Instanzenzug: S 43 AS 697/15
Gründe:
I
1Die Klägerin hat ihren Wohnsitz in Gifhorn in Niedersachsen. Mit Schriftsatz vom erhob sie durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid des beklagten Jobcenters Altmarkkreis Salzwedel vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom Klage zum SG Braunschweig. In der Rechtsbehelfsbelehrung heißt es: "Gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Sozialgericht Magdeburg ... Klage erhoben werden." Das SG Braunschweig hörte die Beteiligten dazu an, dass es zu der Auffassung gelangt sei, örtlich nicht zuständig zu sein und beabsichtige den Rechtsstreit an das SG Magdeburg (Sachsen-Anhalt) zu verweisen. Durch Beschluss vom vollzog es diese Verweisung. Das SG Magdeburg hat die Beteiligten ebenfalls darauf hingewiesen, dass es sich für örtlich nicht zuständig halte. Die Verweisung sei willkürlich. Es hat sich alsdann durch Beschluss vom für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem BSG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt. Das BSG hat die Verwaltungsakten des Beklagten - soweit sie für die Erstellung des streitbefangenen Widerspruchsbescheides entscheidende Tatsachen enthalten - beigezogen.
II
2Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem SG Braunschweig und dem SG Magdeburg berufen, nachdem das SG Braunschweig seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das SG Magdeburg verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das SG Braunschweig mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht.
3Zum zuständigen Gericht ist das SG Magdeburg zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des SG Braunschweig vom gebunden ist.
4Gemäß § 98 Abs 1 SGG iVm § 17a Abs 2 GVG ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über die Anwendung von Regelungen betreffend die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrundeliegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist gerade nicht Aufgabe des gemeinsamen übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG.
5Nur ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichem Verhalten beruht (stRspr, vgl ; vom - B 12 SF 5/12 S - juris RdNr 6; s auch - SozR 4-1500 § 57 Nr 2; - NVwZ-RR 2002, 389; s auch - juris RdNr 11). Auf diese Weise wird die grundsätzliche Bindung einer Verweisung für das Gericht, an das verwiesen wird (§ 98 SGG iVm § 17a Abs 2 S 3 GVG), nicht über Gebühr verwässert und dem Grundgedanken Rechnung getragen, dass grundsätzlich nur die Verletzung von Verfassungsnormen (Art 101 Abs 1 S 2, Art 103 Abs 1 GG) ein Abweichen von der einfachgesetzlich eindeutig angeordneten Bindung ermöglicht. Nur im zuvor dargelegten Fall ist es gerechtfertigt, sich über die bewusst im Interesse der Prozessökonomie angeordnete Unbeachtlichkeit der eventuellen Rechtswidrigkeit einer Verweisung hinwegzusetzen; einzig dadurch wird dem unerfreulichen Spiel mit dem "Schwarzen Peter" so weit wie möglich Einhalt geboten (vgl hierzu - SozR 4-1500 § 58 Nr 6 - juris RdNr 16). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt ( - NVwZ-RR 2002, 389). Für eine abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts in Anwendung dieser strengen Maßstäbe, die das BSG in seiner Rechtsprechung ausgeformt hat, ist vorliegend noch kein Raum.
6Zwar hat das SG Braunschweig nach den Ausführungen des SG Magdeburg den Verweisungsbeschluss zwei Tage vor dem Ablauf der der Klägerin gesetzten Frist zur Anhörung bezüglich der Verweisungsabsicht erlassen. Zudem hätte das SG Braunschweig aus dem Wohnort der Klägerin erkennen können, dass der Rechtsstreit seiner örtlichen Zuständigkeit unterfällt. Auch hätte das SG - in Ausübung seiner Amtsermittlungspflicht - durch Nachfrage beim beklagten Jobcenter in Erfahrung bringen können, warum dieses in der Rechtsbehelfsbelehrung als zuständiges Gericht das SG Magdeburg benannt hat. Eine ausnahmsweise Rückgabe des Rechtsstreits an das SG Braunschweig ist jedoch gleichwohl nicht gerechtfertigt. Die Entscheidung des SG Braunschweig beruht weder auf einer Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze noch ist sie willkürlich.
7In der vom SG Magdeburg angenommenen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin durch das SG Braunschweig kann keine Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze erkannt werden. Ein Verweisungsbeschluss wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit ist trotz der Verletzung des rechtlichen Gehörs jedenfalls dann bindend, wenn dieser Verfahrensmangel nicht innerhalb der für die Anhörungsrüge geltenden Frist von dem von der Gehörsverletzung Betroffenen geltend gemacht wird (vgl hierzu - SozR 4-1500 § 98 Nr 2, SozR 4-1500 § 58 Nr 9 - juris RdNr 7). Dies ist hier nicht der Fall. Offensichtlich hat die Klägerin sich auch nach der Zustellung des Beschlusses nicht zu einer Verweisung an das örtlich unzuständige SG Magdeburg geäußert, auch nicht auf die Anhörung durch das SG Magdeburg. Die rechtskundig durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin hat demnach von ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör ersichtlich keinen Gebrauch gemacht.
8Auch ist die Verweisung auf Grundlage der Rechtsbehelfsbelehrung des Jobcenters Altmarkkreis Salzwedel im Widerspruchsbescheid vom nicht willkürlich. Willkür läge nämlich nur dann vor, wenn jene richterliche Entscheidung nach objektiver Betrachtung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar wäre und sich daher der Schluss aufdrängte, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Es müsste sich um ein offensichtlich unhaltbares, objektiv unverständliches, unsachliches, nicht mehr zu rechtfertigendes Verhalten handeln. Es ist hier für die Verweisung jedoch ein nachvollziehbarer Grund zu erkennen, der zwar falsch, jedoch nicht objektiv unverständlich war. Die Verweisung hat damit gerade nicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Eine sachlich unrichtige Verweisung für sich allein ist nicht geeignet, ihr die Bindungswirkung zu nehmen.
Fundstelle(n):
IAAAF-05782