Heimtückemord: Angriff zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz; Erstattung der notwendigen Auslagen bei erfolglos eingelegtem Rechtsmittel durch den Angeklagten und den Nebenkläger
Gesetze: § 211 Abs 2 StGB, § 473 Abs 1 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Aurich Az: 11 Ks 4/13
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt sowie Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die Revisionen der Nebenkläger erstreben die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes; sie beanstanden das Verfahren und rügen die Verletzung materiellen Rechts. Der Angeklagte begründet seine Revision mit der Sachrüge und beanstandet im Einzelnen die Beweiswürdigung sowie den Strafausspruch des angefochtenen Urteils. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
3Der Angeklagte begab sich am gegen 2:30 Uhr nach einem Diskothekenbesuch mit der Studentin A. W. , der Tochter bzw. der Schwester der Nebenkläger, auf der Insel Juist an den Strand, wo sie sich in einem Strandkorb niederließen, sich küssten und Zärtlichkeiten austauschten. Der erheblich alkoholisierte Angeklagte wies eine Blutalkoholkonzentration von jedenfalls 3,1 g%o auf, die Geschädigte eine solche von 1,29 g%o. Als sie ihre Verwunderung darüber ausdrückte, dass der Angeklagte keine Erektion bekam, kam es zum Streit zunächst mit wechselseitigen Beleidigungen und sodann mit Handgreiflichkeiten, in deren Verlauf er ihr mehrere Faustschläge in den Bereich des Gesichts und des Kopfes versetzte. Auch die Geschädigte schlug dem Angeklagten im Rahmen ihrer Gegenwehr mindestens einmal ins Gesicht. Im Anschluss an das nachfolgende Gerangel, bei dem sich beide im Sand wälzten, hielt der Angeklagte die Geschädigte, die mit dem Gesicht auf dem Sand zu liegen kam, derart fest, dass sie ihren Kopf nicht ausreichend hochnehmen oder drehen konnte, so dass sie gezwungen war, Sand teils hinunterzuschlucken und teils einzuatmen. Hierdurch gelangten größere Mengen Sand in ihren Magen und in die Atemwege bis in die tiefen Verästelungen der Bronchien. Sodann übte der Angeklagte entweder durch Würgen oder durch Ziehen an dem Schal und der Lederhalskette der Geschädigten massive Gewalt gegen ihren Hals aus. Dabei war ihm - trotz seiner erheblichen Alkoholisierung und der emotionalen Erregung - bewusst, dass eine solche Gewaltanwendung zu erheblichen Verletzungen führen und letztlich tödlich sein kann. Einen solchen Ausgang nahm er bei seinen Handlungen billigend in Kauf. Aufgrund der Alkoholisierung und der emotionalen Erregung war seine Steuerungsfähigkeit jedoch möglicherweise erheblich eingeschränkt.
4Die Gewalteinwirkung gegen den Hals führte gemeinsam mit der Verlegung der Atemwege durch Sand zum Ersticken der Geschädigten und war somit todesursächlich.
5Die zulässigen (§ 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO) Rechtsmittel der Nebenkläger sind unbegründet.
61. Die erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen ohne Erfolg.
72. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten oder zulasten des Angeklagten (§ 301 StPO analog; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 301 Rn. 2) ergeben.
8Das Landgericht hat das Vorliegen von Mordmerkmalen im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der näheren Erörterung bedürfen nur die Merkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe. Insoweit gilt:
9a) Die Strafkammer ist zutreffend davon ausgegangen, dass heimtückisch handelt, wer sein Opfer unter Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit tötet. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen - tätlichen - Angriff rechnet. Ein bloßer, der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen schließen die Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat (vgl. , juris Rn. 8 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein.
10Das Landgericht hat die Verneinung der Arg- und Wehrlosigkeit im Ausgangspunkt damit begründet, dass der Angeklagte bei den Schlägen gegen Gesicht und Kopf der Geschädigten noch nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt habe. Diese Schlussfolgerung ist angesichts der dadurch zugefügten, geringfügigeren Verletzungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
11Soweit die Strafkammer weiter ausgeführt hat, die Geschädigte habe durch diesen Angriff ihre Arglosigkeit verloren, weshalb die Voraussetzungen einer heimtückischen Begehungsweise nicht erfüllt seien, erweist sich dies als nicht frei von Rechtsbedenken. Denn eine auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit kann auch dann gegeben sein, wenn der Täter sein argloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, diesen - die Arglosigkeit des Opfers in der Regel beseitigenden - Angriff ohne zeitliche Zäsur mit Tötungsvorsatz fortsetzt und es dem Opfer wegen des unmittelbaren Übergangs des überraschenden ersten Angriffs zur Tötungshandlung nicht mehr möglich ist, sich erfolgversprechend zur Wehr zu setzen (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ 2012, 691, 693; vom - 3 StR 185/07, juris Rn. 5; sowie schon Urteil vom - 1 StR 596/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; MüKoStGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 151 jew. mwN).
12Es gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, dass das Landgericht die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden - geringeren - Anforderungen an das Merkmal der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit nach den Urteilsgründen nicht erkennbar im Blick gehabt hat. Denn der Senat kann ausschließen, dass es bei Anwendung dieses zutreffenden Prüfungsmaßstabes zur Annahme eines heimtückischen Mordes gelangt wäre. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen liegt ein Tathergang, wie ihn diese Rechtsprechung voraussetzt, nicht nahe: Die Geschädigte setzte sich mit mindestens einem Schlag zur Wehr, brachte dem Angeklagten damit eine - wenn auch eher geringfügige - Verletzung und Hämatome bei und rangelte anschließend noch mit ihm; all dies spricht - auch mit Blick darauf, dass sie erheblich größer und schwerer als der Angeklagte war - deutlich gegen eine auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit im Sinne der genannten Rechtsprechung.
13Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die gegen 2:30 Uhr in unmittelbarer Nähe des Tatortes anwesenden Zeuginnen K. und Ka. keine auffälligen Wahrnehmungen bekundet haben, denn das Landgericht hat den Tatzeitpunkt nicht sicher feststellen können. Damit bleibt offen, ob sich das vom Angeklagten angegebene Geschehen zu einem Zeitpunkt ereignete, als die Zeuginnen "wenige zehn Meter” vom Tatort entfernt anwesend waren, oder den von ihnen belegten Strandkorb bereits verlassen hatten.
14b) Auch die vom Landgericht vorgenommene Prüfung des Vorliegens niedriger Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings ist nicht unbedenklich, dass die Strafkammer lediglich ausgeführt hat, dass sie für sonst niedrige Beweggründe vorliegend keine Anhaltspunkte zu sehen vermochte.
15aa) Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung dieser Voraussetzung erfordert grundsätzlich eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. nur etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 149/03, NStZ 2004, 34 und vom - 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35 jew. mwN).
16bb) Eine solche umfassende Gesamtwürdigung kann den Urteilsgründen zwar nicht entnommen werden. Der Senat kann aber ausschließen, dass das Landgericht bei Vornahme einer solchen die Voraussetzungen dieses Mordmerkmales bejaht hätte. Denn es hat die maßgeblichen Beweggründe des Angeklagten für die Tötung nicht aufzuklären und mithin nicht festzustellen vermocht, dass es sich dabei um niedrige im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB handelte. Angesichts der gegebenen Beweislage schließt der Senat auch aus, dass weitergehende Feststellungen insoweit getroffen werden könnten.
III.
17Die aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge des Angeklagten veranlasste umfassende Rechtsprüfung des Urteils hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen keinen durchgreifenden, zum Nachteil des Beschwerdeführers wirkenden Rechtsfehler erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO).
IV.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Eine gegenseitige Erstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten und der Nebenkläger findet nicht statt, da sämtliche Rechtsmittel erfolglos geblieben sind (KK-Gieg, StPO, 7. Aufl. § 473 Rn. 13).
Becker Pfister Hubert
Mayer Gericke
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Fundstelle(n):
KAAAF-01665