Ruhezeiten vor "Doppelvorstellungen" von Orchestern
Gesetze: § 5 Abs 1 ArbZG, § 1 TVG
Instanzenzug: Az: 7 Ca 153/13 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 4 Sa 637/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über den Umfang von Ruhezeiten und die Auslegung des Tarifbegriffs „Doppelvorstellung“.
2Der Kläger ist Oboist bei den D Symphonikern. Auf sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom (TVK) Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:
3Die Beklagte setzte den Kläger am um 11:00 Uhr in der Tonhalle D und am selben Tag um 15:00 Uhr im Opernhaus D ein. Derartige Besetzungen stehen auch in Zukunft an.
4Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, ihm stehe zwischen zwei Aufführungen, die zwar am selben Tag, aber an zwei verschiedenen Orten stattfinden, eine Ruhezeit von fünf Stunden zu.
5Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - beantragt
6Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Begriff der „Doppelvorstellung“ iSd. § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK umfasse zwei Vorstellungen des Orchesters am selben Tag unabhängig von der Frage, an welchen Orten die Aufführungen stattfänden.
7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Gründe
8Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist, soweit sie dem Senat zur Entscheidung anfällt, zulässig, aber nicht begründet.
9I. Der Hauptantrag erfüllt die Voraussetzungen, an die § 256 Abs. 1 ZPO die Zulässigkeit einer Feststellungsklage knüpft. Der Kläger will den zeitlichen Umfang der ihm zustehenden Ruhezeiten für den Fall geklärt wissen, dass die Beklagte ihn an einem Tag zu zwei Aufführungen heranzieht, die an verschiedenen Aufführungsstätten in D stattfinden. Feststellungsklagen brauchen sich nicht auf das Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen, sondern können einzelne daraus entstehende Rechte, Pflichten oder Folgen zum Gegenstand haben ( - Rn. 15). Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, den Umfang der ihm zustehenden Ruhezeiten an Tagen, an denen er an „Doppelvorstellungen“ in D mitwirkt, gerichtlich feststellen zu lassen. Durch eine gerichtliche Entscheidung kann der Streit der Parteien ausgeräumt werden.
10II. Die Klage ist nicht begründet.
111. Die Beklagte ist nicht, wie der Kläger mit dem Hauptantrag festgestellt wissen will, verpflichtet, dem Kläger eine Ruhezeit von fünf Stunden vor jeder Aufführung zu gewähren, wenn sie den Kläger anweist, am selben Tag an zwei Vorstellungen an verschiedenen Aufführungsstätten in D mitzuwirken. Der Anspruch findet weder in § 13 Abs. 2 Satz 1 TVK noch in den Vorschriften des ArbZG eine Rechtfertigung.
12a) Der TVK, der kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden ist, enthält keine Bestimmung, die für den Fall, dass der Arbeitgeber einen Musiker an einem Tag in zwei Vorstellungen an unterschiedlichen Aufführungsstätten einsetzt, eine Ruhezeit von fünf Stunden vorsieht.
13aa) Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 TVK ist dem Musiker vor Beginn einer Aufführung eine Ruhezeit von fünf Stunden, nach Hauptproben und nach Generalproben von vier Stunden zu gewähren. Die Ruhezeit beträgt zwischen „identischen Doppelvorstellungen“ eine Stunde, zwischen „verschiedenen Doppelvorstellungen“ zwei Stunden (§ 13 Abs. 2 Satz 4 TVK).
14bb) Der Umfang der dem Kläger zustehenden Ruhezeit richtet sich im Streitfall nicht nach der grundsätzlichen Bestimmung des § 13 Abs. 2 Satz 1 TVK, sondern nach der Ausnahmevorschrift des § 13 Abs. 2 Satz 4 Alt. 2 TVK. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zumindest der Begriff der „verschiedenen Doppelvorstellungen“ iSv. § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK auch die Fälle erfasst, in denen Vorstellungen zwar am selben Tag, aber an verschiedenen Aufführungsstätten stattfinden. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm (zu den Auslegungsgrundsätzen bei Tarifverträgen vgl. - Rn. 17 mwN, BAGE 134, 184).
15(1) Spätestens mit Verkündung der Entscheidung des - 3 AZR 576/81 -) hat das Tarifmerkmal der „Doppelvorstellung“ den Bedeutungsgehalt erlangt, den das Landesarbeitsgericht im Streitfall angenommen hat. Der Dritte Senat hat in der genannten Entscheidung den Begriff der „Doppelvorstellung“ iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 TVK vom idF vom (TVK 1978) ausgelegt und ihm damit für den Rechtsverkehr verbindliche Konturen verliehen. Die Tarifregelung des § 17 Abs. 2 Satz 1 TVK 1978 hatte seinerzeit folgenden Wortlaut: „Außer bei Doppelvorstellungen ist dem Musiker vor Beginn einer Aufführung eine Ruhezeit von fünf Stunden, nach Hauptproben und nach Generalproben von vier Stunden zu gewähren.“ Obwohl der Arbeitgeber des damaligen Rechtsstreits einen Orchestermusiker angewiesen hatte, am selben Tag an zwei Aufführungen in unterschiedlichen Gemeinden, nämlich vormittags bei einem Konzert in K und nachmittags bei einer Opernaufführung in M, mitzuwirken, ging das Bundesarbeitsgericht - wie zuvor auch das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht - davon aus, es liege eine „Doppelvorstellung“ mit der Folge vor, dass der Arbeitnehmer eine Ruhezeit im Umfang von fünf Stunden nicht beanspruchen könne. Verwenden Tarifvertragsparteien ohne Erläuterung einen in der Rechtssprache gebräuchlichen Begriff, so kann davon ausgegangen werden, dass sie ihn im allgemein anerkannten Sinne verstanden wissen wollen ( - Rn. 22 mwN, BAGE 117, 231). Hätten die Tarifparteien bei der Paraphierung der Nachfolgeregelung, des § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK, dieser Vorschrift einen von § 17 Abs. 2 Satz 1 TVK 1978 abweichenden Inhalt geben wollen, hätte es nahe gelegen, dies klarzustellen. Stattdessen haben sie an der überkommenen Begrifflichkeit festgehalten und diese durch die Hinzusetzung der Adjektive „identisch“ und „verschieden“ noch einmal erweitert. Dies spricht deutlich gegen ein enges Verständnis des Begriffs „Doppelvorstellung“.
16Soweit die Revision darauf hinweist, der Dritte Senat habe in der besagten Entscheidung keinen diesbezüglichen ausdrücklichen Rechtssatz formuliert, übersieht sie, dass die Zurückweisung der damals von dem Kläger eingelegten Revision, soweit die Frage der Ruhezeiten im Streit stand, nur möglich war, wenn eine „Doppelvorstellung“ im damaligen Tarifsinne zwei Aufführungen am selben Tag an zwei Aufführungsstätten umfasste.
17(2) Auch der Regelungszusammenhang, in den § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK eingebettet ist, indiziert, dass das vom Landesarbeitsgericht gefundene Auslegungsergebnis zutreffend ist.
18(a) In Nr. 3 Satz 1 der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK findet sich der Begriff „Doppeldienst“, in Nr. 3 Satz 2 und Satz 3 der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK der Begriff der „Doppeldienstzählung“. Die Protokollnotizen beziehen sich auf die in § 12 Abs. 4 Satz 3 und Satz 4 TVK geregelten Proben für Neuinszenierungen, die im Regelfalle länger dauern als andere Proben. „Doppel-“ bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich „zwei“. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien das Präfix „Doppel-“ im Sinne des Zahlworts „zwei“ verstehen („Doppelvorstellung“ = „zwei Vorstellungen“). Erst die attributiv verwendeten Adjektive „identisch“ und „verschieden“ kennzeichnen das Verhältnis der beiden Aufführungen zueinander im Hinblick auf den Inhalt und die Aufführungsstätte.
19(b) Eine Gesamtschau der tariflichen Regelungen belegt, dass der TVK in örtlicher Hinsicht drei Kategorien von Aufführungsstätten kennt: Die Aufführung in der am „Sitzort üblichen Aufführungsstätte“ als Normalfall, die Aufführung „in einer von der am Sitzort üblichen Aufführungsstätte abweichenden Spielstätte“ (beispielsweise Nr. 1 Satz 1 Buchst. b und Satz 2 der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK) und Aufführungen im Rahmen eines „auswärtigen Gastspiels“ (beispielsweise Nr. 1 Satz 1 Buchst. b der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK, vgl. auch § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TVK). Dementsprechend staffelt der TVK den Umfang der Ruhezeit. Der TVK unterscheidet insbesondere zwischen der am „Sitzort“ üblichen und einer hiervon abweichenden Spielstätte, die sich aber am „Sitzort“ des Orchesters befindet. Mit dieser im Tarifvertrag angelegten Differenzierung nach Aufführungsstätten korrespondiert die Ruhezeitenregelung in § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK, die vor „identischen Doppelvorstellungen“ eine, vor „verschiedenen Doppelvorstellungen“, also auch solchen an verschiedenen Aufführungsstätten, zwei Stunden Ruhezeit vorsieht.
20(3) Seinem Sinn und Zweck nach ist die Bestimmung des § 13 TVK letztlich eine Konkretisierung des tariflichen Rücksichtnahmegebots, dem zufolge der Arbeitgeber bei der Gestaltung des Dienstplans der hohen physischen und psychischen Belastung von Orchestermusikern Rechnung zu tragen hat. Dem Musiker soll vor einer Vorstellung Zeit gegeben werden, um sich zu erholen, zu entspannen und zu „sammeln“. Das Erholungsbedürfnis eines Musikers ist nach dem Verständnis der Tarifvertragsparteien abhängig von den Umständen, unter denen er seine Arbeitsleistung erbringt. Zu diesen Umständen zählen zum einen inhaltliche Gesichtspunkte, zum anderen die Beanspruchung in zeitlicher wie räumlicher Hinsicht. Im Falle von „Doppelvorstellungen“, also Vorstellungen, die an ein und demselben Tag stattfinden, ist eine auf eine Stunde verkürzte Ruhezeit einzuhalten, wenn die beiden Aufführungen „identisch“ sind. Im Falle „verschiedener Doppelvorstellungen“ hat der Arbeitgeber dem Musiker eine Ruhezeit von zwei Stunden zu gewähren.
21b) Der Ruhezeitanspruch, den der Kläger festgestellt wissen will, findet auch in den Vorschriften des ArbZG keine Rechtfertigung.
22aa) Nach § 5 Abs. 1 ArbZG müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.
23bb) Im Falle von „Doppelvorstellungen“, die an demselben Tag stattfinden, endet die Arbeitszeit des Klägers nicht mit dem Schluss der ersten, sondern erst mit dem Schluss der zweiten Aufführung. Über die von der Beklagten zu gewährende Ruhezeit zwischen zwei Aufführungen, die am selben Tag stattfinden, verhält sich das ArbZG nicht.
242. Der Hilfsantrag fällt dem Senat - bei der gebotenen Auslegung - nicht zur Entscheidung an.
25a) Der Kläger stellt den auf eine künftige Leistung der Beklagten gerichteten Hilfsantrag abhängig vom Hauptantrag, ohne das Abhängigkeitsverhältnis zu konkretisieren. Da die mit dem Hauptantrag begehrte Feststellung einer Leistungspflicht mit dem Inhalt der hilfsweise beantragten Verurteilung zur Leistung identisch ist, spricht alles dafür, dass der Kläger den Leistungsantrag nur für den Fall stellen will, dass das Gericht den Feststellungsantrag für unzulässig erachtet.
26b) Die Bedingung, unter der der Hilfsantrag dem Senat zur Entscheidung anfällt, die Unzulässigkeit des Hauptantrags, ist nicht eingetreten. Der Feststellungsantrag ist zulässig.
27III. Der Kläger hat als Revisionsführer die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:230615.U.9AZR272.14.0
Fundstelle(n):
XAAAF-06120