Verhängung einer Jugendstrafe: Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bei einem zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bereits 23 Jahre alten Angeklagten
Gesetze: § 17 Abs 2 JGG, § 31 Abs 2 JGG, § 27 StGB, § 177 StGB, § 267 StPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG
Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 KLs 9/14
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und dahin erkannt, dass von dieser Strafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate als bereits vollstreckt gelten. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die Jugendkammer abgesehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Der Schuldspruch, die Kompensationsentscheidung und das Absehen von der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB weisen keinen den Angeklagten belastenden materiell-rechtlichen Fehler auf.
32. Der Strafausspruch hält jedoch sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
4Das Landgericht hat gegen den zur Tatzeit am 16 Jahre alten Angeklagten gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe verhängt und dabei sowohl schädliche Neigungen als auch die Schwere der Schuld bejaht. Bei der Bestimmung der Strafhöhe hat es sich maßgebend am Erziehungsgedanken orientiert. Einen Härteausgleich, weil mehrere in weiteren Urteilen verhängte jugendstrafrechtliche Sanktionen bereits vollständig vollstreckt waren und die entsprechenden Entscheidungen deshalb nicht gemäß § 31 Abs. 2 JGG einbezogen werden konnten, hat es ausdrücklich deshalb abgelehnt, weil dieser "dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts zuwiderliefe".
5Damit hat die Jugendkammer nicht bedacht, dass dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat des zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bereits 23 Jahre und fast sieben Monate alten und damit im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten bereits nach der bisherigen Rechtsprechung ein allenfalls geringes Gewicht zukommen kann (vgl. , NStZ 2006, 587, 588; Urteil vom - 1 StR 213/04, juris Rn. 12). Schon dieser Rechtsfehler führt dazu, dass der Strafausspruch nicht bestehen bleiben kann. Der Senat muss deshalb hier nicht entscheiden, ob er in vollem Umfang der neueren Auffassung des 1. Strafsenats zustimmen könnte, der nunmehr weiter gehend und der - soweit ersichtlich - überwiegenden Ansicht in der Literatur (vgl. etwa Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 17 Rn. 14b; MüKoStGB/Radtke, JGG § 17 Rn. 60; HK-JGG/Laue, 2. Aufl., § 17 Rn. 28; aA etwa Eisenberg, JGG, 17. Aufl., § 17 Rn. 34a) folgend dazu neigt, bei einer auf die Schwere der Schuld gestützten Jugendstrafe die Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Straftäters generell nicht zu berücksichtigen (, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 5 mit Anmerkung Eisenberg, NStZ 2013, 636). Er gibt allerdings zu erwägen, dass insbesondere auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vgl. Budelmann, Jugendstrafrecht für Erwachsene?, S. 80 ff.) Anlass dazu sein könnten, die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein kann, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr ist. Dies könnte mit Blick auf § 89b Abs. 1 Satz 2 JGG jedenfalls für solche Täter gelten, die zu dem genannten Zeitpunkt das 24. Lebensjahr vollendet haben und deren Jugendstrafe deshalb regelmäßig im Strafvollzug für Erwachsene zu vollziehen ist (vgl. Eisenberg NStZ 2013, 636, 637).
6Die Aufhebung des Strafausspruchs lässt die Kompensationsentscheidung unberührt (, BGHSt 54, 135, 138).
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Fundstelle(n):
WAAAF-08634