Her mit den Daten!
Umfassendes Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung
[i]BFH, Urteil vom 16. 12. 2014 - X R 42/13 NWB AAAAE-88374 Die Abgabenordnung (AO) stammt aus dem Jahr 1977, einem Jahr, in dem die Papierwelt noch in Ordnung war und Computer eher in Science-Fiction-Filmen vorzufinden waren als in Einzelhandelsgeschäften.
Wer das aktuelle Urteil [i]AO ist veraltetdes BFH zum Datenzugriffsrecht des Außenprüfers analysieren will, muss sich dieses Ursprungsjahres der AO bewusst sein. Zwar wurde das Gesetz hier und da an das EDV-Zeitalter angepasst, aber noch immer ist von „Aufzeichnungen“, „Büchern“ oder einer „Aufbewahrung“ die Rede – und nicht von einer Datenerfassung, Dateien oder Speicherung. Das berühmte Radierverbot müsste wohl auch langsam als „Delete-Verbot“ bezeichnet werden. Richter müssen deshalb, wenn sie über ein Datenzugriffsrecht des Finanzamts entscheiden, die AO unter Berücksichtigung der modernen technischen Möglichkeiten interpretieren und ausfüllen.
Das Urteil des [i]Rätke, Digitaler Zugriff des Finanzamts auf Einzelverkaufsdaten einer PC-Kasse, BBK 10/2015 S. 454, in diesem HeftBFH, das in dieser Ausgabe ausführlich erläutert wird (siehe S. 454), fällt nun finanzamtsfreundlich aus. Denn der BFH bejaht erstens eine Verpflichtung des Kaufmanns zu Einzelaufzeichnungen und lässt zweitens keine Ausnahme von diesem Grundsatz wegen Unzumutbarkeit zu, wenn der Kaufmann tatsächlich Einzelaufzeichnungen getätigt hat; das Finanzamt darf dann auf diese Einzelaufzeichnungen zugreifen. Damit hat der BFH die AO gegenwartstauglich ausgelegt. Denn die überwiegende Mehrzahl der Einzelhändler verwendet heutzutage elektronische Kassen bzw. PC-Kassen und nimmt mit diesen Kassen Einzelaufzeichnungen vor. Für das FA ist nun der Weg zu den erfassten Daten frei.
Man kann das [i]Ist der BFH finanzamtsfreundlich?Urteil als profiskalisch bezeichnen – und dürfte damit auch Recht haben. Hinter den Urteilsgründen steckt wohl zum einen das Interesse des Richters, den Sachverhalt vollständig zu kennen: Eben dies erfordert aber auch die (richterliche) Kenntnis der Daten der einzelnen Handelsgeschäfte statt nur einer Tagessumme. Zum anderen stehen viele Richter Bargeschäften durchaus kritisch gegenüber, wenn sich das Ergebnis aller Bargeschäfte eines Handelstages in nur einer einzigen Tagessumme widerspiegelt oder wenn größere Beträge in bar abgewickelt werden.
Sollte der BFH [i]Weitere ungeklärte Rechtsfragenin der Frage des Datenzugriffsrechts tatsächlich eine finanzamtsfreundliche Tendenz entwickeln, hätte dies Auswirkungen auf weitere Streitfragen, die noch nicht höchstrichterlich entschieden sind:
So hat sich der BFH noch nicht zum Zugriff auf die weiteren Daten des Warenwirtschaftssystems geäußert. Ein solches System gab es zwar im Streitfall; dem Prüfer ging es aber gar nicht um spezifische betriebswirtschaftliche Daten aus diesem System, sondern um die Einzelverkaufsdaten, die über das Warenwirtschaftssystem erfasst worden waren. Möglicherweise hätte der Prüfer auch die Überlassung S. 434weiterer Daten des Warenwirtschaftssystems verlangen können, sofern diese nicht von den Einzelverkaufsdaten getrennt gespeichert wurden.
Geklärt werden muss auch noch, ob und inwieweit E-Mails aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtig sind.
Dürfen Unterlagen teilweise geschwärzt werden, z. B. Aufsichtsratsprotokolle oder geheimhaltungspflichtige Unterlagen wie z. B. Patientendaten?
Müssen auch Programmieranweisungen für die Kasse, die von einem externen EDV-Dienstleister erstellt worden sind, vorgelegt werden?
Aber auch die neuen GoBD der Finanzverwaltung aus dem Jahr 2014 werden eines Tages auf dem richterlichen Prüfstand stehen. Dabei wird die Rechtsprechung nicht nur mit der veralteten AO zu kämpfen haben, sondern auch mit den technischen Feinheiten moderner PC-Kassen und der elektronischen Buchführung wie z. B. dem OCR-Verfahren, die für Finanzrichter eher ein Greuel sind.
Wer nun [i]Begriff der Tageslosunglieber im Geburtsjahr der AO gedanklich verweilen möchte, kann sich an einem Wort in dem aktuellen erfreuen, das fast schon poetisch klingt. Es ist die „Tageslosung“. Dabei handelt es sich nicht um das Losungswort im Sinne einer Parole, die aus Western-Filmen bekannt ist, sondern mit dem Begriff der Tageslosung ist die Summe der Tageseinnahmen gemeint. Ungeachtet aller technischen Feinheiten und der elektronischen Weiterentwicklung werden wir diesen Begriff noch öfter vom BFH hören.
Ihre BBK wird die Entwicklung im Bereich des Datenzugriffsrechts weiterhin kritisch und aktuell begleiten. Beim Lesen der neuen Ausgabe wünsche ich Ihnen viel Spaß!
Beste Grüße
Ihr Bernd Rätke
Bernd Rätke
Fundstelle(n):
BBK 2015 Seite 433 - 434
LAAAE-89899