle in der TRV B. zu verwerten. Dementsprechend hatte die Beklagte gemäß § 1.2 die vertragsgegenständlichen Abfälle an diese Anlage zu liefern. Lediglich für den Fall, dass infolge von Revisionen oder anderen Betriebsstörungen der Anlage die Annahme der Abfälle bei der TRV B. nicht möglich sein sollte, sollte die Klägerin nach § 2.3 des Vertrags berechtigt sein, die Abfälle in dieser Zeit der Müllverbrennungsanlage E. oder der Müllverbrennungsanlage BK. zuzuweisen. Diese Regelung verdeutlicht, dass die Klägerin grundsätzlich zu einer Verwertung der Abfälle in der TRV B. verpflichtet war. Hierfür spricht auch, dass die Parteien den Fall, dass eine ordnungsgemäße Verwertung der Abfälle gemäß KrW-/AbfG in der TRV B. nicht (mehr) möglich war, im Vertrag geregelt haben. Zum einen haben sie in § 6.1 (c) für diesen Fall unter den dort genannten Voraussetzungen ein beiderseitiges Recht zur außerordentlichen Kündigung vereinbart. Zum anderen war in § 9 vorgesehen, dass sich die Parteien über eine gebotene Anpassung des Vertrags an veränderte Rahmenbedingungen durch zukünftige abfallwirtschaftliche Entwicklungen verständigen.
19Eine Verwertung der von der Beklagten zu liefernden Abfälle in der TRV B. entsprach auch den jeweiligen Interessen der Parteien. Der mit der Beklagten geschlossene Vertrag über die Anlieferung und Verwertung von Abfällen stellte für die Klägerin ein Deckungsgeschäft dar, durch das sie die Erfüllung der ihr gegenüber der C. GmbH & Co. KG treffenden Vertragspflichten ermöglichen wollte. Die Beklagte hatte ebenfalls ein Interesse daran, dass die Klägerin die von ihr angelieferten Abfälle in der TRV B. verwertete, weil sie auf diese Weise die Erfüllung der sie treffenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen als Abfallerzeugerin und/oder Abfallbesitzerin nach den Bestimmungen des KrW-/AbfG sicherstellen wollte. Hierbei handelt es sich entgegen den Ausführungen in der Revisionserwiderung nicht um von der Beklagten vorgebrachten neuen und daher in der Revision nicht zu berücksichtigenden Sachvortrag, sondern um einen rechtlichen Gesichtspunkt, der im Rahmen der Auslegung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien ohne weiteres Berücksichtigung finden kann.
20Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte im Frühjahr 2009 selbst darum gebeten hatte, Abfälle an die Anlage in He. liefern zu dürfen. Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht dieser Umstand nicht dafür, dass die Beklagte davon ausging, dass sie nach dem Vertrag unabhängig von einem Einverständnis der Klägerin die Abfälle auch an eine andere geeignete Abfallverwertungsanlage hätte liefern dürfen. Denn in diesem Fall hätte es einer solchen Anfrage gegenüber der Klägerin nicht bedurft. Die von der Beklagten vorgetragene Bitte, die vertraglich vereinbarten Abfallmengen auch bei der Anlage in He. anliefern zu dürfen, spricht vielmehr dafür, dass über eine solche abweichende Lieferung ein Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien herbeigeführt werden musste. Dass die Klägerin einer Lieferung von Abfällen der Beklagten an die Anlage in He. bereits im Frühjahr 2009 zugestimmt hat, hat das Berufungsgericht - von den Parteien unbeanstandet - nicht festgestellt.
21b) Die Hilfserwägung des Berufungsgerichts, die Leistung der Klägerin sei unabhängig davon, welchen Inhalt sie habe, deswegen nicht gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden, weil die Klägerin der Beklagten im Prozess ausdrücklich eine geeignete und zumutbare Ersatzanlage benannt habe, nämlich die Müllverbrennungsanlage in He., ist nicht geeignet, die Entscheidung im Ergebnis zu tragen. Soweit das Berufungsgericht der Auffassung ist, die Klägerin habe mit der Klage zugleich einen Anspruch auf Abänderung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Form einer Vertragsanpassung dahingehend geltend gemacht, dass die Beklagte die Abfälle an die Ersatzanlage in He. liefern solle, ist dies nicht zutreffend. Der Klägerin ebenso wie der Beklagten war gemäß § 9 des Vertrags zwar ausdrücklich vorbehalten, eine Vertragsanpassung zu verlangen, wenn sich durch künftige abfallwirtschaftliche Entwicklungen die bei Abschluss des Vertrags bestehenden Rahmenbedingungen in wesentlicher Weise änderten. Ein solcher Anspruch ist jedoch nicht Gegenstand der Klage. Die Klägerin hat vielmehr einen Schadensersatzanspruch aufgrund des im Jahr 2005 mit der Beklagten geschlossenen Vertrags verfolgt. Ob die Beklagte sich auf ein rechtzeitig gestelltes Anpassungsverlangen der Klägerin hin auf die Anlage He. hätte verweisen lassen müssen, kann dahinstehen. Ein vor Ablauf des Jahres 2010 gestelltes Anpassungsverlangen hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist allein der Umstand, dass die Klägerin die Beklagte im Prozess im Jahr 2013 auf die Anlage in He. verwiesen hat, nicht ausreichend, um eine Vertragsanpassung für den streitgegenständlichen Zeitraum 2009 und 2010 anzunehmen.
222. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Insbesondere hat das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob in den Jahren 2009 und 2010 eine ordnungsgemäße Verwertung im Sinne des KrW-/AbfG der vertragsgegenständlichen Abfälle in der TRV B. möglich war. Das Berufungsurteil ist daher, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat, aufzuheben und die Sache ist in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.
III.
23Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
24Ist nach dem Ergebnis der weiteren Verhandlung und einer etwa gebotenen Beweisaufnahme davon auszugehen, dass in den Jahren 2009 und 2010 eine ordnungsgemäße Verwertung im Sinne des KrW-/AbfG der vertragsgegenständlichen Abfälle in der TRV B. möglich war, steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in der geltend gemachten Höhe nach § 4.3 des Vertrags wegen der Unterschreitung der Jahresmindestmengen in diesem Zeitraum nur dann zu, wenn diese Klausel wirksam vereinbart worden ist.
251. Die Annahme des Berufungsgerichts, bei dieser Klausel handele es sich nicht um eine von der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung, sondern um eine von den Parteien im Einzelnen ausgehandelte Vertragsbestimmung, wird von den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht getragen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist individuelles Aushandeln mehr als Verhandeln. Von einem Aushandeln ist nur dann auszugehen, wenn der Verwender den gesetzesfremden Kerngehalt seiner Allgemeinen Geschäftsbedingung inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (vgl. , BGHZ 200, 326 Rn. 27; Urteil vom - VII ZR 222/12, BauR 2013, 462 Rn. 10; Urteil vom - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311, 321, juris Rn. 47 m.w.N.).
26Für die Annahme eines Aushandelns ist es danach nicht ausreichend, dass es der Beklagten im Rahmen der Vertragsverhandlungen gelungen ist, die unstreitig von der Klägerin vorformulierte Vertragsbedingung über eine Pauschale in § 4.3 dahin zu modifizieren, dass im Falle der nicht vollständigen Erfüllung der übernommenen Lieferverpflichtung lediglich ein Betrag in Höhe von 30 € je Tonne Abfall anstatt in Höhe von 115 € zu zahlen war. Ein Aushandeln liegt nicht vor, wenn die für den Vertragspartner des Verwenders nachteilige Wirkung der Klausel im Zuge von Verhandlungen zwar abgeschwächt, der gesetzesfremde Kerngehalt der Klausel vom Verwender jedoch nicht ernsthaft zur Disposition gestellt wird (vgl. , NJW 1991, 1678, 1679, juris Rn. 14; Urteil vom - VII ZR 162/12, BauR 2013, 946 Rn. 30 = NZBau 2013, 297).
272. Sollte es sich bei der Vertragsbestimmung in § 4.3 des Vertrags um eine von der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung handeln, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die Klausel bereits deshalb unwirksam ist, weil sie eine verschuldensunabhängige vertragliche Haftung anordnet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es ein wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz regelmäßig nur bei schuldhaftem Verhalten besteht (vgl. , NJW-RR 2015, 690 Rn. 28). Dieser allgemeine Grundsatz des Haftungsrechts gilt als Ausdruck des Gerechtigkeitsgebots gleichermaßen für vertragliche wie für gesetzliche Ansprüche (, BGHZ 164, 196, 210 f., juris Rn. 30; Urteil vom - XI ZR 117/96, BGHZ 135, 116, 121, juris Rn. 27; Urteil vom - XI ZR 128/90, BGHZ 114, 238, 240 f., juris Rn. 13; Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 307 Rn. 32 m.w.N.). Eine verschuldensunabhängige Haftung kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur ausnahmsweise wirksam vereinbart werden. Das ist der Fall, wenn sie durch höhere Interessen des AGB-Verwenders gerechtfertigt oder durch Gewährung rechtlicher Vorteile ausgeglichen wird (vgl. , BGHZ 135, 116, 121, juris Rn. 27 m.w.N.). Soweit die Klausel in § 4.3 als von der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung danach wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sein sollte, wird sich das Berufungsgericht mit der von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten konkreten Schadensberechnung zu befassen haben.
283. Sollte nach den Umständen ausnahmsweise anzunehmen sein, dass die Klausel in § 4.3 des Vertrags wegen der der Beklagten auferlegten verschuldensunabhängigen vertraglichen Haftung bei Unterschreitung der vereinbarten Jahresmindestmengen nicht unwirksam ist, wird das Berufungsgericht darüber hinaus zu prüfen haben, ob die Klausel nach dem Grundgedanken von § 309 Nr. 5 Buchst. a BGB unwirksam ist. Diese Vorschrift ist auch im Verkehr zwischen Unternehmern im Rahmen der gemäß §§ 307, 310 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Inhaltskontrolle zu berücksichtigen (vgl. , NJW 1994, 1060, 1068, juris Rn. 101, insoweit in BGHZ 124, 351 nicht abgedruckt; Urteil vom - X ZR 26/90, BGHZ 113, 55, 61 f., juris Rn. 31 m.w.N., jeweils zu § 11 Nr. 5 AGBG). Nach § 309 Nr. 5 Buchst. a BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz oder Ersatz einer Wertminderung, wenn die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung übersteigt. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folge-richtig - bislang keine Feststellungen getroffen.
29Die Klausel in § 4.3 des streitgegenständlichen Vertrags ist allerdings nicht bereits deswegen unwirksam, weil entgegen dem Wortlaut des § 309 Nr. 5 Buchst. b BGB der Beklagten der Nachweis nicht ausdrücklich gestattet wird, ein Schaden oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale. Bei der Vereinbarung einer Schadenspauschale braucht dem Vertragspartner des Verwenders, wenn er Unternehmer ist, der Nachweis eines wesentlich niedrigeren Schadens nicht ausdrücklich gestattet zu werden. Der Nachweis darf aber nicht ausgeschlossen sein (vgl. , NJW-RR 2003, 1056, 1059, juris Rn. 66; Urteil vom - VIII ZR 165/92, NJW 1994, 1060, 1067, juris Rn. 91, insoweit in BGHZ 124, 351 nicht abgedruckt, m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach dem Inhalt der Klausel in § 4.3 des Vertrags ist der Beklagten der Nachweis eines geringeren Schadens nicht von vornherein abgeschnitten. Ihr steht vielmehr der Nachweis offen, dass der Klägerin ein geringerer Schaden als mit der Pauschale gefordert entstanden ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nach dem bisherigen Vorbringen der Beklagten auch nicht an einem solchen Nachweis. Die Klägerin hat durch die von ihr vorgenommene konkrete Schadensberechnung, aus der sich ein geringerer Schadensbetrag ergibt, selbst eingeräumt, dass der ihr entstandene Schaden geringer ist als die von ihr geltend gemachte Pauschale. Insoweit wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob sich die Beklagte dieses Vorbringen der Klägerin hilfsweise zu Eigen gemacht hat.
Kartzke Halfmeier Graßnack
Sacher Wimmer
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAF-08693