BSG Beschluss v. - B 13 R 361/14 B

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Fragen tatsächlicher Art - Erfahrungssätze - Nachweis eines ordnungsgemäßen Beitragserstattungsverfahrens - Beweis des ersten Anscheins - richterliche Beweiswürdigung - Verfahrensmangel - tatrichterliche Sachaufklärungspflicht - Parteivernehmung im sozialgerichtlichen Verfahren

Gesetze: § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 210 SGB 6, § 445 ZPO, §§ 445ff ZPO

Instanzenzug: Az: S 6 KN 64/10 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 18 KN 45/11 Urteil

Gründe

1Das die Beklagte verurteilt, dem Kläger Regelaltersrente ab zu gewähren.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Beklagte beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensfehler.

3Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, denn sie hat die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

41. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

5Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

7Die Beklagte führt hierzu aus, die aufgeworfene Frage sei klärungsbedürftig, weil höchstrichterlich noch nicht geklärt sei, wie zu verfahren sei, wenn sich die tatsächlich erfolgte Beitragserstattung lediglich aus dem sog Gesamtkontospiegel des Rentenversicherungsträgers ergebe. Bisher sei lediglich entschieden, dass aus dem Inhalt von Sammelkarten, Beitragserstattungslisten und weiterer laufender Verwaltungsunterlagen die - auf Lebenserfahrung beruhende, jedoch widerlegbare Vermutung - der wirksamen Beitragserstattung gestützt werden könne (Hinweis auf - SozR 2200 § 1309a Nr 1 und - Juris). Diverse Senate des Bayerischen LSG hätten allerdings die Ansicht der Beklagten bestätigt, dass allein aus dem beim Rentenversicherungsträger elektronisch gespeicherten Versicherungskonto der Beweis des ersten Anscheins dahingehend geführt werden könne, dass eine wirksame Beitragserstattung an den Versicherten vorgenommen worden sei (zB Bayerisches ). Wäre das LSG im vorliegenden Fall dem Beweis des ersten Anscheins zur Wirksamkeit der Beitragserstattung an den Kläger gefolgt, so wäre seine Altersrente abzulehnen gewesen.

8Mit diesem Vortrag möchte die Beklagte eine höchstrichterliche Entscheidung des Inhalts erreichen, dass sie sich zum Nachweis eines ordnungsgemäß durchgeführten Erstattungsverfahrens allein auf die im elektronischen Versicherungskonto des Versicherten gespeicherten Daten stützen darf. Sinngemäß begehrt sie damit die generelle Festlegung eines Beweisgrundsatzes für das Beitragserstattungsverfahren nach § 210 SGB VI. Im Kern stellt die Beklagte damit keine abstrakte Rechtsfrage sondern eine - allenfalls in das Gewand einer Rechtsfrage gekleidete - Beweisfrage auf. Fragen tatsächlicher Art eröffnen aber nicht den Zugang zur Revisionsinstanz über die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung, und zwar selbst dann nicht, wenn dabei Erfahrungssätze allgemeiner Art (wie hier der Lebenserfahrung) betroffen sind. Soweit allgemeine Tatsachen nicht die Qualität und Funktion von Rechtsnormen erreichen, wie es zB für allgemeine Erfahrungssätze angenommen wird, sind sie weiterhin als "Tatsachen" zu qualifizieren (stRspr, vgl nur - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 6 mwN). Das ist auch hier der Fall. Im Ergebnis fehlt es daher der von der Beklagten aufgeworfenen Frage an einem auf § 210 SGB VI bezogenen normativen Inhalt, der mit Mitteln juristischer Methodik zu klären wäre. Ob das LSG für den Nachweis eines ordnungsgemäßen Erstattungsverfahrens den Beweis des ersten Anscheins ausreichen lässt, der grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren auch Anwendung findet (vgl bereits - ZFS 1969, 138; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap III, RdNr 28), ist vielmehr im Kern eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Frage der richterlichen Beweiswürdigung (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

92. Die Beklagte hat auch keinen Verfahrensmangel formgerecht bezeichnet.

10Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

11Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen siehe Senatsbeschluss vom - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

12Die Beklagte trägt vor, dass sie ausweislich des Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung vom einen Antrag auf Parteivernehmung zum Beweis der Tatsache gestellt habe, dass ein vollständiges Beitragserstattungsverfahren durchgeführt worden sei entsprechend dem elektronisch gespeicherten sog Gesamtkontospiegel. Hierzu habe der Beklagtenvertreter erklärt, dass ihm im Falle eines - hier vorliegenden - Beweisnotstandes das Beweismittel der Parteivernehmung des betroffenen Versicherten offenstehen müsse (S 10 der Beschwerdebegründung). Diesem Antrag sei das LSG nicht gefolgt.

13Wie die Beklagte selbst einräumt, hat sie mit diesen Darlegungen keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet. Denn sie führt zutreffend aus, dass im sozialgerichtlichen Verfahren eine Parteivernehmung weder auf Antrag noch von Amts wegen zulässigerweise in Betracht kommt (stRspr vgl - Juris RdNr 8; vom - B 11 AL 273/02 B - Juris RdNr 3; vom - 1 BA 45/90 - SozR 3-1500 § 160a Nr 2 S 2; vom - 1 BA 51/87 - Juris). Dem sozialgerichtlichen Verfahren ist das Institut der Parteivernehmung fremd, da § 118 Abs 1 S 1 SGG nicht auf die §§ 445 ff ZPO verweist.

14Selbst wenn in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht iS des § 103 SGG bei abgelehnter Parteivernehmung angenommen werden könnte (vgl Senatsbeschluss vom - B 13 R 407/08 B - Juris RdNr 18), so hätte die Beklagte darlegen müssen, dass ein derartiger Sachverhalt vorliegt und dass das LSG sich deshalb hätte gedrängt sehen müssen, den Kläger persönlich anzuhören. Ob nach Ansicht der Beklagten ein sog Beweisnotstand vorliegt, weil sie die bei ihr geführten relevanten Beitragserstattungsvorgänge, die in diesem Rechtsstreit zu Beweiszwecken benötigt werden, vernichtet habe, kann dahingestellt bleiben. Wenn das Berufungsgericht dem Kläger am verschiedene detaillierte Fragen zur Beitragserstattung gestellt habe, die er am beantwortet habe (S 3 f, 11 der Beschwerdebegründung), reicht es nicht aus, lediglich die "exakte Beantwortung" der Fragen durch den Kläger zu bemängeln. Damit hat sie nicht hinreichend dargelegt, dass sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, diese Fragen vom Kläger (erneut) beantworten zu lassen.

15Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

16Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter.

17Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:020415BB13R36114B0

Fundstelle(n):
DAAAE-91833