Berücksichtigung von vorweggenommenen oder nachträglichen Werbungskosten bei fehlender unbeschränkter Einkommensteuerpflicht, Reichweite der Abgeltungswirkung des § 50 Absatz 2 Satz 1 EStG
Die Frage, ob die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 S. 1 EStG auch in Fällen greift, in denen vorweggenommene oder nachträgliche Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit entstanden sind, war Gegenstand von Erörterungen auf Bund-Länder-Ebene. Im Ergebnis der Abstimmung auf Bund-Länder-Ebene ist § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG so auszulegen, dass die Abgeltungswirkung durch den Steuerabzug nur dann eingreift, wenn von positiven Einnahmen tatsächlich Lohnsteuer einbehalten worden ist oder zumindest einzubehalten war.
Ausgangspunkt der Erörterungen waren folgende Fallgruppen:
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Fallgruppe A: | Vorweggenommene Werbungskosten Der Steuerpflichtige war bis einschließlich 2010 im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Im VZ 2011 bestand kein inländischer Wohnsitz. Der Steuerpflichtige hatte seinen Wohnsitz in China – somit außerhalb der EU/EWR – und studierte dort (Zweitstudium). Die Kosten für das Studium wurden als vorweggenommene Werbungskosten für eine künftige Tätigkeit im Inland geltend gemacht. Ab dem VZ 2012 hatte der Steuerpflichtige wieder einen Wohnsitz im Inland und erzielte inländische Einkünfte. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den aktuellen inländischen Einkünften ist gegeben. Es stellte sich die Frage, ob die vorweggenommenen Werbungskosten im VZ 2011 berücksichtigt werden können. |
Fallgruppe B: | Nachträgliche Werbungskosten Der Steuerpflichtige war bis einschließlich VZ 2011 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Der Steuerpflichtige erzielte im Inland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im gesamten VZ 2012 hatte der Steuerpflichtige seinen einzigen Wohnsitz in der Schweiz und somit außerhalb der EU/EWR. Im Inland bestand kein weiterer Wohnsitz. Seither wurden keine inländischen Einnahmen mehr erzielt. Im VZ 2012 sind nachträgliche Werbungskosten im Zusammenhang mit der nichtselbständigen Arbeit in 2011 entstanden, welche als Werbungkosten anzusetzen sind. Es stellte sich die Frage, ob die nachträglichen Werbungskosten, die nach Aufgabe des Wohnsitzes in Deutschland entstanden sind, im VZ 2012 berücksichtigt werden können. |
Vergleichbare Fälle sind rechtlich wie folgt zu würdigen:
Nach § 1 Abs. 4 EStG sind natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG erzielen. Inländische Einkünfte i. S. d. beschränkten Einkommensteuerpflicht sind nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wenn die Tätigkeit im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist.
Die inländischen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nach den allgemeinen Vorschriften des § 2 Abs. 2 EStG als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln. Demnach können auch beschränkt Steuerpflichtige sowohl vorweggenommene als auch nachträgliche Werbungskosten haben. Diese sind nach § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG nur zu berücksichtigen, wenn und soweit sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit inländischen Einkünften stehen. § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG schließt einen Verlustabzug bzw. eine Verlustfeststellung nach § 10d EStG nicht aus.
Einer Berücksichtigung der vorweggenommen bzw. nachträglichen Werbungskosten kann im Einzelfall zwar die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG entgegenstehen. In den beiden oben dargestellten Fallgruppen ist jedoch weder eine tatsächliche noch eine abstrakte Lohnsteuereinbehaltungspflicht gegeben, da im betreffenden Veranlagungszeitraum kein positiver Arbeitslohn angefallen ist, von dem Lohnsteuer hätte einbehalten werden können. Da die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG nur greift, wenn von positiven Einnahmen tatsächlich Lohnsteuer einbehalten worden ist oder zumindest einzubehalten war, können daher
die vorweggenommenen Werbungskosten im VZ 2011 (Fallgruppe A) bzw.
die nachträglichen Werbungskosten im VZ 2012 (Fallgruppe B),
als negative inländische Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht berücksichtigt werden.
SenFin Berlin v. - III A - S 2300 - 1/2015
Fundstelle(n):
OAAAF-01642