BGH Beschluss v. - 3 StR 162/15

Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten: Beweisverwertungsverbot für sichergestellte Daten auf dem Mailserver eines Providers wegen unterlassener bzw. verzögerter Mitteilung an Betroffene und provozierter Fortsetzung belastender E-Mail-Kommunikation

Gesetze: § 33 Abs 1 StPO, § 35 Abs 2 StPO, § 94 StPO, §§ 94ff StPO, § 98 StPO, § 101 Abs 5 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 4 KLs 100/12

Gründe

1Zu der Verfahrensrüge der Angeklagten, das Landgericht habe den aufgrund der Beschlüsse des Amtsgerichts Oldenburg vom und vom jeweils beschlagnahmten Bestand auf dem E-Mail-Konto des Mitangeklagten H.    verwertet, obwohl dieser von den Maßnahmen auch nachträglich nicht unterrichtet worden sei, bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:

2Bei der Beschlagnahme der auf dem Mailserver eines Providers gespeicherten Daten handelt es sich um eine offene Ermittlungsmaßnahme, deren Anordnung den davon Betroffenen und den Verfahrensbeteiligten bekannt zu machen ist (§ 33 Abs. 1, § 35 Abs. 2 StPO). Eine Zurückstellung der Benachrichtigung wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks sieht die Strafprozessordnung für diese Untersuchungshandlung - anders als § 101 Abs. 5 StPO für die in § 101 Abs. 1 StPO abschließend aufgeführten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen - nicht vor (, NJW 2010, 1297, 1298). Der Auffassung des Landgerichts, den Strafverfolgungsbehörden falle Willkür dann nicht zur Last, wenn sie aufgrund eines "nachvollziehbaren Interesses” an der Geheimhaltung der Beschlagnahme von Benachrichtigungen absehen, geht daher fehl. Es ist nicht Sache der Ermittlungsbehörden oder Gerichte, in Individualrechte eingreifende Maßnahmen des Strafverfahrens je nach eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen zu gestalten; sie sind vielmehr an das Gesetz gebunden. Es wäre allein Sache des Gesetzgebers, eine Regelung in die Strafprozessordnung einzufügen, die es den Ermittlungsbehörden gestattet, Beschlagnahmen vor den davon Betroffenen aus ermittlungstaktischen Gesichtspunkten zunächst zu verheimlichen und erst dann offen legen zu müssen, wenn dadurch die weiteren Ermittlungen nicht mehr gefährdet werden. Jedenfalls seit der Veröffentlichung des Senatsbeschlusses vom musste dies auch den in vorliegender Sache ermittelnden Stellen bewusst sein.

3Im Ergebnis folgt der Senat indes dem Landgericht und dem Generalbundesanwalt darin, dass der Gesetzesverstoß im konkreten Fall kein Beweisverwertungsverbot begründet. Maßgeblich hierfür ist insbesondere, dass die Beschlagnahme als solche rechtmäßig war; Ermittlungsbehörden und Gericht haben daher befugt Kenntnis der daraus herrührenden verfahrensrelevanten Tatsachen erlangt. Allein der an die zulässige Beschlagnahme anschließende Gesetzesverstoß der unterlassenen Mitteilung hat hier - insbesondere auch vor dem Hintergrund des erheblichen Tatvorwurfs - nicht das Gewicht, die rechtmäßig gewonnenen Erkenntnisse für das Verfahren zu sperren.

4Anders könnte es allerdings für den Fall liegen, dass die Strafverfolgungsbehörden die Benachrichtigung deshalb unterlassen, weil sie beabsichtigen, den Eingriff - unter den erleichterten Voraussetzungen der §§ 94, 98 StPO - in zeitlichem Abstand zu wiederholen. Eine so provozierte Fortsetzung belastender E-Mail-Kommunikation und Verwertung hieraus gewonnener Erkenntnisse ist hier jedoch nicht Gegenstand der Rügen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
AO-StB 2016 S. 134 Nr. 5
wistra 2015 S. 478 Nr. 12
QAAAF-04991