Instanzenzug: S 8 P 2077/11
Gründe:
I
1Es ist streitig, ob die beklagten Landesverbände der Pflegekassen bzw deren Rechtsvorgängerinnen berechtigt waren, den mit dem Kläger als Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes (§ 71 Abs 1 SGB XI) am geschlossenen Vertrag über die Versorgung von Versicherten der sozialen Pflegeversicherung mit Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 72 SGB XI) wegen erheblicher Pflichtverletzungen fristlos (§ 74 Abs 2 SGB XI), hilfsweise fristgemäß mit Wirkung zum (§ 74 Abs 1 SGB XI) zu kündigen (Gemeinsamer Bescheid der Beklagten vom ). Das SG hat die am erhobene Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, weil die fristlose Kündigung rechtmäßig sei (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom ): Der Kläger habe durch falsche Abrechnungen seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Pflegekassen gröblich verletzt. Ein Festhalten an dem Versorgungsvertrag sei den Beklagten nicht zumutbar. Der Abrechnungsbetrug ergebe sich nicht nur aus der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen Betruges in 81 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist (Urteil des Amtsgerichts Konstanz vom - 7 Ls 61 Js 125/11), sondern auch aus seinem Vorbringen im vorliegenden Rechtsstreit sowie den Angaben der vom SG vernommenen Zeuginnen I.P., D.P. und U.P.
2Mit der Beschwerde vom wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, wobei er sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) stützt.
II
3Es kann offenbleiben, ob die Beschwerde in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 SGG entsprechenden Weise formgerecht begründet worden und damit zulässig ist. Das Rechtsmittel ist jedenfalls unbegründet; denn der Rechtsstreit wirft keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
4Der Kläger hat drei Fragen formuliert, denen aus seiner Sicht grundsätzliche Bedeutung zukommt und die im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sein sollen:
(1) Darf ein Pflegedienst zulässigerweise Leistungen gegenüber der Pflegekasse abrechnen, die eine ehrenamtlich tätige Mitarbeiterin für diesen ausgeführt hat?
(2) Kann Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) auch dann abgerechnet werden, wenn eine Verhinderung der Pflegeperson nicht nachgewiesen wurde? Kann Verhinderungspflege also quasi pauschal geltend gemacht werden?
(3) Muss die Gröblichkeit der Pflichtverletzung von den befassten Behörden und Gerichten unabhängig von vorangegangenen Beurteilungen, insbesondere auch einer etwaigen strafrechtlichen Verurteilung, bestimmt und begründet werden?
5Keine dieser Fragen ist geeignet, zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu führen, weil sie nicht klärungsbedürftig sind.
6Die erste Frage beantwortet sich ohne Weiteres aus der gesetzlichen Regelung des § 36 Abs 1 Satz 3 SGB XI: "Häusliche Pflegehilfe wird durch geeignete Pflegekräfte erbracht, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind." Ein Pflegedienst (§ 71 Abs 1 SGB XI) darf daher Leistungen der häuslichen Pflegehilfe, womit die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung gemeint sind (§ 36 Abs 1 Satz 1 SGB XI), nicht durch Personen erbringen, die außerhalb eines Anstellungsverhältnisses tätig sind, und demgemäß Leistungen solcher Personen auch nicht als eigene Leistungen von Angestellten des Pflegedienstes deklarieren und abrechnen. Ehrenamtliche Unterstützung ist zwar im ambulanten wie im stationären Bereich möglich (§§ 45d, 82b SGB XI), dient aber immer nur als Ergänzung der professionellen Pflege (vgl Udsching, SGB XI, 3. Aufl 2010, § 82b RdNr 6) und findet als prinzipiell unentgeltliche Hilfe außerhalb von (entgeltlichen) Anstellungsverhältnissen mit den Pflegeeinrichtungen statt. Deren aus der Zusammenarbeit mit ehrenamtlich tätigen Personen entstehender finanzieller Zusatzaufwand (zB für Schulungen, Einsatzplanungen und Aufwandsentschädigungen) kann zwar bei den auszuhandelnden Pflegesätzen und Pflegevergütungen (§§ 84, 89 SGB XI) berücksichtigt werden (§ 82b SGB XI), berechtigt aber nicht dazu, die unentgeltlich geleisteten Einsätze als eigene entgeltliche Pflegeleistungen des Einrichtungsträgers zu deklarieren und abzurechnen.
7Auf dieser Rechtslage beruht auch die strafrechtliche Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht (AG) Konstanz. Dazu hat das LSG ausgeführt: "In der Hauptverhandlung vom vernahm das AG D.P. als Zeugin. Dem schloss sich eine Verständigung nach § 257c Strafprozessordnung (StPO) an, in deren Rahmen der Kläger die angeklagten Taten einräumte. Zuvor hatte er im Strafverfahren vorgetragen, die Angaben der Angehörigen der Familie P. beruhten auf einem Komplott gegen ihn. Diese hätten durch ihre Angaben seine gegen sie bestehenden Forderungen beseitigen wollen. Das AG sah es im Urteil aufgrund des Geständnisses des Klägers, das er nach der Verständigung abgelegt habe und das bereits durch seine Einlassungen zuvor sowie der Aussage der D.P., der Augenscheinnahme und der Verlesung von Schriftstücken und Urkunden untermauert worden sei, als erwiesen an, dass der Kläger gegenüber den Pflegekassen nicht erbrachte Leistungen abgerechnet habe. D.P. sei nicht bei ihm angestellt gewesen. Sie sei nicht in seinen Betrieb eingegliedert gewesen und es habe an Anweisungen, Kontrollen und Aufsicht gefehlt. Er habe dieser frei erfundene Leistungsnachweise zur Unterzeichnung vorgelegt, in denen auch nicht erbrachte Leistungen angegeben worden seien. Mit diesen Leistungsnachweisen habe er dann Pflegesachleistungen mit den Pflegekassen bis zur Höhe des jeweiligen Pflegesatzes der jeweiligen Pflegestufe sowie bei [dem Versicherten] H.-B. den darüber hinausgehenden Betrag mit dem beigeladenen [Landkreis als Sozialhilfeträger] abgerechnet. Ihm sei darüber hinaus bekannt gewesen, dass die Pflege nicht nur von D.P., sondern auch von den weiteren Familienangehörigen durchgeführt worden sei. Außerdem habe er wiederholt Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI geltend gemacht und dabei wahrheitswidrig behauptet, die private Pflegeperson U.P. sei an der Pflege gehindert gewesen, obwohl sie tatsächlich zu keinem Zeitpunkt verhindert gewesen sei."
8Die zweite Frage bezieht sich auf diesen letzten Satz aus der Urteilsbegründung des AG Konstanz. Sie ist zu verneinen, was sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut des § 39 Abs 1 Satz 1 SGB XI ergibt: "Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegekasse die Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens vier Wochen je Kalenderjahr ...". Die Pflegeperson (§ 19 SGB XI) muss also an der Fortführung der ehrenamtlichen Pflege (§ 37 SGB XI) tatsächlich gehindert sein, und zwar wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderem vergleichbar gewichtigem Grund (Udsching, aaO, § 39 RdNr 5) und nach vorausgegangener mindestens sechsmonatiger Pflege des Versicherten in seiner häuslichen Umgebung (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB XI). Ist die Pflegeperson tatsächlich nicht an der Fortsetzung der Pflege gehindert, kann Verhinderungspflege folglich nicht in Anspruch genommen werden. Der Pflegebedürftige muss die Verhinderung der Pflegeperson der Pflegekasse anzeigen und ggf durch eine Erklärung der Pflegeperson nachweisen (Udsching, aaO, § 39 RdNr 5). Auf einen konkreten Hinderungsgrund kommt es dabei letztlich nicht an, die behauptete Hinderung muss aber plausibel und nachvollziehbar sein (Leitherer in: KassKomm zum Sozialversicherungsrecht, SGB XI, Stand Dezember 2014, § 39 RdNr 12). Ein Hinderungsgrund liegt also nicht vor, wenn die Pflegeperson anwesend und pflegebereit ist und die Pflege lediglich deswegen nicht durchgeführt wird, damit die - für einen Pflegedienst finanziell lukrative - Möglichkeit der Verhinderungspflege ausgenutzt werden kann.
9Die dritte Frage ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Eine Krankenkasse und ein Gericht haben das Tatbestandsmerkmal der "gröblichen" Pflichtverletzung (§ 74 Abs 2 Satz 1 SGB XI) bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Kündigung des Versorgungsvertrages zwar selbstständig zu ermitteln und den Sachverhalt selbstständig zu bewerten, können sich dabei aber grundsätzlich auf alle erreichbaren Erkenntnisquellen beziehen. Dabei ist die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen gegenüber dem Kostenträger als Regelfall gröblicher Pflichtverletzung mit der Folge der Unzumutbarkeit des Festhaltens an dem Versorgungsvertrag im Gesetz ausdrücklich genannt (§ 74 Abs 2 Satz 2 SGB XI).
10Das LSG durfte das rechtskräftige Urteil des AG Konstanz vom mit den dortigen Feststellungen zur Grundlage seiner Entscheidung machen ( - Juris RdNr 17 mwN; stRspr). Den Einwand des Klägers, er sei zu dem Geständnis seinerzeit "genötigt" worden, hat das LSG zutreffend zurückgewiesen. Außerdem haben nach Feststellung des LSG auch die eigenen Angaben des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit sowie die Angaben der vom SG als Zeuginnen vernommenen Mitglieder der Familie P. (I.P., D.P. und U.P.) den Vorwurf des Abrechnungsbetruges belegt. Eine gröbliche Pflichtverletzung mit der Folge der Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Versorgungsvertrages liegt bei 81 Fällen nachgewiesenen Abrechnungsbetrugs (§ 263 StGB) ersichtlich vor, ohne dass zur Klärung dieser Frage ein Revisionsverfahren durchgeführt werden müsste.
11Soweit der Kläger zusätzlich geltend machen will, das LSG habe seinem Urteil Feststellungen zugrunde gelegt, zu denen es unter Verstoß gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gelangt sei, könnte ein solcher Verstoß gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG von vornherein nicht zur Zulassung der Revision führen.
12Auf die weitere Argumentation des Klägers in dessen persönlich verfassten Schriftsätzen war nicht einzugehen. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a SGG gilt der Vertretungszwang (§ 73 Abs 4 SGG), sodass der Vortrag aus diesen Schriftsätzen revisionszulassungsrechtlich unbeachtlich ist.
13Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat der Kläger auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen (§ 162 Abs 3 VwGO).
14Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung des LSG, die von keinem der Beteiligten beanstandet worden ist.
Fundstelle(n):
GAAAE-92415