BSG Beschluss v. - B 12 KR 27/14 B

Instanzenzug: S 28 KR 1351/10

Gründe:

1In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Höhe der gegen den freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Kläger von den Beklagten festgesetzten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung und deren vermeintliche Pflicht, weitere Widerspruchsbescheide zu erlassen.

2Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

3Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

4Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sowie in der ergänzenden Begründung vom zusätzlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

51. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils im Sinne einer für den Beschwerdeführer günstigen Entscheidung besteht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

6a) Der Kläger rügt zunächst eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, da das LSG angesichts des außergewöhnlich umfangreichen und unübersichtlichen Sachverhalts sowie schwieriger Rechtsfragen nicht im Beschlusswege nach § 153 Abs 4 SGG habe entscheiden dürfen. Den nach § 160a Abs 2 S 3 SGG an die Zulässigkeit einer Beschwerde zu stellenden Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers insoweit bereits deshalb nicht, weil er weder die gesetzlichen Voraussetzungen einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG und die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze darlegt, noch im Einzelnen begründet, woraus sich ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG vorliegend eine so außergewöhnliche Unübersichtlichkeit des Sachverhalts bzw besondere Schwierigkeit der Rechtsfragen ergeben könnte, dass diese einer Entscheidung durch Beschluss entgegenstehen könnte. Allein der pauschale Hinweis auf die vom SG vorgenommene Verbindung mehrerer Verfahren genügt hierfür nicht.

7b) Auch die Rüge der Verletzung seines Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG iVm § 153 Abs 4 S 2 SGG) wegen vermeintlich fehlender Anhörung durch das LSG vor Erlass des angefochtenen Beschlusses genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 S 3 SGG. Zwar musste der Kläger nicht konkret darlegen, dass und warum er das Anhörungsschreiben des LSG (vom ) nicht erhalten hat. Vielmehr hätte es dem LSG oblegen, sich angesichts der Übermittlung des Anhörungsschreibens ohne Zugangsnachweis vor der Entscheidung davon zu überzeugen, dass den gesetzlichen Anforderungen des § 153 Abs 4 S 2 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG und § 62 SGG genügt wurde (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 11 S 33; - Juris RdNr 5). Jedoch versäumt es der Kläger - anders als erforderlich - dazulegen, dass die Entscheidung auf der vermeintlichen Gehörsverletzung beruhen kann (vgl zu diesem Darlegungserfordernis bei einer Rüge der Verletzung der Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG, - BeckRS 2013, 67152 RdNr 17 mwN). Hierzu hätte er zumindest angeben müssen, was er im Falle einer ordnungsgemäßen Anhörung vorgetragen hätte und wie dies die Entscheidung des LSG über seine bis dahin nicht begründete Berufung zu seinen Gunsten hätte beeinflussen können. Entsprechende Ausführungen fehlen in der Beschwerdebegründung des Klägers.

8c) Soweit der Kläger darüber hinaus auch einen Verstoß gegen § 96 SGG wegen unterbliebener Einbeziehung eines Bescheides vom in das Verfahren rügt, genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den Zulässigkeitsanforderungen. Dabei kann offenbleiben, ob die Nichtzulassungsbeschwerde insoweit bereits deshalb unzulässig ist, weil das Ziel möglicherweise auch mit einer Urteilsergänzung nach § 140 SGG erreicht werden könnte (vgl BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 4). Jedenfalls mangelt es aber an der schlüssigen Bezeichnung eines solchen Verstoßes gegen § 96 SGG (vgl zu diesem Darlegungserfordernis BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9; - Juris RdNr 3 mwN). Diese setzt voraus, dass in der Beschwerdebegründung dargestellt wird, inwieweit der neue Verwaltungsakt den angefochtenen ersetzt oder abändert (vgl § 96 Abs 1 SGG), und dass diese Voraussetzungen vorliegend auch erfüllt sind. Hierzu hätte vor allem deswegen besondere Veranlassung bestanden, weil bereits nicht ohne Weiteres erkennbar ist, dass der im Schreiben der Beklagten zu 1. vom möglicherweise enthaltene Verwaltungsakt über die Ablehnung eines Antrags auf Erlass offener Beitragsforderungen denselben Regelungsgegenstand betrifft wie die im Berufungsverfahren vor dem LSG angefochtene ursprüngliche Beitragsfestsetzung. Insoweit ist zu bedenken, dass § 76 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB IV dem Schuldner einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf eine gesonderte Entscheidung über den Forderungserlass gewährt (vgl nur BSGE 65, 133 = SozR 2100 § 76 Nr 2).

92. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Frage erneut klärungsbedürftig werden, hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn das BSG bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden haben, jedoch schon (eine oder mehrere) höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6). Zur Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen Regelungen, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt, genügt allein die Behauptung der Verfassungswidrigkeit nicht. Vielmehr muss unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung, insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG, im Einzelnen aufgezeigt werden, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; vgl auch ). Auch diesen Anforderungen genügt die Begründung des Klägers nicht.

10a) Der Kläger hält es für grundsätzlich bedeutsam, zu klären,

"ob die Satzungsregelungen einer Krankenkasse bzw. der durch die Rechtsetzung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen erlassene § 7 Abs. 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nach § 240 SGB V zur Beitragsbemessung für freiwillige selbständig erwerbstätige Mitglieder konkret mit höherrangigem Recht vereinbar ist, insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis der Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Annahme der Hauptberuflichkeit und der Berücksichtigung von lediglich tatsächlich zur Verfügung stehenden Einnahmen, hinsichtlich der unterschiedlichen beitragsrechtlichen Behandlung von selbständig Erwerbstätigen ohne SGB II Leistungsbezug im Verhältnis zu selbständig Erwerbstätigen mit SGB II Leistungsbezug."

11Diese Frage gelte entsprechend für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung.

12Es kann unerörtert bleiben, ob der Kläger damit eine (oder mehrere) hinreichend konkrete Rechtsfrage(n) zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm aufgeworfen und den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat. Jedenfalls hat er - die Qualität als Rechtsfrage unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht dargelegt. Soweit die Fragen auf die Vereinbarkeit der in den Satzungen der Beklagten bzw in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler festgesetzten Mindestbeitragsbemessungsgrenzen für freiwillig krankenversicherte Selbstständige mit höherrangigen Recht gerichtet sind, hätte der Kläger zumindest näher darlegen müssen, wieso diese Fragen trotz der Rechtsprechung des BSG und BVerfG zur Vereinbarkeit entsprechender Satzungsregelungen mit dem GG (BSGE 79, 133, 141 ff = SozR 3-2500 § 240 Nr 27 S 106 ff, bestätigt durch BVerfGE 103, 392 = SozR 3-2500 § 240 Nr 39) weiterhin klärungsbedürftig sein oder erneut klärungsbedürftig geworden sein könnten. Dies erfolgt nicht ansatzweise. Anders als nach den oben dargestellten Anforderungen bei der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit notwendig, enthält die Beschwerdebegründung auch keinerlei die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG sowie Literatur zu Art 3 Abs 1 GG berücksichtigende Ausführungen dazu, weshalb sich aus der unterschiedlichen beitragsrechtlichen Behandlung von selbstständig Erwerbstätigen mit und ohne SGB II-Leistungsbezug eine Verfassungswidrigkeit von Regelungen der Krankenkassensatzung oder § 7 Abs 4 Beitragsverfahrensgrundsätze ergeben könnte.

13b) Der Kläger hält ferner die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob und in welchem Umfang, nach den zum in Kraft getretenen Vorschriften des § 256a Abs. 1 und 3 SGB V Beiträge und Säumniszuschläge zu erlassen bzw. hinsichtlich noch nicht bestandskräftiger Zeiträume nicht zu erheben sind."

14Auch diese Frage gelte entsprechend für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung.

15Auch bezüglich dieser Frage kann unerörtert bleiben, ob der Kläger damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage aufgeworfen hat. Jedenfalls versäumt er es bereits, den klärenden Schritt konkret darzustellen, den das Revisionsgericht zur Beantwortung dieser Frage vornehmen soll. Darüber hinaus legt er auch die Klärungsfähigkeit der Frage - die Qualität als Rechtsfrage wiederum unterstellt - nicht entsprechend den herfür geltenden Anforderungen dar. Hierfür genügt nicht die schlichte Behauptung, die Frage sei in der Rechtsprechung des BSG noch nicht geklärt (vgl ). Vielmehr hätte der Kläger zumindest unter Berücksichtigung des Gesetzestextes, der sog Gesetzesmaterialien und der zu § 256a SGB V bereits veröffentlichten Literatur (vgl zu diesen Darlegungserfordernissen nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 14d mwN) im Einzelnen darlegen müssen, woraus sich aus Anlass des vorliegenden Rechtsstreits in Bezug auf § 256a SGB V eine ernsthafte Auslegungsfrage ergeben könnte. Die Ausführungen des Klägers lassen demgegenüber nicht im Ansatz erkennen, wieso sich aus der unterschiedlichen Rechtsfolgenanordnung in § 256a Abs 1 und 2 SGB V (Erlass von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV) einerseits und Abs 3 (Erlass der Säumniszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem nach § 24 Abs 1a SGB IV in der bis zum geltenden Fassung erhobenen Säumniszuschlag und dem sich bei Anwendung des in § 24 Abs 1 SGB IV ergebenen Säumniszuschlag) andererseits aus Anlass des vorliegenden Rechtsstreits Fragen ergeben könnten, deren Klärung im Rahmen der angestrebten Revision notwendig wäre.

c) Darüber hinaus hat der Kläger die Klärungsfähigkeit aller von ihm aufgeworfenen Fragen nicht entsprechend den eingangs dargestellten Anforderungen dargelegt. Insoweit versäumt er es deutlich zu machen, wieso sich diese Fragen nicht nur allgemein, sondern auch nach den Umständen des vorliegenden Falles stellen und dass deshalb deren Beantwortung im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist.

173. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

184. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Fundstelle(n):
CAAAE-95941