Entschädigung der Auskunftspflichtigen und Sachverständigen nach § 107 AO
1 Anspruchsberechtigung
1.1 Die von einer Finanzbehörde durch Verwaltungsakt zu Beweiszwecken herangezogenen Auskunftspflichtigen (§ 93 AO), Sachverständigen (§ 96 AO) und Vorlagepflichtigen (§ 97 AO) erhalten nach § 107 S. 1 AO auf Antrag eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes -JVEG-, soweit sie weder Beteiligte (§ 78 AO)) sind noch die Auskunftspflicht für einen Beteiligten zu erfüllen haben (wie z. B. die Vertreter und Verfügungsberechtigten im Sinne der §§ 34, 35 AO). Freiwillig – d. h. ohne Aufforderung durch die Finanzbehörde – erteilte Auskünfte und vorgelegte Unterlagen und Sachverständigengutachten führen selbst dann nicht zu einer Entschädigung, wenn die Finanzbehörde sie verwertet (AEAO zu § 107, Nr. 1).
Der Entschädigungsanspruch der Vorlagepflichtigen ist durch das AmtshilfeRLUmsG ( BStBl. 2013 I, 802) neu in § 107 AO aufgenommen worden. § 107 AO n. F. ist auf Vorlageersuchen anzuwenden, die nach dem gestellt wurden. Für die vor diesem Zeitpunkt gestellten Vorlageersuchen gilt § 107 AO a. F. (AEAO zu § 107, Nr. 3 und 4).
1.2 Für die Duldung der Einnahme des Augenscheins (§ 98 AO) kann eine Entschädigung nach § 107 AO nicht beansprucht werden (AEAO zu § 107, Nr. 2).
1.3 Die Vorschrift des § 107 AO gilt in allen Abschnitten des Besteuerungsverfahrens (einschließlich des Außenprüfungs-, Vollstreckungs- und Rechtsbehelfsverfahrens).
1.4 Im Steuerstrafverfahren bzw. im Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit gilt § 405 AO. Danach erhalten die von der Finanzbehörde zu Beweiszwecken herangezogenen Zeugen und Sachverständigen auf Antrag eine Entschädigung oder Vergütung nach den Regelungen des JVEG.
1.5 Dritte, die aufgrund eines Beweiszwecken dienenden Ersuchens der Strafverfolgungsbehörde Gegenstände herausgeben (§ 95 Abs. 1 StPO) oder die Pflicht zur Herausgabe entsprechend einer Anheimgabe der Strafverfolgungsbehörde abwenden, Auskunft erteilen, haben nach § 23 Abs. 2 JVEG einen Anspruch darauf, wie Zeugen entschädigt zu werden.
Telekommunikationsunternehmen, die Anordnungen zur Überwachung der Telekommunikation umsetzen oder Auskünfte erteilen, erhalten nach § 23 Abs. 1 JVEG eine besondere Entschädigung.
1.6 Auskünfte über in das Wissen einer juristischen Person gestellte Tatsachen können nur durch die sie vertretenden Vorstandsmitglieder (§ 78 des Aktiengesetzes – AktG –) bzw. durch die von ihnen Beauftragten erteilt werden. Für die Entschädigungsverpflichtung gemäß § 107 AO ist es deshalb unbeachtlich, wenn mit der Erteilung der Auskunft bzw. der Zusammenstellung der Unterlagen, die den eigentlichen Inhalt der erteilten Auskunft ausmachen, Angestellte befasst werden ( BStBl 1981 II 392). Die entstandenen Personalkosten sind jedoch höchstens mit dem Satz zu entschädigen, den ein Zeuge für den Verdienstausfall nach § 22 JVEG beanspruchen könnte (siehe auch Rz. 2.1.1.).
2 Umfang der Entschädigung
2.1 Auskunftspflichtige und Vorlagepflichtige
2.1.1 Verdienstausfall/Personalkosten
Erledigt der Auskunfts- bzw. Vorlagepflichtige das Ersuchen selbst oder beauftragt er Personen, die in seinem Betrieb beschäftigt sind, so werden der Verdienstausfall bzw. die Personalkosten mit dem Betrag erstattet, den ein Zeuge nach § 22 JVEG beanspruchen könnte, jedoch höchstens mit 21,00 EUR je Stunde. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob dem Antragsteller durch Zahlung von Überstundenvergütungen oder Neueinstellungen ein Mehraufwand entstanden ist (). Die Entschädigung wird für höchstens zehn Stunden je Tag gewährt (§ 19 Abs. 2 JVEG).
Nicht erwerbstätige Auskunftspflichtige, die einen Haushalt für mehrere Personen führen, erhalten nach § 21 Satz 1 JVEG eine Entschädigung von 14 € je Stunde. Das Gleiche gilt für Teilzeitbeschäftigte, die außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit herangezogen wurden (§ 21 Satz 1 JVEG). Die Entschädigung von Teilzeitbeschäftigten wird für höchstens 10 Stunden täglich gewährt abzüglich der Stundenzahl, die der vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit entspricht.
Soweit weder für Verdienstausfall noch für Nachteile bei der Haushaltsführung eine Entschädigung zu gewähren ist, erhalten Auskunftspflichtige nach § 20 JVEG eine Entschädigung für Zeitversäumnis von 3,50 € je Stunde. Dies gilt nicht, wenn durch die Auskunftserteilung ersichtlich kein Nachteil entstanden ist.
2.1.2 Auslagenersatz
Für die Praxis bedeutsam ist der Ersatz der Kosten für die Anfertigung von Kopien und Ausdrucken (§ 7 Abs. 2 JVEG).
Für jede Seite werden ersetzt:
bis zu einer Größe von DIN A3 0,50 Euro für die ersten 50 Seiten und 0,15 Euro für jede weitere Seite
in einer Größe von mehr als DIN A 3 3,00 Euro je Seite
für die Anfertigung von Farbkopien und -ausdrucken jeweils das Doppelte der Beträge nach Nr. 1 und 2.
Werden Kopien oder Ausdrucke in einer Größe von mehr als DIN A3 von einem Dritten angefertigt, kann der Berechtigte anstelle der Pauschale die baren Auslangen ersetzt verlangen.
Aufwendungen für unaufgefordert eingereichte Abschriften werden nicht erstattet.
Für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien anstelle von Kopien werden 1,50 Euro je Datei erstattet. Für die in einem Arbeitsgang überlassenen oder in einem Arbeitsgang auf denselben Datenträger übertragenen Dokumente werden höchstens 5,00 Euro ersetzt (§ 7 Abs. 3 JVEG). § 147 Abs. 5 AO ist in den Fällen einer sich aus §§ 93, 107 AO ergebenden Entschädigungsverpflichtung nicht anwendbar ( BStBl 1981 II S. 392).
2.1.3 Fahrtkosten/Tagegeld
Auskunftspflichtige können Fahrtkostenersatz gem. § 5 JVEG und Aufwandsentschädigung (Tagegeld) gem. § 6 JVEG erhalten. Derartige Aufwendungen kommen im Rahmen des § 107 AO jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht. Werden derartige Aufwendungen geltend gemacht, sind die detaillierten Regelungen in §§ 5und 6 JVEG zu beachten.
2.1.4 Benutzung von Werkzeugen, Geräten etc.
Das JVEG sieht grundsätzlich keine Vergütung für die Benutzung von Werkzeugen, Geräten oder technischen Einrichtungen vor, die der in Anspruch Genommene bei der Ausübung seines Berufs oder seines Gewerbes ohnehin braucht. Abnutzung im üblichen Rahmen begründet keinerlei Ersatzanspruch. Bei einem Geldinstitut können daher nur die Aufwendungen für den Arbeitseinsatz von Mitarbeitern ersetzt werden, die das gewünschte Zuordnen der in Betracht kommenden Mikrofilme zu den entsprechenden Kontounterlagen, das Heraussuchen der Mikrofilme, das Ausfindigmachen des richtigen Bildes, dessen Vergrößerung und Fotokopie sowie das Rückeinordnen der Filme vorgenommen haben. Hierfür wird ein Zeitaufwand von durchschnittlich 8 Minuten pro Bild für realistisch erachtet (). Daneben sind die Kosten für die Herstellung von Fotokopien mit dem gesetzlich festgelegten Betrag zu erstatten (vgl. Tz. 2.1.2).
2.1.5 Rechtscharakter der Entschädigung
Die Entschädigung des Auskunfts- und Vorlagepflichtigen stellt echten Schadenersatz dar und unterliegt als solcher nicht der Umsatzsteuer (Absch. 3 Abs. 8 UStR). Etwaige in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ist daher nicht zu erstatten.
2.2 Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer
2.2.1 Der Einsatz unabhängiger Sachverständiger gem. § 96 AO kommt im Besteuerungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Betracht. Soweit möglich, sind vorrangig die jeweils zuständigen Sachverständigen der Finanzverwaltung einzuschalten. § 107 AO kommt in diesem Bereich daher keine große Bedeutung zu.
2.2.2 In den in Betracht kommenden Fällen sind insbesondere folgende Vorschriften des JVEG zu beachten:
Fahrtkostenersatz und Aufwandsentschädigung
Ersatz für sonstige Aufwendungen
Sachverständige erhalten für ihre Leistungen ein Honorar nach Stundensätzen zwischen 65 und 100 € abhängig von der Honorargruppe. Die Abrechnung erfolgt auch für Reise- und Wartezeiten bis zur jeweils angefangenen halben Stunde.
Das Honorar des Dolmetschers beträgt für jede Stunde 70 € gem. § 9 Abs. 3 Satz 1 JVEG.
Honorar für besondere Leistungen
Das Honorar für Übersetzungen beträgt 1,55 € für jeweils angefangene 55 Anschläge des schriftlichen Textes. Ist die Übersetzung, insbesondere wegen der Verwendung von häufigen Fachausdrücken, schwerer Lesbarkeit des Textes oder einer besonderen Eilbedürftigkeit erheblich erschwert, erhöht sich das Honorar auf 1,85 €. Maßgebend für die Anzahl der Anschläge ist der Text in der Zielsprache; werden jedoch nur in der Ausgangssprache lateinische Schriftzeichen verwendet, ist die Anzahl der Anschläge des Textes in der Ausgangssprache maßgebend.
Ersatz für besondere Aufwendungen
2.2.3 Im Gegensatz zur Entschädigung für Auskunfts- und Vorlagepflichtige ist die auf die Vergütung der Sachverständigen, Dolmetscher und Übersetzer entfallende Umsatzsteuer erstattungsfähig, sofern sie nicht nach § 19 Abs. 1 UStG unerhoben bleibt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG).
3 Verfahren
3.1 Der Entschädigungsanspruch des Auskunftspflichtigen, Vorlagepflichtigen, Sachverständigen und des Dritten im Sinne des § 23 JVEG ist innerhalb von drei Monaten geltend zu machen. Sie beginnt mit der Abgabe der erbetenen Auskunft bzw. Vorlage der geforderten Unterlagen oder mit Eingang des Gutachtens bei der ersuchenden Stelle. Die Frist ist verlängerbar. Wird die (ggf. verlängerte) Frist überschritten, erlischt der Anspruch (§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. § 2 Abs. 2 JVEG möglich.
3.2 Im Übrigen verjährt der Anspruch auf Entschädigung bzw. Vergütung drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Pflicht erfüllt wurde (§ 2 Abs. 3 JVEG i. V. m. § 195 BGB). Die Vorschriften der AO über Zahlungsverjährung (§§ 228ff. AO) sind nicht anwendbar, weil es sich bei den Entschädigungsansprüchen nach § 107 AO nicht um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. d. § 37 Abs. 1 AO handelt.
3.3 Für die Festsetzung einer Entschädigung nach § 107 AO ist die Geschäftsstelle der Finanzbehörde zuständig, die die Auskunft bzw. die Vorlage von Unterlagen verlangt oder das Gutachten angefordert hat. Wird ein Antrag auf Entschädigung ganz oder teilweise abgelehnt, so ist gegen diesen Verwaltungsakt der Einspruch gegeben.
FinMin Nordrhein-Westfalen v. - S 0256
Fundstelle(n):
NAAAE-94666