Leasing als Lieferung, wenn die Gesamtheit der abgezinsten Leasingraten dem Verkehrswert des Gegenstands entsprechen
Leitsatz
Art. 2 Abs. 1, Art. 14 und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass, wenn ein Leasingvertrag über eine Immobilie vorsieht, dass das Eigentum an der Immobilie am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an dieser Immobilie verfügt, insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum an der Immobilie verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, der aus einem solchen Vertrag resultierende Umsatz mit dem Erwerb eines Investitionsguts gleichzusetzen ist.
Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er es einem Steuerpflichtigen nicht erlaubt, seine Besteuerungsgrundlage zu vermindern, wenn er alle Zahlungen für die von ihm erbrachte Leistung tatsächlich erhalten hat oder wenn der Vertragspartner, ohne dass der Vertrag aufgelöst oder annulliert worden wäre, ihm den vereinbarten Preis nicht mehr schuldet.
Der Grundsatz der Steuerneutralität ist dahin auszulegen, dass es mit ihm vereinbar ist, dass zum einen eine Leasingleistung, die sich auf Immobilien bezieht, und zum anderen der Verkauf dieser Immobilien an einen am Leasingvertrag nicht beteiligten Dritten im Hinblick auf die Mehrwertsteuer einer getrennten Besteuerung unterliegen, sofern diese Umsätze nicht als eine einheitliche Leistung angesehen werden können, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Gesetze: RL 2006/112/EG Art 90, RL 2006/112/EG Art 2 Abs 1, RL 2006/112/EG Art 14, RL 2006/112/EG Art 24 Abs 1
Instanzenzug: ,
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 14, Art. 24 Abs. 1 und Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der NLB Leasing d.o.o. (im Folgenden: NLB) und der Republika Slovenija, vertreten durch das Ministrstvo za finance (Finanzministerium), über dessen Weigerung, NLB zu gestatten, eine Berichtigung der aufgrund des Abschlusses zweier Leasingverträge entrichteten Mehrwertsteuer vorzunehmen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…“
4 Art. 14 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
(2) Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:
…
b) die Übergabe eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird;
…“
5 Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“
6 Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“
Slowenisches Recht
7 Nach Art. 3 Abs. 1 des Zakon o davku na dodano vrednost (Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: ZDDV-1) unterliegen folgende Umsätze der Mehrwertsteuer:
„1. Lieferungen von Gegenständen, die ein/eine Steuerpflichtige(r) … im Rahmen der Ausübung seiner/ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit im Gebiet der Republik Slowenien … gegen Entgelt tätigt;
…
3. Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen der Ausübung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Gebiet der Republik Slowenien gegen Entgelt erbringt;
…“
8 In Art. 6 ZDDV-1 heißt es:
„1. Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
2. Als Lieferung von Gegenständen gilt ebenfalls
...
b) die Übergabe eines Gegenstands aufgrund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums … vorsieht und regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird;
…“
9 Nach Art. 14 Abs. 1 ZDDV-1 gilt als „Dienstleistung“ jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.
10 Art. 39 Abs. 2 und 3 ZDDV-1 sieht vor:
„2. Im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage entsprechend vermindert. Der Steuerpflichtige kann den Betrag der erklärten Mehrwertsteuer berichtigen (vermindern), wenn der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger den abgezogenen Mehrwertsteuerbetrag berichtigt (vermindert) und dies dem Lieferer oder Dienstleistungserbringer schriftlich mitteilt.
3. Der Steuerpflichtige kann den zu entrichtenden Mehrwertsteuerbetrag, wenn dieser nicht oder nur teilweise gezahlt wurde, auch gestützt auf eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, durch die ein abgeschlossenes Insolvenzverfahren bestätigt wurde, oder auf ein abgeschlossenes Vergleichsverfahren berichtigen (vermindern) … Erhält der Steuerpflichtige zu einem späteren Zeitpunkt für die von ihm gelieferten Gegenstände oder die von ihm erbrachten Dienstleistungen, für die er die Steuerbemessungsgrundlage gemäß diesem Absatz berichtigt hat, die vollständige oder eine teilweise Zahlung, entrichtet er die Mehrwertsteuer auf den erhaltenen Betrag.“
11 Art. 13 der Durchführungsverordnung zum ZZDV-1 (Pravilnik o izvajanju Zakona o davku na dodano vrednost) bestimmt:
„1. Auf Entschädigungen wird Mehrwertsteuer weder erklärt noch entrichtet.
2. Als Entschädigungen im Sinne des vorstehenden Absatzes gelten insbesondere
– die Lieferung, die der Lieferer als Ersatz für den aufgrund einer früheren Lieferung entstandenen Schaden tätigt, wenn er für den Schaden und dessen Folgen gesetzlich oder vertraglich haftet;
- Verzugszinsen, die der Steuerpflichtige seinem Schuldner in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes in Rechnung stellt, und Mahnkosten;
– Vertragsstrafen;
– Schadensersatz wegen Aufhebung des Vertrags, wenn der die Zahlung Leistende keinen Gegenstand erhalten bzw. keine Dienstleistung empfangen hat.
3. Wurde der Vertrag teilweise erfüllt, unterliegt diese teilweise Erfüllung der Mehrwertsteuer.“
12 Art. 41 der Durchführungsverordnung zum ZDDV-1 bestimmt:
„…
2. Der Steuerpflichtige kann den Mehrwertsteuerbetrag gemäß Art. 39 Abs. 2 ZDDV-1 in Höhe von in der Folge gewährten Rabatten – z. B. Sonderrabatten oder Rückvergütungen aufgrund der geringeren Qualität der Ware – vermindern, wenn sie zwischen Lieferer und Empfänger unmittelbar vereinbart sind.
3. Die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage des Lieferanten kann gemäß Art. 39 Abs. 2 ZDDV-1 nicht früher als in dem Steuerzeitraum erfolgen, in dem er die schriftliche Mitteilung des Empfängers erhalten hat, dass er den Vorsteuerabzug berichtigt hat.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13 Im Februar 2008 schlossen NLB als Darlehensgeberin und die Domino ing, d.o.o. (im Folgenden: Domino) als Darlehensnehmerin zwei Verträge über ein kurzfristiges zweckgebundenes Darlehen und trafen Absprachen über eine „geschäftliche Zusammenarbeit“. Nach diesen Absprachen waren u. a. die Darlehen, die Domino von NLB erhielt, für den Erwerb von Immobilien für den Bau von Wohnungen vorgesehen, und NLB sollte die Möglichkeit haben, den Bau dieser Wohnungen zu finanzieren, woran diese Gesellschaft auch Interesse bekundete. Mit diesen Darlehen erwarb Domino Immobilien, deren Voreigentümer an den Verträgen, die NLB mit Domino geschlossen hatte, nicht beteiligt waren.
14 Im April 2009 schlossen NLB und Domino zwei Komplexe von Verträgen, bei denen es sich nach den Angaben des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) um ein sogenanntes „Sale and lease back“-Geschäft (Verkauf und anschließendes Leasing) handelte. Zum einen erwarb NLB durch zwei Kaufverträge das Eigentum an Immobilien, die Domino zuvor erworben hatte, und zum anderen verpflichtete sie sich gleichzeitig mit zwei Leasingverträgen, diese Immobilien für einige Monate an Domino zu vermieten. Diese Leasingverträge sahen unbeschadet der von den beiden Gesellschaften vorher getroffenen Vereinbarungen über eine geschäftliche Zusammenarbeit vor, dass sich Domino vor Ende der Vertragslaufzeit für eine der drei folgenden Alternativen entscheiden musste: entweder die Verträge zu verlängern oder die Immobilien an NLB zurückzugeben oder aber von ihren Kaufoptionen bezüglich dieser Immobilien Gebrauch zu machen, indem sie alle ihre Verbindlichkeiten gegenüber NLB begleicht.
15 Beim Abschluss der Leasingverträge hatte NLB die Mehrwertsteuer auf den Betrag entrichtet, der Domino vertraglich in Rechnung gestellt worden war, d. h. auf die Summe aller monatlichen Fälligkeiten, einschließlich der Kaufoptionen, die Domino gewährt worden waren.
16 Da Domino bei Ablauf der Leasingverträge gegenüber NLB nicht alle fälligen Verbindlichkeiten beglichen hatte, machte NLB von der ihr in diesen Verträgen eingeräumten Möglichkeit Gebrauch und nahm die Immobilien, die Gegenstand des Leasings waren, wieder in Besitz. Im Juli 2010 verkaufte sie diese Immobilien als Bauland an eine dritte Gesellschaft, die Sava IP, d.o.o. (im Folgenden: Sava IP), und erklärte die für diesen Umsatz geschuldete Mehrwertsteuer.
17 NLB beantragte wegen der Nichterfüllung der Verbindlichkeiten, die Domino aus den Leasingverträgen oblagen, eine Berichtigung der erklärten Mehrwertsteuer in Höhe des Wertes der in diesen Verträgen vorgesehenen Kaufoptionen.
18 Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass NLB und Domino, wie in den Leasingverträgen vorgesehen, eine Endabrechnung erstellten, aufgrund deren NLB an Domino einen Betrag in Höhe der Differenz zwischen den Mehreinnahmen aus dem Verkauf der Immobilien an Sava IP und den von Domino nicht gezahlten Beträgen einschließlich der Kaufoptionen zahlte.
19 NLB zog von dem Verkaufspreis der Immobilien einen Betrag ab, der sich wie folgt zusammensetzte: erstens aus der Mehrwertsteuer, die NLB bei dieser Veräußerung entrichtet hatte, zweitens aus den fälligen Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Kaufoptionen, die Domino noch nicht beglichen hatte, und drittens aus den monatlichen Raten, die Domino NLB noch immer schuldete. Den Restbetrag zahlte sie anschließend an Domino. Danach erteilte sie Domino zwei Gutschriften in Höhe der fälligen Verbindlichkeiten bezüglich der Kaufoptionen und annullierte damit diese Verbindlichkeiten.
20 Mit Bescheid vom lehnten die slowenischen Steuerbehörden den Antrag von NLB, den von ihr anlässlich des Abschlusses der Leasingverträge entrichteten Mehrwertsteuerbetrag zu vermindern, mit der Begründung ab, dass die beiden Gutschriften keine reguläre Grundlage für eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage von NLB seien. Die Leasingverträge seien nicht „rückgängig gemacht“ worden, und bei der Wiederinbesitznahme der Immobilien durch NLB handele es sich nicht um eine „Rückgängigmachung“ im Sinne von Art. 39 Abs. 2 ZDDV-1, der Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ins slowenische Recht umsetze. Der Leasinggeber habe in Wirklichkeit die Rolle eines Pfandgläubigers gehabt und habe die Immobilien für Rechnung der Leasingnehmerin an Sava IP verkauft.
21 NLB legte gegen den Bescheid der slowenischen Steuerverwaltung zunächst Verwaltungsbeschwerde beim Finanzministerium ein und erhob sodann Klage beim zuständigen erstinstanzlichen Gericht. Beiden Rechtsbehelfen blieb der Erfolg versagt.
22 Mit ihrer Berufung macht NLB geltend, die Steuerverwaltung und das erstinstanzliche Gericht hätten Art. 39 ZDDV-1 und Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie falsch ausgelegt. Die von Domino wegen der Nichterfüllung ihrer vertraglichen Pflichten vorgenommene Rückgabe der Immobilien sei durchaus einer der Fälle, die von den genannten Vorschriften erfasst würden. Außerdem würde es den Grundsatz der Steuerneutralität verletzen, wenn es ihr verwehrt würde, in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens ihre Steuerbemessungsgrundlage zu vermindern, da sie bei der Veräußerung der Immobilien an eine dritte Gesellschaft die Mehrwertsteuer ein zweites Mal entrichtet habe.
23 Unter diesen Umständen hat der Vrhovno sodišče das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Licht der Umstände des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass die Rückgabe einer geleasten Immobilie, aufgrund der teilweisen Nichterfüllung der Verbindlichkeiten des Leasingnehmers, an den Leasinggeber zum Zweck ihres Weiterverkaufs und zur Erfüllung der anderen im Leasingvertrag vereinbarten Verbindlichkeiten, sobald alle Leasingraten fällig geworden sind, als „Annullierung, Rückgängigmachung, Auflösung, vollständige oder teilweise Nichtbezahlung“ nach der Bewirkung des Umsatzes gilt, bei der die Steuerbemessungsgrundlage entsprechend vermindert wird?
Sind Art. 2 Abs. 1, Art. 14 und Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der Betrag für zwei Kaufoptionen, der einen wesentlichen Teil des nach den Leasingverträgen geschuldeten Gesamtbetrags ausmacht und den der Leasingnehmer an den Leasinggeber in der Weise gezahlt hat, dass der Leasinggeber den Leasinggegenstand wegen teilweiser Nichtbezahlung der Verbindlichkeiten wieder in Besitz genommen, an einen Dritten weiterverkauft und den Mehrbetrag des erzielten Kaufpreises dem Leasingnehmer ausgezahlt hat, nachdem er bei der Endabrechnung die Beträge der Kaufoptionen in Abzug gebracht hatte, als Entgelt für die Erfüllung des Vertrags und als Lieferung von Gegenständen gilt und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt, oder dass er als Entgelt für die Vermietung bzw. die Bereitstellung einer Immobilie gilt (und als solches nach Wahl des Steuerpflichtigen der Mehrwertsteuer unterliegt) oder als Entschädigung für die Rückgängigmachung des Vertrags, zum Ersatz des wegen der Nichterfüllung des Leasingnehmers entstandenen Schadens, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit irgendeiner entgeltlichen Dienstleistung steht und als solche nicht der Mehrwertsteuer unterliegt?
Falls die Antwort auf die zweite Frage lautet, dass es sich um ein Entgelt für die Lieferung eines Gegenstands und die Erfüllung eines Vertrags handelt, stellt sich die weitere Frage, ob es dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zuwiderläuft, dass der Leasinggeber die Ausgangsmehrwertsteuer zweimal entrichtet, ein erstes Mal bei Abschluss der Leasingverträge (auch für den Betrag der Kaufoptionen, der den Großteil des Vertragswerts ausmachte) und ein zweites Mal aufgrund der teilweise nicht erfüllten Verbindlichkeiten des Leasingnehmers beim anschließenden Verkauf der betreffenden Immobilie an einen Dritten, obwohl der Leasinggeber die auf die zweite Lieferung entfallende Mehrwertsteuer mit der Endabrechnung auf den Leasingnehmer abgewälzt hat?
Zu den Vorlagefragen
Zur zweiten Frage
24 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass NLB als Leasinggeberin und Domino als Leasingnehmerin zwei Leasingverträge über die Vermietung von zwei Immobilien geschlossen hatten. Außerdem hat nach dieser Entscheidung offenbar NLB, weil Domino ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen war, gemäß diesen Verträgen die betreffenden Immobilien wieder in Besitz genommen, sie an einen Dritten verkauft und den erlösten Mehrbetrag an Domino ausgezahlt, wobei sie in der Endabrechnung den Betrag der Kaufoptionen in Abzug gebracht hatte. In diesem Kontext möchte das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, wissen, ob Art. 2 Abs. 1, Art. 14 und Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass es sich bei einer Leasingleistung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen um eine Lieferung von Gegenständen oder um eine Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmungen handelt.
25 Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen von Art. 267 AEUV nicht befugt ist, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden (Urteil Patriciello, C-163/10, EU:C:2011:543, Rn. 21). In einem Verfahren wie dem des Ausgangsverfahrens ist es daher Aufgabe des vorlegenden Gerichts, die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlichen rechtlichen Qualifizierungen vorzunehmen. Dagegen hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht alle erforderlichen Hinweise zu geben, um es bei dieser Beurteilung zu leiten (Urteil Patriciello, C-163/10, EU:C:2011:543, Rn. 23).
26 Daher sind dem vorlegenden Gericht unabhängig von der Frage, ob die in Rede stehende Leasingleistung in Anbetracht des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts in Wirklichkeit zu einem einheitlichen Umsatz gehört, der sich aus mehreren Leistungen zusammensetzt, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, die Kriterien an die Hand zu geben, die es ihm ermöglichen, für die Zwecke der Mehrwertsteuer die Rechtsnatur einer Leasingleistung zu beurteilen.
27 Insoweit ist zu beachten, dass gemäß Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie „[a]ls ‚Dienstleistung‘ … jeder Umsatz [gilt], der keine Lieferung von Gegenständen ist“. Der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ verlangt nach Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie die „Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“. Daneben gilt nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie als „Lieferung von Gegenständen“ die Übergabe eines Gegenstands aufgrund eines Vertrags, der die Vermietung dieses Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums vorsieht und regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird.
28 Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass zwischen einem Operating-Leasingverhältnis und einem Finanzierungsleasing zu unterscheiden ist; Letzteres zeichnet sich dadurch aus, dass die mit dem rechtlichen Eigentum verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf den Leasingnehmer übertragen werden. Dass das Eigentum am Ende der Vertragslaufzeit übertragen werden soll oder die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, sind Kriterien, die einzeln oder zusammen ermöglichen, festzustellen, ob ein Vertrag als Finanzierungsleasing eingestuft werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Eon Aset Menidjmunt, C-118/11, EU:C:2012:97, Rn. 38).
29 Außerdem bezieht sich der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ nicht auf die Eigentumsübertragung in den im anwendbaren nationalen Recht vorgesehenen Formen, sondern umfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (Urteil Eon Aset Menidjmunt, C-118/11, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Wenn daher ein Leasingvertrag über eine Immobilie vorsieht, dass das Eigentum an der Immobilie am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an dieser Immobilie verfügt, insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum an der Immobilie verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, ist der aus einem solchen Vertrag resultierende Umsatz mit dem Erwerb eines Investitionsguts gleichzusetzen (vgl. in diesem Sinne Urteil Eon Aset Menidjmunt, C-118/11, Rn. 40).
31 Insoweit lässt der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt, d. h. insbesondere die Vertragsbestimmungen über die „geschäftliche Zusammenarbeit“ und die gemäß der Endabrechnung getätigten Umsätze, darauf schließen, dass die Leasingverträge die Übertragung des Eigentums an den geleasten Immobilien an Domino zum Ziel hatten, was vom vorlegenden Gericht unter Berücksichtigung der in den Rn. 26 bis 30 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien zu prüfen ist.
32 Nach alledem sind Art. 2 Abs. 1, Art. 14 und Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass, wenn ein Leasingvertrag über eine Immobilie vorsieht, dass das Eigentum an der Immobilie am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an dieser Immobilie verfügt, insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum an der Immobilie verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, der aus einem solchen Vertrag resultierende Umsatz mit dem Erwerb eines Investitionsguts gleichzusetzen ist.
Zur ersten Frage
33 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits, wie sie sich aus Rn. 24 des vorliegenden Urteils ergeben, Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Rückgabe einer geleasten Immobilie an den Leasinggeber als Annullierung, Rückgängigmachung, Auflösung, vollständige oder teilweise Nichtbezahlung oder Preisnachlass im Sinne dieser Bestimmung gilt.
34 Obgleich es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die von NLB und Domino getätigten Umsätze rechtlich zu qualifizieren, hat der Gerichtshof ihm alle erforderlichen Hinweise zu geben, um es bei dieser Beurteilung zu leiten.
35 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der die Fälle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes betrifft, die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Steuerbemessungsgrundlage und mithin den Betrag der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines tragenden Grundsatzes der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen höheren als den dem Steuerpflichtigen gezahlten Betrag erheben darf (Urteil Almos Agrárkülkereskedelmi, C-337/13, EU:C:2014:328, Rn. 22).
36 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie – außer in den Fällen der Annullierung oder der Auflösung von Verträgen, in denen die Vertragsparteien in die Lage zurückversetzt werden, in der sie sich vor Vertragsschluss befunden haben, und der Steuerpflichtige seine Forderung nicht mehr besitzt – nur diejenigen Fallgestaltungen betrifft, in denen der Vertragspartner eine Forderung nicht oder nur teilweise erfüllt, die nach dem Vertrag gegen ihn besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil Almos Agrárkülkereskedelmi, C-337/13, EU:C:2014:328, Rn. 23 und 24).
37 Die Besteuerungsgrundlage eines Steuerpflichtigen kann daher nicht vermindert werden, wenn der Steuerpflichtige wie vertraglich vereinbart alle Zahlungen für die von ihm erbrachte Leistung tatsächlich erhalten hat oder wenn der Empfänger dieser Leistung, ohne dass der Vertrag aufgelöst oder annulliert worden wäre, dem Steuerpflichtigen den vereinbarten Preis nicht mehr schuldet.
38 Nach alledem ist Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass er es einem Steuerpflichtigen nicht erlaubt, seine Besteuerungsgrundlage zu vermindern, wenn er alle Zahlungen für die von ihm erbrachte Leistung tatsächlich erhalten hat oder wenn der Vertragspartner, ohne dass der Vertrag aufgelöst oder annulliert worden wäre, ihm den vereinbarten Preis nicht mehr schuldet.
Zur dritten Frage
39 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht in Erfahrung bringen, ob der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen ist, dass es mit ihm nicht vereinbar ist, dass ein Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuer ein erstes Mal beim Abschluss eines Leasingvertrags, der eine Kaufoption umfasst, entrichtet und ein zweites Mal, wenn er den geleasten Gegenstand wegen Nichterfüllung der dem Leasingnehmer obliegenden Verpflichtungen an eine dritte Gesellschaft verkauft.
40 Insoweit ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Grundsatz der Steuerneutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt, einer Doppelbesteuerung der unternehmerischen Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen entgegensteht (vgl. in diesem Sinne Urteile Puffer, C-460/07, EU:C:2009:254, Rn. 45 und 46, sowie Klub, C-153/11, EU:C:2012:163, Rn. 42).
41 Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass im Hinblick auf die Mehrwertsteuer jede Leistung in der Regel als eigene und selbständige Leistung zu betrachten ist, wie sich aus Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt (Urteil BGŻ Leasing, C‑224/11, EU:C:2013:15, Rn. 29). Unter bestimmten Umständen sind jedoch mehrere formal unterschiedliche Einzelleistungen, die getrennt erbracht werden und damit jede für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland, C-155/12, EU:C:2013:434, Rn. 20).
42 Das vorlegende Gericht hat nach dieser Rechtsprechung zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze, d. h. zum einen die an Domino erbrachten Leistungen und zum anderen der Verkauf der Immobilien an eine dritte Gesellschaft, als eine „einheitliche Leistung“ anzusehen sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Leistung des Steuerpflichtigen aus mehreren Elementen oder Handlungen besteht, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
43 Sollte sich erweisen, dass die genannten Umsätze nicht als eine einheitliche Leistung angesehen werden können, ist es mit dem Grundsatz der Steuerneutralität vereinbar, sie im Hinblick auf die Mehrwertsteuer einer getrennten Besteuerung zu unterziehen.
44 Nach alledem ist der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen, dass es mit ihm vereinbar ist, dass zum einen eine Leasingleistung, die sich auf Immobilien bezieht, und zum anderen der Verkauf dieser Immobilien an einen am Leasingvertrag nicht beteiligten Dritten im Hinblick auf die Mehrwertsteuer einer getrennten Besteuerung unterliegen, sofern diese Umsätze nicht als eine einheitliche Leistung angesehen werden können, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Kosten
45 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Abs. 1, Art. 14 und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass, wenn ein Leasingvertrag über eine Immobilie vorsieht, dass das Eigentum an der Immobilie am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an dieser Immobilie verfügt, insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum an der Immobilie verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, der aus einem solchen Vertrag resultierende Umsatz mit dem Erwerb eines Investitionsguts gleichzusetzen ist.
Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er es einem Steuerpflichtigen nicht erlaubt, seine Besteuerungsgrundlage zu vermindern, wenn er alle Zahlungen für die von ihm erbrachte Leistung tatsächlich erhalten hat oder wenn der Vertragspartner, ohne dass der Vertrag aufgelöst oder annulliert worden wäre, ihm den vereinbarten Preis nicht mehr schuldet.
Der Grundsatz der Steuerneutralität ist dahin auszulegen, dass es mit ihm vereinbar ist, dass zum einen eine Leasingleistung, die sich auf Immobilien bezieht, und zum anderen der Verkauf dieser Immobilien an einen am Leasingvertrag nicht beteiligten Dritten im Hinblick auf die Mehrwertsteuer einer getrennten Besteuerung unterliegen, sofern diese Umsätze nicht als eine einheitliche Leistung angesehen werden können, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DStR 2015 S. 11 Nr. 28
AAAAE-96931