BGH Beschluss v. - I ZB 31/14

Berufungsverfahren gegen eine Verurteilung zur Auskunftserteilung: Notwendige Begründung eines Berufungsverwerfungsbeschlusses wegen Nichterreichens der Mindestbeschwer nach Gegenvorstellung des Rechtsmittelführers gegen die Wertfestsetzung

Leitsatz

Wendet sich der Rechtsmittelführer mit einer Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Werts des Beschwerdegegenstands durch das Berufungsgericht auf einen 600 € nicht übersteigenden Wert und trägt er Umstände vor, die eine Neubewertung der Beschwer rechtfertigen, muss die Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der es die Berufung wegen Nichterreichens der Wertgrenze als unzulässig verwirft, nachvollziehbar erkennen lassen, warum es an seiner Bewertung festhält.

Gesetze: § 3 ZPO

Instanzenzug: Az: II-21 U 3/11vorgehend Az: 14 O 620/10

Gründe

1I. Die Klägerin betreibt einen Kunsthandel und eine Galerie. Auch der Beklagte betrieb einen Kunsthandel. Er war bis Ende 2008 unter anderem auf Kommissionsbasis für die Klägerin tätig. Die Klägerin hat behauptet, sie habe dem Beklagten zwischen Dezember 2006 und Ende 2008 die in der Klageschrift aufgelisteten acht Kunstwerke mit einem Gesamtwert von 38.470,24 € im Rahmen eines Kommissionsvertrags übergeben. Sie nimmt den Beklagten im Wege einer Stufenklage auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung in Anspruch.

2Das Landgericht hat den Beklagten durch Teilurteil vom verurteilt, über die ihm von der Klägerin überlassenen Kommissionswaren gemäß den im Urteilstenor aufgelisteten Kommissionsscheinen Auskunft zu erteilen und nach Auskunftserteilung Rechnung zu legen.

3Dagegen hat der Beklagte mit der Begründung Berufung eingelegt, bereits am sei über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Berufungsgericht hat den Gegenstandswert für die Berufung mit Beschluss vom auf 500 € festgesetzt. Die vom Beklagten dagegen erhobene Gegenvorstellung hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Nachdem das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten am aufgehoben worden war, hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom die Berufung des Beklagten gegen das als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteige und das Landgericht die Berufung nicht zugelassen habe.

4Innerhalb der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde hat der Beklagte einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt. Der Senat hat ihm mit Beschluss vom für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Beklagte hat gegen die Verwerfung der Berufung Rechtsbeschwerde eingelegt und wegen der Versäumung der Frist zu deren Einlegung und Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

5II. Dem Beklagten ist Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil er vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Senat ohne Verschulden gehindert war, diese Fristen einzuhalten (§ 233 Satz 1 ZPO). Die Wiedereinsetzungsfristen nach § 234 ZPO sind gewahrt.

6III. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

71. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angegriffene, die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts verletzt das Recht des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und sein Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG). Die vom Berufungsgericht gestellten Anforderungen erschweren dem Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise. Dies führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde (vgl. , juris Rn. 14 mwN; , ZMR 2012, 796, 797; Beschluss vom - XII ZB 167/11, FamRZ 2013, 1117 Rn. 4; Beschluss vom - XII ZB 200/13, MDR 2013, 1362 Rn. 4; Beschluss vom - V ZB 28/13, juris Rn. 5).

82. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

9a) Das Berufungsgericht hat zur Begründung des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, das Vorbringen des Beklagten rechtfertige es nicht, die Beschwer für das Berufungsverfahren auf über 600 € festzusetzen. Bei der Bewertung des Abwehrinteresses des zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung Verurteilten sei der konkrete Aufwand an Zeit und Arbeit entscheidend, den die sorgfältige Erteilung der Auskunft und Rechnungslegung erfordere. Danach sei die Beschwer des Beklagten mit nicht mehr als 500 € zu bewerten, auch wenn davon ausgegangen werde, dass er aus gesundheitlichen Gründen zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung nicht ohne fremde Hilfe in der Lage sei. Selbst wenn sich seine Geschäftsunterlagen ungeordnet in mehreren Umzugskartons befänden, habe er nicht glaubhaft gemacht, dass das Aussortieren der für die Auskunftserteilung und Rechnungslegung erforderlichen Unterlagen und die geordnete Aufstellung von Einnahmen und Ausgaben zu den Kommissionswaren einen Zeitaufwand erforderten, der bei Hinzuziehung von Hilfspersonen einen Kostenaufwand von über 500 € verursache. Es bestehe keine Notwendigkeit, hierfür einen Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer heranzuziehen. Eine Aushilfskraft ohne hervorgehobene Qualifikationen sei zur Ausführung dieser Arbeiten in der Lage.

10b) Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgegangen, nach der sich der gemäß §§ 2, 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzende Wert des Beschwerdegegenstands im Fall der Einlegung der Berufung der zur Auskunftserteilung verurteilten Person nach ihrem Interesse bemisst, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Dabei ist im Wesentlichen darauf abzustellen, welchen Aufwand an Zeit und Kosten die Erteilung der Auskunft erfordert und ob die verurteilte Partei ein schützenswertes Interesse daran hat, bestimmte Tatsachen vor dem Gegner geheim zu halten (vgl. nur , BGHZ 128, 85, 87; Beschluss vom - IV ZR 255/08, FamRZ 2010, 891 Rn. 6; Beschluss vom - II ZR 75/09, WM 2010, 998 Rn. 2; Beschluss vom - IV ZB 23/10, FamRZ 2012, 216 Rn. 13; Beschluss vom - III ZB 55/11, ZEV 2012, 270 Rn. 7; Beschluss vom - I ZB 60/13, GRUR 2014, 908 Rn. 7 = NJW-RR 2014, 1210).

11c) Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Bemessung der Beschwer darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht von dem ihm gemäß § 3 ZPO eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Die Bemessung der Beschwer ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht bei der Bewertung des Beschwerdegegenstands maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt oder erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 139 ZPO nicht festgestellt hat (, NJW 2011, 3790 Rn. 17; BGH, ZEV 2012, 270 Rn. 8; BGH, ZMR 2012, 796 Rn. 8; , juris Rn. 4). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der angefochtene Beschluss lässt nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage das Berufungsgericht das ihm gemäß § 3 ZPO eingeräumte Ermessen bei der Ermittlung der Beschwer des Beklagten ausgeübt hat.

12aa) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Beklagte infolge seiner psychischen Erkrankung außer Stande ist, die ihm auferlegten Auskunfts- und Rechnungslegungspflichten selbst zu erfüllen, so dass er hierfür fremde Hilfe in Anspruch nehmen muss. Für die Ermittlung der Beschwer des Beklagten ist deshalb darauf abzustellen, welche Kosten ihm durch die Inanspruchnahme fremder Hilfe bei der Erfüllung der ihm auferlegten Auskunfts- und Rechnungslegungsverpflichtung entstehen.

13bb) Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte keinen Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer einschalten muss, um die Verpflichtung aus dem landgerichtlichen Urteil zu erfüllen. Der Beklagte war als Kommissionär der Klägerin tätig und hat über die ihm anvertraute Kommissionsware Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen. Dies erfordert nicht das Spezialwissen eines Rechtsanwalts oder Wirtschaftsprüfers. Vielmehr reicht die Einschaltung einer Person aus, die Erfahrung mit der Ausführung von Buchhaltungstätigkeiten hat.

14cc) Die Rechtsbeschwerde wendet sich jedoch mit Recht dagegen, dass das Berufungsgericht den Wert der Beschwer des Beklagten mit nicht mehr als 500 € bewertet hat. Das Berufungsgericht hat die für die Wertbemessung erforderlichen Grundlagen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, so dass sich diese nicht nachvollziehen lassen.

15(1) Das Berufungsgericht hat bei der Festsetzung des Streitwerts auf 500 € mit Beschluss vom darauf abgestellt, dass der Beklagte die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung selbst und im laufenden Geschäftsbetrieb erbringen kann. Die dagegen gerichtete Gegenvorstellung des Beklagten, mit der dieser auf seine psychische Erkrankung und das Erfordernis fremder Hilfe hingewiesen hat, hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom zurückgewiesen, ohne dabei nachvollziehbar zu begründen, warum dieser bei seinem Streitwertbeschluss vom noch nicht bekannt gewesene Sachverhalt an der Streitwertfestsetzung nichts änderte. Das Berufungsgericht hat auch nach dem weiteren Vortrag des Beklagten nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, seine Geschäftsunterlagen befänden sich unsortiert in mehreren Umzugskartons, keine Veranlassung gesehen, seiner die Berufung verwerfenden Entscheidung einen anderen Beschwerdewert als 500 € zugrunde zu legen.

16(2) Für die Wertbemessung bei der Erfüllung einer Auskunftspflicht durch die verurteilte Partei selbst sind die Vorschriften des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) heranzuziehen (BGH, FamRZ 2010, 891 Rn. 6; , MDR 2011, 623 Rn. 10; Beschluss vom - IV ZR 42/11, ErbR 2013, 154 Rn. 14; Beschluss vom - IV ZB 37/13, juris Rn. 6). Muss sich die Partei bei der Auskunftserteilung und Rechnungslegung fremder Hilfe bedienen, ist dagegen auf die Kosten abzustellen, die die Einschaltung einer Hilfsperson verursacht.

17Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, dass die Eigenleistung des Beklagten bei laufendem Geschäftsbetrieb mit 500 € zu bemessen sei, können angesichts der moderaten Vergütungssätze des JVEG noch als angemessen angesehen werden. Es hätte jedoch einer nachvollziehbaren Berechnung des erforderlichen Kostenaufwands bedurft, den der Beklagte zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung für die Auskunftserteilung und Rechnungslegung unter Inanspruchnahme fremder Hilfe gehabt hätte. Veranlassung hierzu bestand deshalb, weil der Beklagte seine Geschäftstätigkeit eingestellt und sich wegen seiner psychischen Erkrankung zumindest vorübergehend in stationärer oder teilstationärer Behandlung befunden hatte. Da das Berufungsgericht eine solche Berechnung nicht angestellt hat, ist die Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands nach wie vor nur auf 500 € nicht nachvollziehbar. Der Hinweis, die Festsetzung des Werts des Beschwerdegegenstands entspreche der Verfahrensweise des Berufungsgerichts in allen vergleichbaren Fällen, reicht in Anbetracht der Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts nicht aus.

183. Danach ist der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache, die nicht zur Endentscheidung reif ist, an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 8 Nr. 21
NJW-RR 2015 S. 1017 Nr. 16
SAAAE-89580