Antrag auf Rücknahme eines Antrages des FA auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gegen einen Steuerberater bei einem
inländischen Amtsgericht durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO nach Erteilung einer Restschuldbefreiung im Rahmen
eines Hauptinsolvenzverfahrens in England
Leitsatz
1. Ist das Begehren des Antragstellers auf ein schlichtes Verwaltungshandeln (Rücknahme eines Antrags des FA auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens) gerichtet, so ist im Hauptsacheverfahren die sonstige Leistungsklage in der Form einer Unterlassungsklage
und im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ein Antrag nach § 114 FGO gegeben.
2. Das Rechtsschutzbedürfnis für den – auf die Rücknahme eines vom FA gestellten Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
gegen einen Steuerberater gerichteten – Antrag auf einstweilige Anordnung durch das FG ist solange gegeben, bis das Insolvenzgericht
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des FA mangels kostendeckender Masse rechtskräftig
abgelehnt hat und mit dieser Entscheidung des Insolvenzgerichts der Insolvenzantrag des FA seine Erledigung gefunden hat.
3. Ein Steuerberater hat einen Anordnungsanspruch i. S. d. § 114 FGO auf Rücknahme des auf die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens
gerichteten Antrages des Finanzamt an das zuständige Amtsgericht im Inland, wenn das Hauptinsolvenzverfahren durch eine zuvor
bereits erteilte Restschuldbefreiung (discharge) in England im Rahmen eines sog. Bankruptcy-Verfahren vor dem High Court of
Justice in London bereits beendet war. Sekundärinsolvenzverfahren sind diejenigen Partikularverfahren, bei denen parallel
zu dem inländischen Insolvenzverfahren im Ausland ein Hauptinsolvenzverfahren durchgeführt wird, wobei das Sekundärverfahren
dem Hauptverfahren als „Hilfsverfahren” untergeordnet ist.
4. Wird in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, ein Sekundärinsolvenzverfahren
eröffnet, so beschränken sich dessen Wirkungen auf das Vermögen des Schuldners, das im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaates
belegen ist. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob nach Erteilung der Restschuldbefreiung im Hauptinsolvenzverfahren noch ein Antrag
auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gestellt werden kann, da das Sekundärinsolvenzverfahren in seiner Wirkung
von dem Hauptinsolvenzverfahren abhängig ist.
5. Die Entscheidung der Restschuldbefreiung durch den High Court of Justice ist bei Vorliegen der Voraussetzungen ohne weitere
Förmlichkeiten anzuerkennen, sofern kein ordre-public-Verstoß vorliegt. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein ordre-public-Verstoß
vorliegt, wenn tatsächlich keine Verlegung des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen” (COMI, center of main interests)
von Deutschland nach England stattgefunden und der Steuerpflichtige sich rechtsmissbräuchlich die Zuständigkeit des englischen
High Court of Justice für die Eröffnung des Insolvenzhauptverfahrens erschlichen hat.
6. Über eine Annullierung des in England eröffneten Insolvenzverfahrens kann zwar die Restschuldbefreiung ohne zeitliche Begrenzung
außer Kraft gesetzt werden kann (Section 375 Abs. 1 Insolvency Act 1986); solange das Hauptverfahren in England jedoch noch
nicht annulliert ist, ist die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Deutschland nicht zulässig.
Tatbestand
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n): EFG 2016 S. 56 Nr. 1 ZIP 2015 S. 2239 Nr. 46 ZAAAF-06008
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Online-Dokument
FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss v. 28.08.2015 - 3 V 65/15
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