Umsatzsteuer keine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO; unionsrechtliche Einordnung der Umsatzsteuer als proportionale Verbrauchsteuer
Gesetze: AO § 21, AO § 23, AO § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, AO § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2AO, GG Art. 108, EWGRL 227/67 Art. 2, EGRL 112/2006 Art. 1 Abs. 2
Instanzenzug:
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, reichte im Jahr 2009 ihre Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2008 und im Jahr 2010 ihre Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2009 ein.
2 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erließ am auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützte Umsatzsteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 2008 und 2009 (Streitjahre), mit denen es die festgesetzte Umsatzsteuer jeweils erhöhte. Die Einsprüche der Klägerin, mit denen sie geltend machte, es sei im Jahr 2013 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, weil die Umsatzsteuer eine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO sei, wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.
3 Das Finanzgericht wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es führte aus, der Umstand, dass die Umsatzsteuer unionsrechtlich als eine proportionale Verbrauchsteuer gelte, ändere nichts daran, dass die Umsatzsteuer keine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO sei.
4 Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), wonach die Mehrwertsteuer eine genau proportionale Verbrauchsteuer sei, geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
Gründe
5 II. Die Beschwerde ist unbegründet.
6 1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt; außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 84/12, BFH/NV 2013, 771; vom VI B 87/14, BFH/NV 2015, 954, m.w.N.). Ebenso setzt der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts als Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung eine Rechtsfrage voraus, die in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar und klärungsbedürftig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 50/13, BFH/NV 2014, 289; vom IV B 108/13, BFH/NV 2014, 379; vom XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn diese durch die Rechtsprechung des BFH bereits hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung erforderlich machen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 4/14, BFH/NV 2014, 1406, und vom III B 43/14, BFH/NV 2015, 978, m.w.N.).
7 2. Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht zuzulassen.
8 a) Durch die Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass die Umsatzsteuer keine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist, so dass die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre beträgt (vgl. , BFHE 148, 10, BStBl II 1987, 95; , BFH/NV 2005, 2046; s. aus der Literatur z.B. Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 169 AO Rz 28; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, Vorbemerkung, Rz 113 ff.). Der BFH hat im Beschluss in BFHE 148, 10, BStBl II 1987, 95 ausgeführt, dass dies durch § 21 AO belegt werde, der die Zuständigkeit zur Verwaltung der Umsatzsteuer (mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer) den Landesfinanzbehörden (Finanzämtern) überträgt, während für Verbrauchsteuern die Hauptzollämter zuständig sind (§ 23 AO). Wäre die Umsatzsteuer eine bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuer, müsste sie grundsätzlich nach Art. 108 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ebenfalls von den Bundesfinanzbehörden verwaltet werden.
9 b) Die von der Klägerin vorgebrachten Gesichtspunkte erfordern keine andere Beurteilung.
10 aa) Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Mehrwertsteuer eine Verbrauchsteuer im unionsrechtlichen Sinne ist: Bereits nach Art. 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, der inhaltlich Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entspricht, beruht das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist (vgl. dazu auch EuGH-Urteile Lebara vom C-520/10, EU:C:2012:264, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2012, 672, Rz 24; GST-Sarviz Germania vom C-111/14, EU:C:2015:267, HFR 2015, 620, Rz 40).
11 bb) Dies hat der BFH jedoch —anders als die Klägerin meint— nicht erst in dem Urteil vom V R 3/04 (BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479) erkannt. So nehmen bereits die (BFH/NV 1993, 201, unter II.3.c), vom V R 58/97 (BFH/NV 1999, 987, unter II.1.), vom V R 51/98 (BFHE 189, 211, BStBl II 1999, 630, unter II.) und vom IV R 65/00 (BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, unter 4.) sowie der (BFH/NV 2002, 1353, unter II.2.b) auf den Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer Bezug.
12 cc) Aus dem Umstand, dass die Umsatzsteuer unionsrechtlich eine Verbrauchsteuer ist, ergeben sich keine zwingenden Rechtsfolgen für die Auslegung des § 169 Abs. 2 Satz 1 AO; denn mangels einer einschlägigen Unionsregelung ist u.a. die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, sofern dabei die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und des Vertrauensschutzes beachtet werden (vgl. EuGH-Urteile Aprile Srl vom C-228/96, EU:C:1998:544, HFR 1999, 125, Rz 18; Marks & Spencer vom C-62/00, EU:C:2002:435, HFR 2002, 943, Rz 34 ff.; Alstom Power Hydro vom C-472/08, EU:C:2010:32, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2010, 493, Rz 17 ff.; Enel Maritsa Iztok 3 vom C-107/10, EU:C:2011:298, HFR 2011, 823, Rz 29; Surgicare vom C-662/13, EU:C:2015:89, HFR 2015, 422, Rz 26). Dies ist vorliegend bei § 169 Abs. 2 AO der Fall, der nicht zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Sachverhalten differenziert. Deshalb zwingen die von der Klägerin zitierten EuGH-Urteile nicht zu einer Änderung der unter II.2.a zitierten Rechtsprechung.
13 3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).
14 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 1445 Nr. 10
YAAAF-00256